Sanktionen gegen Russland - „Diese besondere Lage erfordert auch besondere Ausgaben“

Der CDU-Politiker Tilman Kuban fordert ein sofortiges Öl- und Gasembargo gegen Russland, auch wenn das für Deutschland teuer wird. Im Cicero-Interview spricht er außerdem über die neue Rolle der Union als Oppositionspartei, die Impfpflicht, die AfD, den Zustand der Bundeswehr, die horrende Staatsverschuldung und die Gewährleistung der Energiesicherheit.

Deutschlands Industrie ist auf russische Gas-Importe angewiesen / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Tilman Kuban (CDU) ist seit 2019 Bundesvorsitzender der Jungen Union und seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages.

Herr Kuban, Sie sind erst seit wenigen Monaten Bundestagsabgeordneter. Haben Sie den Eindruck, dass ihre Fraktion schon in der Opposition angekommen ist?

Für uns Jüngere, die jetzt neu im Bundestag sitzen, ist das natürlich ein anderer Start als für diejenigen, die in den letzten Jahren in der Regierung waren. Wir Jüngere tauschen uns viel aus, bringen da gerne auch mal eine andere Sichtweise ein und werden viel unterstützt. Insgesamt hält Friedrich Merz die Fraktion sehr gut zusammen.

Bei der Impfpflicht haben wir zuletzt gesehen, wie CDU/CSU agieren. Ist Totalopposition der richtige Weg?

Nein, Frontalopposition ist nicht unsere Strategie. Es geht darum, was ist der richtige Weg für Deutschland und Europa. Wenn wir etwas für richtig halten, werden wir zustimmen. Wenn etwas aus unserer Sicht falsch ist, werden wir es ablehnen. Daher habe ich für den Impfpflicht-Antrag der Union gestimmt, weil er jetzt der richtige Weg ist. Wir brauchen in der aktuellen Phase der Pandemie keine Impfpflicht, sondern ein Impfregister. Damit sind wir auf neue, tödlichere Varianten des Coronavirus oder andere Virus-Pandemien besser vorbereitet. Das hat die Ampel leider abgelehnt.

Wie ist es, neben der jubelnden AfD zu sitzen? Was bedeutet das für die Oppositionsarbeit?

Für mich ist es immer noch schockierend, zu sehen, wie die AfD-Leute sich verhalten, wie widerlich sich diese Fraktion präsentiert. Und jeder, der meint, dass diese Leute mit der Union etwas zu tun haben, dem biete ich gerne einen Praktikumsplatz an, um zu sehen, wie die sich hier im Bundestag aufführen. Das hat mit konservativer Haltung nichts zu tun. Da gab, gibt und wird es keine Zusammenarbeit geben.

Die nächste Bewährungsprobe für die Opposition steht schon an. Werden Sie dem 100-Milliarden-Euro-Sonderetat zustimmen, wenn gleichzeitig im sogenannten Kernhaushalt der Verteidigungsetat nicht steigt?

Der Bundeskanzler hat gesagt, dass wir ab jetzt dauerhaft das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erreichen werden. Und das halte ich für richtig. Wenn die Maßnahmen, die die Bundesregierung hoffentlich demnächst vorschlägt, geeignet sind, dann werde ich auch zustimmen. Entscheidend ist, was am Ende im Paket drin ist. Die 100 Milliarden müssen zusätzlich für Ausrüstung und Material der Bundeswehr und damit für die Wehrhaftigkeit der Demokratie, die Verteidigungsfähigkeit und die Sicherheit Deutschlands eingesetzt werden. Nichts anderes.

Sie stimmen also auch zu, wenn der Wehretat direkt nicht steigt?

Die Idee des Sondervermögens darf kein Taschenspielertrick sein – nach dem Motto: Mit den 100 Milliarden Euro erhöhen wir dann auf die nächsten fünf Jahre mit je 20 Milliarden Tranchen den Verteidigungsetat, um so das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Das ist Augenwischerei, weil der Haushalt nicht nachhaltig anwächst und das strukturelle Problem einfach der Nachfolgeregierung übergeben wird. Mir macht aber ganz grundsätzlich Sorge, dass die neue Schuldenkultur Schule macht. Es kann nicht sein, dass jedes neue Thema, das auftaucht, mit einem Sondervermögen beantwortet wird. Denn auch, wenn es neuerdings Sondervermögen heißt, sind es eigentlich Sonderschulden. Das ist schlicht ungerecht den nachfolgenden Generationen gegenüber.
 
