Wagenknechts Abschied von der Linkspartei - Der Todesstoß

Sahra Wagenknecht will nicht mehr für Die Linke kandidieren – ob sie eine neue Partei gründet, lässt sie derweil noch offen. Mit ihrer Haltung zum Ukrainekrieg und der „Friedenskundgebung“ vom vergangenen Wochenende hat sie den endgültigen Bruch konsequent herbeigeführt. Fakt ist: Eine von ihr angeführte „Wagenknecht-Bewegung“ würde das Ende der Linkspartei besiegeln.

Sahra Wagenknecht bei der sogenannten Friedenskundgebung am vorigen Wochenende / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Das an die Presse lancierte „interne Sondierungspapier“ der Berliner SPD enthält viele böse Spitzen gegen die Grünen und soll vor allem die sich anbahnende Koalition mit der CDU rechtfertigen. Es ist also mit Vorsicht zu genießen, und die Gescholtenen haben inzwischen mit einem Gegen-Papier reagiert. Ein bisschen vernachlässigt wurde bei dem Scharmützel allerdings ein anderes Argument, mit dem die Sozialdemokraten ihren Unwillen begründeten, in der Hauptstadt die bisherige rot-rot-grüne Koalition fortzusetzen: die ungewisse Zukunft der Linkspartei. Wörtlich heißt es in ihrem internen Memorandum: „Es bestehen keine Zweifel an der verbindlichen Herangehensweise und Verabredungsfähigkeit der politischen Führung der Linkspartei. Dennoch steht die Partei vor einer Zerreißprobe, deren Ausgang aktuell ungewiss erscheint. Zentrale Protagonist:innen arbeiten derzeit aktiv an einer Spaltung der Partei.“

Auch ohne Namen zu nennen war natürlich klar, wer damit gemeint war: Sahra Wagenknecht. Die notorische Abweichlerin hatte bereits Anfang dieser Woche in einer Talkshow sehr deutlich gemacht, dass sie ihre Zukunft eher nicht bei der Linken sieht („die Partei, der ich derzeit noch angehöre“). Am Freitagabend erfolgte dann die endgültige Klarstellung: Wagenknecht will nicht mehr für Die Linke als Bundestagskandidatin antreten. Ob sie sich nach Ende der Legislaturperiode dennoch weiter politisch engagieren oder nur noch publizistisch betätigen will, ließ die 53-Jährige offen. Auf die Frage zur möglichen Gründung einer neuen Partei antwortete Wagenknecht im Gespräch mit der Zeitung Die Rheinpfalz sibyllinisch: „Darüber wird an vielen Stellen diskutiert.“ Man kann also davon ausgehen, dass sie derzeit die Chancen einer Neugründung eruiert, nachdem mit der Bewegung „Aufstehen“ ein erster Versuch vor einigen Jahren gescheitert war.

„Ehrlichen Herzens für Frieden und Verhandlungen“

Inzwischen hat sich die politische Gemengelage aber noch einmal verändert: Die Linkspartei befindet sich im Niedergang und ist nur aufgrund dreier gewonnener Direktmandate in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat die inneren Spannungen noch einmal erhöht – die sogenannte Friedenskundgebung Wagenknechts mit Alice Schwarzer vor einer Woche am Brandenburger Tor markierte in diesem Zusammenhang einen vorläufigen Kulminationspunkt. Denn die Veranstaltung war nicht nur von etlichen Vertretern der Reichsbürgerszene und anderen politischen Irrlichtern besucht worden; auch die AfD fand Gefallen an der Demo. Wogegen sich die Veranstalter zwar kaum zur Wehr setzen können, aber zu einer klaren Distanzierung war Sahra Wagenknecht eben auch nicht bereit: Es sei jeder „herzlich willkommen“, „der ehrlichen Herzens für Frieden und Verhandlungen demonstrieren will“, lautete ihre Botschaft.

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Worüber mit Putin verhandelt werden soll, wer das tun könnte und ob der Kreml überhaupt zu Gesprächen bereit wäre: Auf solche naheliegenden Fragen gingen die Redner bei der Kundgebung bekanntlich nicht ein. Und zumindest Wagenknecht ist auch nicht so naiv, als dass sie nicht um die Vergeblichkeit ihrer „Friedensinitiative“ wüsste. Vielmehr nutzt sie das aktuelle Momentum konsequent, um noch einmal einen Spalt in die Linkspartei zu schlagen, und zwar an einer äußerst empfindlichen Stelle: es ist der Punkt, an dem Pazifismus, Antiamerikanismus, DDR-Nostalgie und Russlandverehrung zusammenfinden. Eine innerparteiliche Sollbruchstelle, die mit ein bisschen Geschick nur wenig unter Druck gesetzt werden muss, um das fragile Konstrukt einer zwischen woker Identitätspolitik und klassischen Umverteilungs- beziehungsweise Arbeitnehmerinteressen stehenden Linken den Todesstoß zu versetzen.

