Der Fall der SZ-Redakteurin Föderl-Schmid - Ach, du verhetztes Deutschland!

Die stellvertretende SZ-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid lebt. Das ist eine gute Nachricht. Und eine Gelegenheit für den Journalismus, mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Denn er arbeitet selbst kräftig an der Verhetzung des Landes mit.

Im Falle von Hubert Aiwanger (M.) war die Süddeutsche weniger zimperlich / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

So erreichen Sie Mathias Brodkorb:

Anzeige

Was ist eigentlich schlimmer: öffentlich als Plagiator zu gelten oder als Rechtsextremist, der auf einer „Wannseekonferenz 2.0“ die „Deportation“ von „Millionen von Menschen“ plante? Wenn Sie mich fragten, wählte ich die Rolle des Plagiators. Schon deshalb, weil wohl in jedem Bundesbürger in Wahrheit ein kleiner Plagiator steckt. Oder haben Sie in der Schule etwa nie vom Banknachbarn oder Spickzettel abgeschrieben, nicht einmal ein bisschen? Ein Plagiator ist außerdem nur bei der kulturellen Elite unten durch. Ein Nazi hingegen bei fast allen.

Der Fall Föderl-Schmid

Was eigentlich schlimmer sei, ein Plagiator oder ein Nazi, ist dieser Tage eine durchaus relevante Frage. Anlass dafür sind Meldungen vom 8. Februar 2024. Nach allem, was man bisher weiß, wollte sich die stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung (SZ), Alexandra Föderl-Schmid, das Leben nehmen.

Ebenso wahrscheinlich scheint, dass dieser Versuch mit einer seit Tagen anhaltenden öffentlichen Berichterstattung über ihre Person in Zusammenhang steht. Bereits im Dezember 2023 berichtete der Branchendienst Medieninsider von möglichen Plagiatsfällen Föderl-Schmids. Das Portal NIUS forschte daraufhin nach und setzte den Plagiatsjäger Stefan Weber in Bewegung.  

Das Ergebnis: Föderl-Schmid soll nicht nur in zahlreichen ihrer Artikel, sondern auch in ihrer Doktorarbeit abgeschrieben haben. Die Redaktion der SZ reagierte prompt. Föderl-Schmid würde sich aus dem Tagesgeschäft „zurückziehen“, hieß es. Nur zwei Tage später platzte die vermeintliche Selbstmord-Bombe.

Was sich dann in den Sozialen Netzwerken abspielte, war bemerkenswert. Oliver Das Gupta (Spiegel) warf Julian Reichelt (NIUS) eine „skrupellose Kampagne gegen Alexandra Föderl-Schmid“ vor. Fabian Huber (Stern) griff Reichelt nach der irrtümlichen Todesnachricht wegen dessen „journalistischer Atombombe“ an. Und Maurice Konrad (taz) warnte, nachdem sich die Nachricht vom angeblichen Tode Föderl-Schmids verbreitet hatte, davor, NIUS überhaupt noch Interviews zu geben: „Es ist so unfassbar widerlich.

Was mit all dem offenbar gesagt werden sollte, war ungefähr dies: Reichelt und NIUS trügen Schuld am Tod von Föderl-Schmid. Obwohl sie in Wahrheit ja noch lebte. Sie trügen also zumindest Schuld daran, dass Föderl-Schmid hätte sterben können. Das war die eigentliche, unausgesprochene Botschaft.

Der Balken im eigenen Auge

Die Vorgänge sind bemerkenswert und von öffentlichem Interesse. Es war die SZ, die vor ein paar Monaten den Politiker Hubert Aiwanger öffentlich zum Antisemiten stempeln wollte, weil vor mehr als 30 Jahren bei dem 17-Jährigen Aiwanger ein geschmackloses Flugblatt gefunden worden war. Und es war ebenfalls die SZ, die sich vor ein paar Wochen auf einen anonymen Plagiatsjäger berief, der wiederum von einem anonymen Geldgeber finanziert wurde, um der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel nachzuweisen, sie hätte bei ihrer Doktorarbeit abgeschrieben. Das Ergebnis einer Prüfung der Universität Bayreuth war allerdings: alles völlig haltlos.  

