Sondersitzung zu Aiwanger im Bayerischen Landtag - Antisemitismus als Show-Einlage

Auf Antrag von Grünen, SPD und FDP hat Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner am Donnerstag einen sogenannten Zwischenausschuss zu den Vorwürfen gegen Hubert Aiwanger einberufen. Doch zwischen Aufarbeitung und Instrumentalisierung liegt ein schmaler Grat.

Florian von Brunn, Chef der Bayern-SPD, im Zwischenausschuss zur Causa Aiwanger / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Ein interessanter Punkt an der Flugblatt-Affäre um den bayerischen Vize-Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger ist die Frage, wer aus der ganzen Nummer am Ende als Verlierer und wer als Sieger hervorgehen wird. Für einen politischen Skandal oder, je nach Perspektive, eine mediengemachte Affäre mit dem Ziel der politischen Vernichtung, die sich auf einen einzelnen Politiker bezieht, ist das ziemlich ungewöhnlich. In der Regel schaden Skandale demjenigen, der im Zentrum des Skandals steht. Doch in der Causa Aiwanger ist das anders. 

Ministerpräsident Markus Söder hatte sich bereits am Wochenende hinter Aiwanger gestellt und eine Fortführung der Regierungskoalition mit den Freien Wählern verkündet. Kurz darauf zeigte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa, dass die Zustimmung der Bayern zu den Freien Wählern nicht etwa ab, sondern im Zuge der Affäre sogar deutlich zugenommen hat: um vier Prozent, während die Grünen um einen Prozentpunkt abrutschen.

Damit verdrängen die Freien Wähler (jetzt 15 Prozent) die Grünen (jetzt 14 Prozent) nicht nur von Platz Zwei auf Drei, sondern zwingen sie damit auch auf Augenhöhe mit der AfD, die ebenfalls auf 14 Prozent Zustimmung kommt. Es deutet also manches darauf hin, dass die Freien Wähler gestärkt aus dieser Affäre hervorgehen werden und jene, die sich als Ankläger Aiwangers im Wahlkampf zu profilieren suchten, genau das Gegenteil des gewünschten Effekts erzielen werden. 

„Ein Gebot der Fairness“

Das ändert gleichwohl nichts daran, dass Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner am Donnerstag einen sogenannten Zwischenausschuss auf Antrag der Grünen, der SPD und der FDP zu den Vorwürfen gegen Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger einberufen hat. Die Oppositionsparteien fordern mehr Transparenz von Aiwanger und stören sich etwa daran, dass dieser einen 25 Fragen umfassenden Katalog, der ihm von Markus Söder vorgelegt wurde, nicht ausreichend klar beantwortet haben soll. Zu viel Berufung auf angebliche Erinnerungslücken, zu viel Blabla, zu wenig Reue. 

 

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Mit dem Unterschied, dass die FDP, anders als Grüne und SPD, zuvor nicht gefordert hatte, Aiwanger aus dem Amt zu entfernen. Warum, das begründete der FDP-Abgeordnete Matthias Fischbach am Donnerstag, indem er sagte, die FDP wolle keine Vorverurteilung Aiwangers, sondern erst noch offene Fragen klären. Daher beantragte die Oppositionspartei eine Befragung Aiwangers im Zwischenausschuss am Donnerstag, was eine Abweichung von der Geschäftsordnung darstellen würde. „Das Parlament sollte seinen Teil zur Klärung beitragen“, sagte Fischbach. Dies sei auch „ein Gebot der Fairness gegenüber Hubert Aiwanger“. 

Tobias Reiß von der CSU sah das am Donnerstag anders und plädierte dafür, eine solche Befragung zu unterlassen. „Es geht hier nicht um eine Sachfrage, sondern eine kleine Show-Einlage, die von Seiten der Opposition geplant wird“, sagte Reiß. Außerdem habe Markus Söder ja bereits mit Aiwanger gesprochen und eine Entscheidung getroffen. Die Freien Wähler sahen das wenig überraschend genauso, sprachen, in Person des Landtagsabgeordneten Fabian Mehring, ebenfalls von einer „Show-Einlage“ und von einem „Tribunal“. Außerdem stehe eine Mehrheit der bayerischen Wähler, so Mehring, hinter der Entscheidung Söders in der Causa Aiwanger. In der Folge wurde der Antrag abgelehnt. 

Wie ein Stuhlkreis einer evangelischen Ortsgemeinde

Was aus Sicht der CSU und der Freien Wähler nicht zu verhindern war, waren Wortbeiträge einzelner Abgeordneter im Anschluss an den gescheiterten Versuch, Aiwanger vor den Augen der Politiker im Saal und der Öffentlichkeit ins Verhör zu nehmen. Den Beginn machte Ludwig Hartmann von den Grünen. „Herr Aiwanger, was verstehen Sie unter Reue und Demut? Bewerten Sie ihren Umgang mit den Vorwürfen gegen Sie als angemessen für einen Vize-Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister? Wie wollen Sie das Vertrauen der jüdischen Gemeinden zurückgewinnen?“, fragte Hartmann rhetorisch und warf Aiwanger vor, sich zum Opfer in der Angelegenheit stilisiert zu haben.

