SPD-Mitgliederbefragung zum CDU-Bündnis in Berlin - Wie Giffey im Roten Rathaus kleben bleiben könnte

Die SPD-Mitglieder in Berlin stimmen über ein Bündnis mit der CDU ab. Wenn die Genossen der neuen Regierung am Sonntag eine Absage erteilen, droht der Hauptstadt das politische Chaos. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey könnte dann mit einem Trick trotzdem im Amt bleiben. Zum Schaden der Demokratie.

„Ganz unterschiedliches Gesellschaftsbild“: Franziska Giffey (SPD) und Kai Wegner (CDU) / dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Bis Sonntag entscheiden die Mitglieder der Berliner SPD, ob ihre Partei in Berlin mit der CDU regieren darf. In einem Mitgliederentscheid müssen sie den Koalitionsvertrag von CDU und SPD billigen, der sich mit der Überschrift „Das Beste für Berlin“ recht hochtrabend gibt. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hatte nach der Wahlniederlage ihre Partei vor der Opposition bewahren wollen und schmiedete deswegen mit CDU-Chef Kai Wegner ein neues eigentlich ungeliebtes Bündnis, in dem die Sozialdemokraten dann als Juniorpartner das Rote Rathaus abgeben müssten.

Die SPD-Spitzen geben sich siegessicher. So hätten Giffey und Co-Chef Raled Saleh doch den Christdemokraten einiges abgerungen, heißt es. Das würden am Sonntag die Mitglieder in Reinickendorf und Neukölln nun gutheißen. Beide Parteien sollen im neuen Senat gleich viele Ministerposten erhalten, obwohl die CDU rund 10 Prozent vor den Sozialdemokraten liegt. Auch so umstrittene wie hoch politisierte Fragen wie die Verstaatlichung von Wohnungsbaugesellschaften und die Verschuldung wurden mit Kompromissen befriedet, die doch eher rot als schwarz gefärbt sind.

Doch es rührt sich Widerstand in der SPD. Vor allem jene Sozialdemokraten, die eher in den coolen Innenstadtbezirken beheimatet sind, betonen die Kluft, die es milieubedingt zu den Christdemokraten gibt. Wenn die Mitgliederbefragung aber am Sonntag scheitert, gleicht das für Giffey und die Hauptstadt-SPD einem Super-Gau. Es drohen Chaos und Handlungsunfähigkeit.

Berlin würde zum Krisenfall der Demokratie

Die ungeliebte, weil eigentlich pragmatische und unideologische Giffey könnte kaum die zerbrochenen Teile der zerstrittenen Partei wieder aufsammeln und erneut in ein rot-grün-rotes Bündnis führen. Kaum vorstellbar, dass es neue Koalitionsverhandlungen gibt. Zu sehr haben sich auch Giffey und Grünen-Chefin Bettina Jarasch verhakt. Giffeys Autorität wäre nach Wahlniederlage und gescheiterter Großer Koalition endgültig dahin. Ihr Co-Vorsitzender Saleh aber, ein begnadeter Strippenzieher und Dealer der Macht, hätte weder Charisma noch Format, um von Grünen und Linken zum Regierenden Bürgermeister gewählt zu werden. Mehr Personal hat die SPD gerade (noch) nicht.

Doch es gibt einen legalen Trick, wie sich die Noch-Regierende Giffey retten könnte. Wenn die SPD-Mitglieder ihr nicht den Auftrag zum CDU-Bündnis erteilen, bleibt sie einfach sitzen. Denn die besondere Konstellation mit der Berliner Wiederholungswahl macht es verfassungsrechtlich möglich, dass trotz Neuwahl gar kein neuer Senat durch das Parlament gewählt werden muss. Da es sich lediglich um eine Wiederholungswahl handelt, läuft die Legislaturperiode einfach weiter – und das seit gut einem Jahr. Das bedeutet: Der amtierende rot-grün-rote Senat mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey ist regulär noch bis Herbst 2026 im Amt. Auch ohne neuen Koalitionsvertrag. Sie könnten einfach bleiben, denn auch nach der Wahl haben sie ja eine Mehrheit. Dann gäbe es trotz Wahlniederlage in Berlin ein „Weiter so“, welches man eigentlich vermeiden wollte. Die CDU-Opposition könnte so lange dagegen nichts machen, bis die Grünen bereit wären, ein Bündnis mit der CDU einzugehen. Aber bekanntlich ist die Grünen-Basis noch unkalkulierbarer als die der SPD. Berlin würde zum Krisenfall der Demokratie, wenn Wahlen keine Konsequenzen mehr haben.  

 

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Auch das CDU-SPD-Bündnis wäre natürlich für alle Beteiligten keine Traumhochzeit. Auf konservativer Seite gibt es durchaus Kritik an dem Koalitionsvertrag. Vor allem auch der stark links-grün gefärbte Vetragsduktus stößt manchen auf. So wird der „Regenbogen-Hauptstadt“ ein „Queer-Beauftragte:n der Landesregierung“ verordnet, auch die Bezirke sollen jeweils entsprechende Ansprechpersonen bekommen. Aus der Union heißt es hingegen, die SPD habe zwar die für sie wichtige „Lyrik“ durchgesetzt, die CDU hingegen stehe für handfeste Vorhaben, etwa mehr Polizei, realistische Verkehrspolitik und die Einführung des Religionsunterrichts.

Ein Politikverständnis, das auf Dämonisierung hinausläuft

Dass die CDU bei den Verhandlungen nicht nur klein beigegeben hat, könnte man im Umkehrschluss auch daran ablesen, dass sich bei der sozialdemokratischen Basis durchaus konkreter Widerstand gegen den Vertrag Bahn bricht. Kurz vor der Abstimmung mehren sich auf den einschlägigen Social-Media-Kanälen entsprechende ablehnende Stimmen. Auch die taz versammelte einige Opponenten gegen das neue schwarz-rote Bündnis in Berlin.

Der Juso-Vorsitzende Peter Maaß verblüfft etwa mit der schlichten Feststellung: „Berlins SPD und CDU haben ein ganz unterschiedliches Gesellschaftsbild“, die CDU sollte daher „kein Partner für die Sozialdemokratie“ sein. Abgesehen davon, dass CDU und SPD die zurückliegenden Jahre im Bund und auch schon in Berlin immer wieder zusammen regiert haben, zeigt sich hier ein Politik- und Demokratieverständnis, welches die Polarisierung offenbar für ein höheres Staatsziel hält.

Liest man die Kommentare, die sich gegen ein CDU-SPD-Bündnis wenden, verfestigt sich der Eindruck, dass die Regierung nicht etwa für die Lösung der gravierenden Probleme der Stadt gebildet werden müsste, sondern Politik vor allem dazu da ist, einen wie auch immer gearteten identitätspolitischen oder allgemeinen gesellschaftlichen Kulturkampf zu führen. „Ich möchte nicht, dass die SPD einer Partei den Weg ins Rote Rathaus ebnet, die massiv am rechten Rand fischt und die Rassismus als politisches Mittel benutzt“, schreibt Carmen Sinnokrot, Co-Vorsitzende Forum Netzpolitik der Berliner SPD.

„Regieren mit dieser Berliner CDU, das geht für mich nicht“, heißt es. So ein Politikverständnis, das auf Dämonisierung hinausläuft, das gibt es auch auf konservativer Seite. Es könnte dann zur Unregierbarkeit der Stadt führen. Wenn die ideologisierten Lageridentitäten so massiv werden, dass Symbolpolitik zum eigentlichen Wesen des Politischen wird, dann paralysiert sich die Gesellschaft selbst.

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