Rund 250 Milliarden Euro Schulden in einem Jahr. Wie muss gegengesteuert werden?

Natürlich befinden wir uns in einer besonders schwierigen Lage derzeit, weil wir heute noch nicht wissen, wie sich dieser Ukraine-Krieg entwickelt. Wir werden auch in anderen osteuropäischen Staaten mit erheblichen Lasten zu kämpfen haben und müssen sie unterstützen. Von daher erfordert diese besondere Lage auch besondere Ausgaben. Die Frage ist nur, können wir uns in Deutschland bei diesen besonderen Lasten noch alles leisten, im Bereich des Staatswesens, der Bürokratie, aber auch manch Liebgewonnenes im mit Abstand größten Einzeletat, dem für Arbeit und Soziales. Da müssen wir dringend gegensteuern.

Zum Thema Ukraine: Sie haben ein Kohle- und Ölembargo gegenüber Russland gefordert. Fürchten Sie die wirtschaftlichen Folgen nicht?

Tilman Kuban / dpa

Wir diskutieren das Ganze nur durch die deutsche Brille. Wir befinden uns aber in einer historischen Situation. Es geht um die Kernfrage: Wird Wladimir Putin diesen Krieg gewinnen oder wird er ihn verlieren? Der Westen muss alles dafür tun, dass Putin diesen Krieg verliert. Das ist die historische Aufgabe unserer Zeit. Dazu zählt auch, ihm schnellstmöglich den Geldhahn zu zudrehen. Für sein Öl kassiert er jeden Tag eine Milliarde US-Dollar, für das Erdgas werden jeden Tag 400 Millionen US-Dollar gezahlt. Gleichzeitig muss man dazu wissen, dass die Einnahmen aus dem Ölgeschäft – viel mehr als beim Gas – direkt in seinen staatlichen Haushalt fließen. 40 Prozent seiner Haushaltseinnahmen kommen aus den Ölverkäufen. Deswegen plädiere ich so sehr dafür, dass wir das Öl nicht mehr in Russland kaufen. Ja, es wird teurer für uns werden, aber wir können es substituieren. Und deswegen halte ich es für den richtigen Schritt, mit Kohle und Öl zu starten. Denn wir dürfen Putin nicht mit Angst begegnen, sondern mit der Stärke des Westens.

Wann sollte der Lieferstopp für Kohle und Öl aus Russland beginnen?

Möglichst sofort.

Wie groß ist die Mitverantwortung der CDU für den Zustand der Bundeswehr?

Man muss zwei Dinge unterscheiden. Das eine ist die Frage, sind in den letzten Jahren die etwas mehr als 50 Milliarden Euro für die Bundeswehr im Verteidigungshaushalt richtig verwandt und effizient eingesetzt worden? Da trägt auch die Union eine Mitverantwortung. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, sind 50 Milliarden genug für die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands? Bei der zweiten Frage war es immer die Union, die jedes Jahr wieder in allen Haushaltsverhandlungen darauf gedrungen hat, neue Waffensysteme zu beschaffen, mehr Geld in die Hand zu nehmen. Ich erinnere mich daran, dass über sage und schreibe sechs Drohnen gestritten wurde, hier in diesem Haus. Das war mit der SPD, das war Wahnsinn. Und ich bin froh, dass der ehemalige Vizekanzler und Finanzminister heute als Bundeskanzler begriffen hat, dass die Position seiner SPD in den letzten Jahren falsch gewesen ist.

Die CDU steht jetzt vor zwei wichtigen Landtagswahlen. Wie muss sich denn ihre Partei aufstellen? Muss vielleicht noch mal eine deutlichere Distanz markiert werden zur CDU-geführten Vorgängerregierung, weil manche Probleme heute aus dieser Zeit herrühren?