Eine ganze Reihe weiterer rhetorischer Fragen folgte. Etwa: „Wie klingt für Sie eine ehrliche Entschuldigung? Wie Bedauern?“ Der Auftritt Hartmanns genügt an dieser Stelle eigentlich exemplarisch für weitere Wortbeiträge am Donnerstag, die bisweilen wirkten, als handelte es sich bei dieser Veranstaltung nicht um eine Sondersitzung des Bayerischen Landtags, sondern um einen Stuhlkreis einer evangelischen Ortsgemeinde, die über die Last der Welt auf ihren Schultern klagt. Hartmanns Parteifreundin Katharina Schulze zum Beispiel sagte am Donnerstag in ihrem Wortbeitrag mit ernster Miene: „Das Lied der Rechtspopulisten zu singen, macht deren Chor nur lauter und größer.“  

Zweifellos war das Flugblatt, das Aiwanger als Jugendlicher in seinem Schulranzen gehabt haben soll, geschmacklos. Gleichwohl sollte man in Zusammenhang mit dieser Affäre auch ehrlich fragen, wann Antisemitismus noch bekämpft, wann bereits für politische Zwecke vor einer anstehenden Landtagswahl instrumentalisiert wird. Florian von Brunn, SPD: „Schule darf kein Schutzraum sein für neonazistische Umtriebe.“ Gerade so, als wäre ein geschmackloses Flugblatt bereits ein Indiz für braune Strukturen auf einem bayerischen Pausenhof; als bärge das Auftauchen eines solchen Pamphlets die Gefahr, dass sich diverse Dreikäsehochs zeitnah zum Sturm auf den Reichstag aufmachen. 

Wer ist es eigentlich, der hier spaltet? 

Damit wir uns nicht falsch verstehen. Ein solches Flugblatt ist keine Lappalie. Aber der Aufruhr drumherum, der große Beitrag in der SZ, die Tatsache, dass Aiwanger es damals wohl nicht selbst verfasst hat, der riesige Aufschrei, der deshalb heute durchs linkspolitische Milieu geht, diese Sondersitzung: Das alles steht in keinem Verhältnis mehr zur Affäre. Der Vorwurf von von Brunn, Aiwanger wolle aus der Sache politisches Kapital schlagen, fällt daher mindestens in gleichem Maße auf die SPD zurück. Ebenso auf die Grünen und in Teilen auf die FDP. Wobei Letztere in Person von Martin Hagen immerhin einräumte, dass Menschen zweite Chancen verdient hätten; auch Politiker. Gleichwohl kritisierte auch Hagen die Reaktionen Aiwangers auf die Affäre, sprach davon, dass Aiwanger nicht aufrichtig mit der Angelegenheit umgegangen sei. Das kann man durchaus so sehen.  

Laut SPD-Politiker Florian von Brunn habe Aiwanger „eine große Verantwortung“ gegenüber dem Freistaat Bayern und den Menschen, die dort leben. Aiwanger aber, so von Brunn, der am Donnerstag auch eine Brücke zu Aiwangers Auftritt in Erding schlug, wiegele Menschen auf, handle rechtspopulistisch, bereite „den Gefährdern der Demokratie“ den Boden. Aiwanger müsse die Menschen zusammenführen, nicht spalten, so von Brunn. Eine Aussage, die man genauso unterstreichen könnte. Könnte wohlgemerkt, wären da nicht die Umstände. 

Denn angesichts dieser Show-Einlage am Donnerstag, in der es nicht um Erkenntnisgewinn ging, sondern um den moralischen Zeigefinder, darum, sich als Opposition kurz vor der Landtagswahl zu profilieren, darum, eine zweifellose Geschmacklosigkeit zur Gefahr für die Demokratie aufzublasen, während man selbst, die FDP ausgenommen, gemeinsame Sache mit Linksextremisten macht und Antisemitismus ignoriert, wenn dieser importiert wurde; ja, angesichts all dessen und mehr möchte der Autor dieser Zeilen ebenfalls rhetorische Fragen stellen: Bewerten insbesondere die Grünen und SPD ihren Umgang mit Aiwanger in den vergangenen Tagen als angemessen? Was ist Aufrichtigkeit? Und wo verläuft für Grüne und SPD eigentlich die Grenze zwischen politischer Aufarbeitung und parteipolitischer Instrumentalisierung? 

 

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