Es war also die Süddeutsche Zeitung unter der Mitverantwortung von Alexandra Föderl-Schmid, die sowohl einen angeblichen Antisemiten als auch eine angebliche Plagiatorin an die Wand nageln wollte. Föderl-Schmid wurde „bloß“ das Opfer jener Mechanismen, die ihre Zeitung – wenn es gegen unliebsame Personen ging – einfach selbst praktizierte.

Wenn man also NIUS und Julian Reichelt vorwerfen wollte, Mitschuld am Fast-Tod Alexandra Föderl-Schmids zu tragen: Was hätte es dann eigentlich für die SZ bedeutet, wenn Hubert Aiwanger zarter besaitet gewesen wäre und er sich ob der SZ-Berichterstattung in den Freitod gestürzt hätte? Immerhin kann man ja der Auffassung sein, dass es in Deutschland ehrabschneidender ist, als Antisemit zu gelten denn als Plagiator.

Womit wir beim eigentlichen Thema wären: Über das Schicksal der stellvertretenden SZ-Redakteurin herrscht allseits Betroffenheit. Aber wann eigentlich hat schon einmal jemand aus dem Medienbetrieb ein ähnliches Maß an Anteilnahme gegenüber Alice Weidel oder Hubert Aiwanger verspürt – und dies auch noch öffentlich geäußert?  

Es ist dieser eifrig gepflegte doppelte Maßstab und der Mangel an Vorstellungskraft, die einen den Glauben an den Fortschritt menschlicher Zivilisation verlieren lassen. Entwickeln wir also etwas mehr Vorstellungskraft.

„Komm’, wir fliegen einfach nach Teneriffa“

Einst war Ulrike Guérot eine gefeierte Politikwissenschaftlerin, was sie zu einer Professur an der Universität Bonn führte. Dann kam die Corona-Pandemie. Guérot veröffentlichte eine kleine Streitschrift, in der sie auf dem Höhepunkt der Corona-Schutzmaßnahmen mit diesen abrechnete. Insbesondere eine drohende Zwangsimpfung für jedermann brachte sie auf die Palme.

Und es geschah, was damals vielen Kritikern widerfuhr: Sie wurde medial in die Schwurbler- und Leugnerszene einsortiert. Als sie sich dann in einem weiteren Buch auch noch gegen die Ukraine-Politik der Bundesregierung wandte, war für sie die Messe gelesen.

Das akademische Milieu reagierte mit öffentlichen Distanzierungen, und die Shitstorms nahmen ihren Lauf. Selbst ihre Alma Mater Bonn beteiligte sich daran und verletzte damit mutmaßlich ihre Fürsorgepflicht. Die wissenschaftliche Elite hat ein besonders sensibles Sensorium für die Erwartungen des Zeitgeistes.

Insbesondere die Reaktionen auf einen Auftritt bei Markus Lanz setzten Guérot so zu, dass sich auch körperliche Reaktionen einstellten, über die sie öffentlich sprach. Ihr war damals auch der Spott jener sicher, die sonst für „body positivity“ werben. Es traf diesmal eben einfach die Richtige. Nach der zweiten Welle öffentlicher Kritik wurde sie im Winter 2022 krankgeschrieben und war über Wochen hinweg „depressiv und apathisch“.  

Im Frühjahr 2023 wurde es dann besser. Eine Kur in Indien sollte die abschließende Genesung bringen. Sie wollte „loslassen“, sagt Guérot im Gespräch mit Cicero, meditieren und etwas für ihr Karma tun. Mitten auf der Reise traf ihre Kündigung durch die Uni Bonn ein. Bis heute streitet sie sich mit ihrem Arbeitgeber vor Gericht. Der offizielle Kündigungsgrund: mutmaßliche Plagiate. Guérot hat diesbezüglich aber ein „reines Gewissen“. Möglicherweise war das alles ohnehin bloß der Anlass für die Kündigung und nicht der wirkliche Grund.

Schrecklich sei das alles gewesen, sagt Guérot heute: „Den Gedanken, dass man sich nie wieder in die Gesellschaft trauen kann, wird man nicht so leicht wieder los.“ Es ist das Schicksal von Wissenschaftlern, die in den öffentlichen Raum streben, dass genau dieser anschließend auch über ihre Zukunft mitentscheidet.  

