Die Scholz-Regierung nach den Landtagswahlen - Sieben Monate Zeit zur Deutschland-Rettung

Nach der Wahlniederlage der Ampel-Parteien in Hessen und Bayern muss Bundeskanzler Olaf Scholz in der Migrationskrise eine radikale Neuaufstellung versuchen. Sonst triumphiert im kommenden Jahr die extreme Rechte. 

Immerhin gab’s Blümchen: Die SPD-Spitzenkandidatin aus Hessen, Nancy Faeser, mit Kanzler Olaf Scholz / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Anzeige

Es gibt eine gute Nachricht für die Regierung von Olaf Scholz (SPD) nach diesem verheerenden Wahlsonntag: Die nächsten Wahlen sind erst im Juni 2024. Erst die Europawahl, dann im September Landtagswahlen im Osten. Bis dahin hat die Ampel eine Atempause, zumindest was Denkzettel angeht, die der Bürger persönlich ausstellen kann. Doch eigentlich ist es keineswegs Zeit zum Verschnaufen, sondern vielmehr die unwahrscheinliche Chance, nach der desaströsen Performance der letzten Monate nun durch harte Arbeit Vertrauen zurückzugewinnen. Es ist so etwas wie die letzte Chance für die selbsternannte Fortschrittskoalition.

Die kommenden rund sieben Monate entscheiden über die Zukunft der Bundesrepublik. Es sind sieben Monate, in denen – ohne kurzfristige auf Wahltermine ausgerichtete Strategien – schwierige Entscheidungen getroffen, Fehlentwicklungen gestoppt und ideologische Überdrehung eingemottet werden könnten. Doch ob die Ampel dazu die Kraft noch hat, ist mehr als ungewiss. In rund einem Jahr beginnt die Vorwahlzeit vor der nächsten Bundestagswahl 2025, dann sind große Dinge kaum mehr möglich, weil die Parteizentralen wieder die strategische Oberhand gewinnen. Der Neuanfang für Scholz muss also jetzt kommen, oder er kommt nie.

Nancy Faeser, die vielgescholtene Bundesinnenministerin, ist so etwas wie die tragische Figur in dieser Lage. Sie hat als SPD-Spitzendkandidatin und Wahlkämpferin in Hessen sehr wohl gemerkt, dass die Migrationskrise zu Gretchenfrage der deutschen Politik geworden ist. Auch wenn manche Bewohner des sozialdemokratischen Elfenbeinturms in Berlin dies noch gerne wortreich leugnen. Faeser wusste es besser. Doch die Erkenntnis kam zu spät.

Die Wahlverliererin sitzt in Berlin mit am Kabinettstisch

Faeser hatte sogar als Innenministerin in Berlin die Verantwortung für dieses Thema mit in der Hand und hat versucht, Handlungsbereitschaft und auch Umdenken in dieser Sache zu zeigen und dann auch in den Wahlkampf einzubringen. Dass sie dennoch eine Niederlage eingefahren hat, ist wenig verwunderlich. Faeser war in einer Zwangslage, wie sie wenige vor ihr aushalten mussten. Sie trug die Bundespolitik als Person mit in den Landtagswahlkampf. Was ein Vorteil sein sollte, wurde zum Klotz am Bein. Jeder sozialdemokratische No-Name hätte für die SPD in Hessen besser in den Wahlkampf ziehen können als Faeser.

Doch nun sitzt die Wahlverliererin in Berlin mit am Kabinettstisch. Scholz wird sie kaum auswechseln können, zum einen mangels Personalangebot, zum anderen ist der Anlass politisch der Falsche. Eine Niederlage im Land disqualifiziert nicht für den Bund. Der Kanzler müsste nun aus der Not eine Tugend machen. Faeser müsste seine Unterhändlerin sein, um nun mit der Union tatsächlich einen Deutschlandpakt Migration zu verhandeln. Als ihre letzte Chance. Und als Chance für das Land.