Im internationalen Vergleich steht Deutschland, gerade was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit angeht, in vielen Bereichen gut da. Ja, es ist mit Sicherheit nicht alles nur gut gelaufen in den letzten Jahren. Aber wir müssen jetzt auch nicht in Sack und Asche gehen. Wir sind immer noch eine der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt. Und diese Stärke haben wir am Ende gerade auch der unionsgeführten Bundesregierung der letzten Jahre zu verdanken. Franz Josef Strauß hat immer gesagt: Es kommt in der Politik nicht darauf an, das zu tun, was ankommt, sondern das zu tun, worauf es ankommt. Und das haben wir vielleicht in Sachen Geo- und Sicherheitspolitik in den letzten Jahren zu wenig beherzigt. Nichtsdestoweniger helfen irgendwelche innerparteilichen Dinge gerade niemandem in der Ukraine.  

Muss der Ausstieg der Atomenergie rückgängig gemacht werden?

Wir lösen die Probleme von morgen nicht mit den Technologien von gestern. Aber wir müssen kurzfristig die Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleisten. Die drei Meiler, die momentan laufen, kann man möglicherweise für ein paar Jahre weiterlaufen lassen. Sie beliefern immerhin zehn Millionen Haushalte in Deutschland mit Strom, was gerade in dieser sehr schwierigen Phase ein Beitrag zur Energiesicherheit wäre. Denn auch um die zehn Prozent des Gases werden verstromt. Aber eines ist mir ganz wichtig: Die Union kann nicht nur von den Grünen einfordern, ihre heilige Kuh der Atomkraft zu schlachten, und selbst bei den Ausbauzielen für erneuerbare Energien auf der nicht ausreichenden Position beharren. Wer für eine moderne, zukunftsfähige Energiepolitik stehen will, muss man in allen Bereichen neue Wege gehen. Dafür muss jedes Bundesland seinen Anteil zur Energiewende beitragen. Ich bin dafür, dass die Länder selbst entscheiden, ob über Wind, Solar oder Wasserkraft, aber am Ende muss die Einspeisemenge stimmen. Das tut sie aktuell nicht überall in der Republik.

Nach der Bundestagswahl haben die Grünen und die FDP gesagt, die Union sei leider nicht regierungsfähig. wie bewerten Sie nun die Ampel?

Annalena Baerbock und Robert Habeck machen ihre Sache als Minister mitunter besser als erwartet. Ich stelle mir allerdings vielmehr die Frage, ob Christine Lambrecht ihrem Amt gewachsen ist. Es ist beschämend, wenn man sieht, wie langsam die Freigabeprozesse im Verteidigungsministerium für die Ausfuhr von Waffen in die Ukraine laufen. Und wenn die dann endlich mal freigegeben sind, brauchen Waffen aus Deutschland mehr als sechs Tage, bis sie endlich mal in der Ukraine sind. Zu den 5000 Helmen fällt mir sowieso nur noch wenig ein. Wenn es dem Kanzler ernst ist, muss er das Sondervermögen und Waffenlieferungen für die Ukraine zur Chefsache erklären. Stattdessen wirkt sein Auftreten in diesen Tagen auch zynisch, wenn er lieber SPD-Wahlkampf macht statt mit den anderen europäischen Spitzenpolitikern nach Kiew zu reisen.

Zum Schluss: Sie sind ein Fußballfan. Freuen Sie sich auf die Weltmeisterschaft in Katar?

Was den Energieimport aus Katar angeht, befinden wir uns wirklich in einem Dilemma. Da wechseln wir von einem sogenannten „lupenreinen Demokraten“ zum nächsten. Deswegen kann man sich nicht wirklich über diese neue Partnerschaft mit Katar freuen, obwohl sie notwendig ist. Aber davon unabhängig freue ich mich sportlich auf die Weltmeisterschaft, und ich würde mich noch mehr freuen, wenn sie anderswo stattfinden würde. Aber wo auch immer: Deutschland wird natürlich Weltmeister.

Die Fragen stellte Volker Resing.

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