„Wenn das so weitergeht, halte ich das nicht mehr aus“

Auf die Frage hin, ob sie damals auch in Situationen gesteckt hatte, in denen sie nicht mehr leben wollte, stockt Ulrike Guérot kurz. Und dann sagt sie: „Als eine große Tageszeitung im Abstand weniger Tage vernichtende Artikel über mich geschrieben hat, habe ich tatsächlich zu mir gesagt: ‚Wenn das so weitergeht, halte ich das nicht mehr aus.’“

Gerettet hätten sie vor allem zwei Dinge. Zunächst ihre Yogamatte. Und dann noch der Historiker René Schlott. Der habe im entscheidenden Moment morgens vor ihrer Tür gestanden und gesagt: „Komm’, Ulrike, wir gehen einfach spazieren.“ Schlott habe sie in der schwersten Stunde ihres Lebens aufgefangen.

Das war jener Moment im Gespräch mit Cicero, in dem Guérot in Tränen ausbrach. Nicht ihretwegen. Sondern wegen Alexandra Föderl-Schmid. Zu diesem Zeitpunkt legte die Berichterstattung noch nahe, dass sie sich das Leben genommen hätte.

Beide kennen sich aus Wien. Sie hätten sich öfters zum Essen verabredet und sich gut verstanden, sagt Guérot. „Natürlich habe ich das alles sofort auch auf mich bezogen. Alexandra hätte in dem Moment nur einen guten Freund gebraucht, der ihr wieder das Licht zeigt und sagt: ‚Komm‘, Alexandra, wir fliegen einfach nach Teneriffa.’“

Der „Fall Guérot“ dauert nun schon ungefähr zwei Jahre an. Die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht ist für April 2024 angesetzt. Wie sie inzwischen mit der Situation klarkommt? „Ich habe mich daran gewöhnt. Man muss einfach zwei Dinge begreifen lernen: Erstens erreichen auch die großen Tageszeitungen nur wenige Menschen. Und zweitens wird spätestens übermorgen die nächste mediale Sau durchs Dorf getrieben. Die Gesellschaft redet über ein Phänomen, das meinen Namen trägt, nicht über mich“, sagt Guérot.

„Ich habe mein Indien in mir“

Und schließlich wäre da noch Silke Schröder. Man träte ihr sicher nicht zu nahe, wenn man sie als eine „Rechte“ betitelte. Rechts nicht im Nazi-, sondern im ausgesprochen konservativen Sinne. So wie nicht jeder Linke gleich ein Kommunist sein muss.

Schröder, erfolgreiche Immobilienunternehmerin, ist auch als Publizistin und als Moderatorin für TV Berlin tätig. Und sie gehörte zu den Teilnehmern jener ominösen „Wannseekonferenz“ aus dem November 2023, die hunderttausende Menschen aus echter Sorge auf die Straße führte.  

Was nach der Berichterstattung über sie hereinbrach, beschreibt Schröder rückblickend als „ein Stück Dunkelheit“, das sie erfasst habe. Zehn Jahre Arbeit an ihrem beruflichen Erfolg schienen von heute auf morgen auf der Kippe zu stehen: „Ich habe zuerst gar nicht verstanden, was da eigentlich mit mir geschieht.“

Schröder beharrt bis heute darauf, dass die Berichterstattung über angeblich auf der Veranstaltung geplante Massendeportationen „reine Medienerfindungen“ gewesen seien. Selbst der Urheber des „gewünschten Narrativs“, wie Schröder sich ausdrückt, hat inzwischen bestritten, jemals von „Deportationen“ gesprochen zu haben. Obwohl es nicht einmal stimmt. Zahlreiche Qualitätsmedien haben, was angeblich gar nicht gesagt worden sein soll, aber trotzdem kritik- und kommentarlos weiterverbreitet. Und tun es bis heute.