 

Mehr zum Thema:

 

Die Mehrheit der Hessen wünscht sich laut Umfragen eine Koalition aus CDU und SPD und nicht die Fortsetzung von Schwarz-Grün. Das ist verblüffend, regieren Ministerpräsident Boris Rhein und Tarek Al-Wazir doch friedlich und uniideologisch zusammen. Doch beim Mutterthema Migration lässt sich mit den Grünen keine wirkliche Kehrtwende hinlegen, weder im Land noch im Bund, das spüren offenbar die Wähler. Wenn vor den Wahlen im nächsten Jahr der Strom der Protestwähler Richtung Rechtsaußen gestoppt werden soll, dann muss sichtbar und erlebbar Migration nach Deutschland reduziert werden. Möglicherweise geht das in Berlin auch nur ohne die Grünen oder nur mit der CDU. Das muss sich Olaf Scholz genau überlegen.

Für die aktuelle Migrationskrise gibt es nicht den einzelnen Knopf, den man drücken müsste, um zur Lösung zu gelangen. Die vielen kleinen und größeren Schritte aber werden schnell im politischen Ringen zerrieben. Es wird besonders den Grünen viel abverlangen, wenn sie in der Ampel bleiben und zugleich bei einer konzertierten Aktion zur Migrationspolitik dabei sein will. Die Themen sind: sichere Herkunftsländer, Grenzkontrollen, Sachleistungen statt Geldleistungen, Abkommen mit Drittstaaten und auch Internierung an den Grenzen. Es ist schwer vorstellbar, dass sich die Grünen hier schnell bewegen, auch wenn einige prominente Personen dies fordern. Den Stopp der Finanzierung von Rettungsschiffen lehnt Bundesaußenministerin Annalena Baerbock schon mal ab, obwohl so indirekt das illegale Schlepperwesen befördert wird.

Glaubenssätze im linken Lager

An diesem Montag berühren sich dabei die zwei Schlagzeilen-Themen Israel und Migration auf fast unheimlich Art und Weise. Während in Israel die Menschen unter dem Terrorangriff der blutrünstigen Hamas leiden, gehen in Berlin-Neukölln Palästinenser auf die Straße, feiern das kriegerische Morden der Juden und verteilen Süßigkeiten. Das ist ein derartig schreckliches Bild, dass nun von der Regierung klare Entscheidungen gefordert sind. Ist die Ampel dazu in der Lage?

Es braucht einen Stopp von Zahlungen in den Gazastreifen, die möglicherweise der Terrorfinanzierung dienen können. Einstweilen haben Deutschland und die EU alle Zahlungen an die palästinensische Seite eingestellt. Nun wollen die Ministerien sämtliche Projekte prüfen, hoffentlich geht das schnell. Es braucht Verbote von radikalen Vereinigungen in Deutschland, die direkt oder klammheimlich den Islamismus unterstützen. Es braucht ein integrationspolitisches Signal, dass das Existenzrecht Israels zur deutschen Staatsraison gehört und hier jede bunte Toleranz aufhört. Es braucht endlich einen realistischen Kampf gegen den eingewanderten Antisemitismus. Und im neu ausgerufenen Kampf gegen Islamfeindlichkeit darf sich keine Judenfeindlichkeit verstecken.

Das alles rührt direkt oder indirekt an Glaubenssätze, die sich bei den Grünen und im linken Lager der SPD festgesetzt haben. Wenn die nationale und internationale Krisenlage nicht so dramatisch eskaliert, dann können solche Positionen sich im demokratischen Diskurs gemütlich einsortieren. Doch wie wird Bundeskanzler Olaf Scholz jetzt seine Regierung aufstellen, wenn es überall lichterloh brennt. Er hat sieben Monate Zeit, das Ampel-Bündnis neu aufzustellen. Eine Zeitenwende, könnte man sagen, wenn das Wort nicht schon etwas überbeansprucht wäre.

Anzeige