Positionen vor allem im Osten anschlussfähig

Wagenknecht selbst mag in ihrer Partei zwar umstritten sein, ihre Positionen sind zumindest an der Basis aber keineswegs randständig. Mit ihrer Haltung zum Ukrainekrieg dürfte sie in den östlichen Bundesländern sogar eine Mehrheit der Linke-Wähler hinter sich wissen, die diesen militärischen Konflikt für mehr oder weniger unvermeidliche Nachwehen des Zerfalls der Sowjetunion halten – und schlicht nichts damit zu tun haben wollen. Verbreitete Ressentiments gegenüber der Nato und den Vereinigten Staaten mögen noch dazu kommen und verfangen längst nicht nur in großen Teilen des Elektorats der Linkspartei, sondern eben auch sehr weit rechts davon. Sozial, anti-globalistisch, amerikaskeptisch: Mit dieser weltanschaulichen Mischung, für die übrigens auch Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine geradezu exemplarisch steht, lassen sich zweifelsfrei viele Wähler mobilisieren – nicht nur im Osten, aber dort ganz besonders.

Oskar Lafontaine hatte schon vor knapp einem Jahr seinen Austritt aus der Linkspartei bekanntgegeben; 2005 war der heute 79-Jährige von der SPD zur damals neuen „Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit“ (WASG) gewechselt, die er später mit der PDS zur Linkspartei fusionierte. Mit politischen Seitenwechseln und Parteineugründungen kennt man sich also gut aus im Hause Lafontaine/Wagenknecht, und der eine wie die andere sind nicht bekannt dafür, auch mal klein beizugeben. Es ist also durchaus plausibel, dass Wagenknecht trotz der schlechten Erfahrung mit „Aufstehen“ einen neuen Anlauf wagt und sich ins Abenteuer einer von ihr mitbegründeten neuen Partei stürzt. Es wäre in erster Linie ein politisches Sammelbecken für klassische Alt-Linke, Ostalgiker, Nato-Gegner und für jene Traditions-Pazifisten, die dem dezidierten Anti-Putin-Kurs von Bündnis90/Die Grünen (und damit verbundenen Waffenlieferungen an die Ukraine) nicht mehr folgen mögen. Das ist ein zahlenmäßig durchaus ernstzunehmendes Reservoir, zumal Wagenknechts persönliche Strahlkraft bis weit in die AfD-Wählerschaft hinein wirkt.

Kultivierte Außenseiterposition

Natürlich ist sich Sahra Wagenknecht völlig darüber im Klaren, dass sie trotz der auch von ihr selbst kultivierten Außenseiterposition für die Linkspartei faktisch unverzichtbar ist. Ihre Positionen – von Migration bis eben hin zum Ukrainekrieg sowie einer Abneigung gegenüber Nato und den Vereinigten Staaten – sind gerade im Osten des Landes bei vielen Menschen anschlussfähig, die sich obendrein von den teilweise bizarren Auswüchsen der Identitätspolitik regelrecht abgestoßen fühlen. Insofern sitzt Wagenknecht am längeren Hebel, und ihr Auftritt vor einer Woche bei der sogenannten Friedenskundgebung war denn auch eine Art letzte Warnung an die Funktionäre der Linkspartei nach dem Motto: Entweder ihr folgt mir, oder ich mache mein eigenes Ding. Zwar gab es auch innerparteiliche Zustimmung – bis hin zur Linke-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali, die twitterte: „Wow! Zehntausende waren heute bei der Friedensdemo dabei. Vielen Dank an alle Teilnehmenden für dieses kraftvolle Signal für Friedensverhandlungen und gegen Waffenlieferungen!“ Aber ansonsten bleibt die Führungsebene im Wesentlichen auf Distanz.

„Reisende soll man nicht aufhalten“: Mit diesen Worten hat die Linken-Vizechefin Katina Schubert jetzt auf Wagenknechts Ankündigung reagiert, nicht mehr für ihre Partei zu kandidieren. Für die „programmatische Entwicklung“ der Linken habe sie schon lange keine Rolle mehr gespielt, „sondern ihr Geschäftsmodell ist, von der Seitenlinie Leute zu diffamieren und schlecht zu machen“, so Schubert. „Insofern: Eine Klärung würde vielleicht manches leichter machen.“ Dass Wagenknecht sich auf ihrer politischen Reise jetzt nicht (mehr) aufhalten lassen wird, hat sie selbst klargestellt. Ob es in der Parteispitze aber wirklich zu einem anhaltenden Gefühl der Erleichterung führen wird, wenn der böse Sahra-Geist bald ausgetrieben sein wird, kann bezweifelt werden. Denn eine neue Wagenknecht-Partei würde zwar kein neuer Machtfaktor in der Bundesrepublik sein. Aber sie wäre der endgültige Sargnagel für Die Linke. Und genau darauf haben es Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine abgesehen.

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