 

Mehr zum Thema:

 

Auf die Frage, ob sie denn im Vorfeld der Veranstaltung gewusst habe, dass der als Rechtsextremist geltende Publizist Martin Sellner einen Vortrag über „Remigration“ halten würde, sagt Schröder bloß: „Nein.“ Auf die Nachfrage, warum sie die Veranstaltung denn nicht verlassen habe, als dies klar wurde, holt sie weiter aus: „Ganz einfach: Ich bin ein offener und neugieriger Mensch. Ich dachte mir, das wäre eine gute Gelegenheit, sich über einen Menschen eine eigene Meinung zu bilden, über den allerhand Sachen geschrieben werden.“

Nachdem bekannt wurde, dass auch Schröder bei dem Treffen am Lehnitzsee dabei gewesen war, zog dann ein Shitstorm über sie hinweg. Der „Verein Deutsche Sprache“ distanzierte sich umgehend von ihrem Privatleben. Selbst Deutschlands Starphilosoph Peter Sloterdijk vertraute auf die Berichterstattung deutscher Qualitätsmedien und verließ den Verein stante pede. Der Verein versicherte sogar öffentlich, mit dem Privatleben Schröders absolut nichts zu tun zu haben. Der Absetzung vom Vorstandsposten, den Schröder bis dahin innehatte, kam sie durch Austritt aus dem Verein zuvor.

Da wäre sie also, Silke Schröder: eine konservative Unternehmerin, die sich privat einen Vortrag angehört hatte. Ohne Vorstrafen, ohne erkennbare extremistische Bestrebung. Bis heute hat sie es nicht einmal zu einem Wikipedia-Eintrag gebracht. Und dennoch war sie plötzlich mittendrin in einem „Geheimplan“ zur angeblichen „Deportation von Millionen von Menschen“. Ihr Ruf ist in weiten öffentlichen Kreisen wenn nicht zerstört, so doch arg beschädigt.

Aus der „Dunkelheit“ des Januar 2024 habe sie am Ende nur durch Meditation herausgefunden, sagt sie. Wie Guérot sei sie ein spirituell orientierter Mensch. In Indien aber war sie nicht, um wieder zu sich zu finden: „Ich habe mein Indien in mir.“

Begleitende Umstände und echte Ursachen

Alexandra Föderl-Schmid, Ulrike Guérot und Silke Schröder: drei ganz unterschiedliche Fälle, und dennoch haben sie einiges miteinander gemein. Es ist Zeit für etwas Nachdenklichkeit.

Beginnen wir ganz am Anfang. Es steht der Vorwurf im Raum, Julian Reichelt und NIUS hätten beinahe das Leben Föderl-Schmids auf dem Gewissen. Man kann das nur unter Inkaufnahme intellektueller und zugleich moralischer Schlamperei behaupten. Gewiss: Julian Reichelt und NIUS dürften eine Rolle in der Angelegenheit gespielt haben. Aber das führt noch lange nicht zu einer Mitschuld.

Stellen Sie sich einfach folgende Situation vor: Sie fahren mit dem Auto auf einer Landstraße. Ein anderes Auto überholt sie, schneidet dabei ihren Weg, woraufhin sie abrupt abbremsen müssen. Dann fahren Sie weiter. Und nach 1000 Metern kommt das Auto eines Betrunkenen von der Gegenfahrbahn ab, rammt sie frontal, und Sie sterben.

Wer ist Schuld an Ihrem Tod? Hätte Sie das überholende Auto nicht rüde geschnitten, hätten Sie nicht bremsen müssen. Und hätten Sie nicht bremsen müssen, wären Sie nicht gestorben. Hat also jener Autofahrer Sie getötet, der Sie rüde überholte? Freilich nicht.  

Schuld an Ihrem Tod ist und bleibt der betrunkene Autofahrer, der Sie frontal gerammt hat. Zwar ist es das Schicksal aller irdischen Lebewesen, in ein Netz gegenseitiger Beeinflussung eingewoben zu sein. Aber das entbindet niemanden davon, echte Ursachen von bloß begleitenden Umständen zu unterscheiden.

Das soll heißen: Wenn man denn behaupten wollte, NIUS und Julian Reichelt seien moralisch schuld am Fast-Tod Föderl-Schmids gewesen, könnte NIUS wiederum darauf verweisen, dass es gar nichts recherchiert und veröffentlicht hätte, wenn Medieninsider im Dezember 2023 dafür nicht den Anlass geboten hätte.

Und Medieninsider wiederum könnte dann sagen, dass es ja gar nichts zu berichten gehabt hätte, wenn Föderl-Schmid nicht (offenbar) plagiiert hätte. Womit wir dann bei der eigentlichen Ursache für die Berichterstattung und den mutmaßlichen Freitodversuch angelangt wären.  

So, wie es derzeit aussieht, ist Frau Föderl-Schmid in doppelter Weise die Ursache ihres „Schicksals“: Sie scheint nicht nur plagiiert zu haben, sondern außerdem über eine für die hiesige Medienlandschaft nicht ausreichende Resilienz zu verfügen. Und all das liegt nicht im Wirkungsbereich von Medieninsider oder NIUS.

Vielleicht hat der Fall Föderl-Schmid sogar sein Gutes

Aber auch das ist noch nicht das vollständige Bild. Schauen wir uns die drei Damen noch einmal genauer an. Deren seelische Widerstandskraft scheint von oben nach unten folgende Reihe zu bilden: Da wäre die Unternehmerin Silke Schröder, die den sie betreffenden Shitstorm offenbar am besten verarbeitet hat. Dann kommt Ulrike Guérot, die in wenigen Momenten auf der Kippe stand. Und dann gibt es Alexandra Föderl-Schmid; bei ihr hätte es auch ganz anders ausgehen können.

Aber genau damit, dass öffentliche Berichterstattung auf seelisch unterschiedlich disponierte Betroffene trifft, muss am Ende jeder Journalist rechnen. Und genau an diesem Punkt beginnt dann doch der Unterschied zwischen echten Ursachen und bloß begleitenden Umständen zu verschwimmen.  

Wenn prinzipiell klar ist, dass die eigene Berichterstattung für den einen bloß eine seelische Irritation, für den anderen aber ein existenzielles Fiasko ist und man als Journalist im konkreten Fall gar nicht weiß, in welcher Situation sich ein Betroffener befindet, ja: Was macht man dann eigentlich?

Wenn jemand gegen seinen Willen in die Öffentlichkeit gezerrt werden soll, müssen zwei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein. Einerseits ist das bloß Private vom Öffentlichen zu unterscheiden. Hinzu tritt aber auch noch das Kriterium der Relevanz. Das öffentliche Interesse ist nicht deckungsgleich mit dem Öffentlichen schlechthin. Es durchschneidet Privates wie Öffentliches gleichermaßen.  

Von echtem öffentlichen Interesse können nur solche Informationen sein, die zur Steuerung und zum Verständnis des Gemeinwesens mindestens nützlich sind. Warum das allerdings bei Silke Schröder der Fall gewesen sein soll, hat bisher niemand schlüssig begründen können. Ihr Fall ist der einer schlichten medialen Verhetzung.

„Möge die ganze Republik jetzt mal sprachlich abrüsten“ 

Auf das Private hingegen können sich weder Föderl-Schmid noch Guérot berufen. Beide strebten selbst in den öffentlichen Raum und müssen sich allein schon deshalb gefallen lassen, den Regeln einer kritischen Öffentlichkeit unterworfen zu werden.  

Ihre Fälle sind zudem auch noch relevant. Die Demokratie ist ohne die Integrität von Wissenschaft und Journalismus schlicht undenkbar. Die Öffentlichkeit kann im Ernstfall um ihrer selbst willen keine generelle Rücksicht auf individuelle Schicksale nehmen.

Eine Rechtfertigung dafür, auf Fakten basierende Berichterstattung durch eine propagandistische Verhetzung der Gesellschaft zu ersetzen, ist das freilich nicht. Die demokratische Öffentlichkeit braucht für ihr Funktionieren solide Fakten, aber keine Häme und keinen Hass. Den geistigen Bürgerkrieg gibt es ohnehin gratis.

Auch wenn es zynisch klingen mag: Vielleicht hat der Fall Föderl-Schmid sogar sein Gutes. Er könnte eine Lehranstalt für journalistischen Anstand sein. Ohne die Preisgabe doppelter Maßstäbe ist dieser aber nicht zu haben. Die Chancen dafür stehen schlecht, ausgerechnet in einer längst verhetzten Öffentlichkeit.

Während dieser Text geschrieben wurde, stellte sich heraus, dass Alexandra Föderl-Schmid doch noch lebt. Sie wurde unterkühlt unter einer Brücke am Inn gefunden und in ein Krankenhaus gebracht. Wenig später meldet sich dann auch Ulrike Guérot nochmal bei Cicero: „Gott sei Dank! Möge die ganze Republik jetzt mal sprachlich abrüsten … Schönes Wochenende!“  

Anzeige