Roger Lewentz gibt auf - Auch dieser Rücktritt geht am Kern des Problems vorbei

Nach dem katastrophalen Versagen bei der Flutkatastrophe im Ahrtal trennt sich Rheinland-Pfalz' Ministerpräsidentin Malu Dreyer schweren Herzens von ihrem Schutzpatron, Innenminister Roger Lewentz. Völlig unbeleuchtet, medial wie staatsanwaltschaftlich, bleibt nach wie vor das Organisationsversagen der Ministerpräsidentin – was sie ihrem jahrzehntelang aufgebauten Machtkonstrukt zu verdanken hat.

Malu Dreyer gemeinsam mit Roger Lewentz auf der Pressekonferenz / picture alliance
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Wieder war es die Macht von Bildern und die Verlogenheit der Akteure, die personelle Konsequenzen erzwang – und nicht das eigentliche Versagen verantwortlicher Ministerinnen und Minister in den Tagen und Stunden vor, während und nach der Flutkatastrophe, die in der Nacht zum 15. Juli 2021 alleine im rheinland-pfälzischen Teil des Ahrtals 135 Menschen das Leben kostete und unzählige Existenzen zerstörte. Deshalb wird man auch das zuletzt unabwendbare Scheitern des Landesinnenministers und SPD-Landesvorsitzenden Roger Lewentz (59) schwerlich als Beweis einer funktionierenden Fehlerkultur unserer parlamentarischen Demokratie anführen können. Hätte er sich früher und geschickter verteidigt, wäre er nach Mainzer Maßstäben ungeachtet unverzeihlicher handwerklicher Fehler unverändert im Amt.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer wollte vom ersten Tag an, gestählt durch die Skandale um den Flughafen Hahn und um den Nürburgring, auch diesen Fall unter Hinweis auf ihre Beliebtheit in der Bevölkerung und ihren Status als virtuelle Ehrenvorsitzende und Mutter Courage der Bundes-SPD eiskalt lächelnd an sich abtropfen lassen. Lewentz ließ ihr dazu nur keine Chance durch eine atemberaubende Verstrickung in ein Lügengespinst mit immer abenteuerlicheren und zuletzt nur noch lächerlichen Erklärungsversuchen.

Sogar der SWR schoss sich auf Lewentz ein

Als dann noch ein von ihm soeben erst ausgezeichneter Feuerwehrpräsident meinte, Lewentz habe schon deshalb alles richtig gemacht, etwa keinen flächendeckenden Sirenenalarm ausgelöst, keinen zentralen Krisenstab gebildet, nicht die oberste Einsatzleitung übernommen, als alte Leute bei Alarm eingedenk ihrer Weltkriegserfahrungen in den Keller zu laufen pflegen, was bei einer Flutkatastrophe natürlich völlig verkehrt gewesen wäre, und zuletzt noch unmissverständliche polizeiliche Eilmeldungen auftauchten, die das Lagezentrum vor Mitternacht erreichten, rückten selbst vertraute Genossen von Lewentz ab.    

Die Kritik der Printmedien hätte Dreyer vielleicht noch aussitzen können. Unerwartetes Pech für sie: Sogar der ihr eigentlich ergebene Südwestrundfunk mit einem ihr verpflichteten Intendanten Kai Gniffke an der Spitze begann in der letzten Septemberwoche, sich auf Lewentz einzuschießen. Damit war ihr diese bequeme Lösung diesmal versperrt. Gniffke soll am 1. Januar 2023 den ARD-Vorsitz an der Stelle von Not-Chef Tom Buhrow (WDR) übernehmen. In einer Lage, in der sich der NDR mit gleich mehreren Landesfunkhäusern und mit ihm die gesamte ARD wegen der Missachtung ganz grundlegender journalistischer Regeln in einer historisch einmaligen Defensive befindet, wäre dem SWR eine Fortsetzung des bis vor kurzem noch bestens eingespielten Schmusekurses gegenüber der Mainzer Landesregierung schlecht bekommen und mit ihm dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt. Das konnte und wollte selbst Gniffke nicht riskieren.

Personalpolitik im ÖRR

Deshalb nützte Frau Dreyer, nebenbei auch wichtigste und gewiefteste Medienpolitikerin der SPD und mangels ihr auch nur halbwegs gewachsener Gegenspieler auf Unionsseite der ganzen Bundesrepublik, noch nicht einmal ihre spinnennetzartige und skrupellose öffentlich-rechtliche Personalpolitik, mit der sie etwa eine eben noch für Landespolitik und Landeswahlkampf zuständige Redakteurin als Regierungssprecherin in ihren engsten Kreis holte, Gniffke als Intendanten durchboxte, nachdem mindestens ebenso fähige Kandidaten ihre Bewerbung wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit zurückgezogen hatten, oder zuletzt auch Ulla Fiebig, engste Vertraute der ehemaligen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey mit dem Spezialwissen, wie man selbst handfeste Betrugsvorwürfe nicht nur à la Sozialdemokratie unschädlich macht, sondern sogar zum Amt der Regierenden Bürgermeisterin veredelt, als neue Direktorin im Mainzer SWR-Landesfunkhaus plazierte. Dreyer, Giffey und Fiebig waren bereits in Berlin über die Chefin der Landesvertretung bestens vernetzt; das sollte sich, so der Plan, in Mainz erst recht bewähren. Klappte diesmal nur aus übergeordneten Gründen – rbb-Abrissbirne Patricia Schlesinger sei Dank – nicht so gut.
 

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Malu Dreyer zögerte den Abschied ihres Innenministers aber nicht nur deshalb über ein Jahr hinaus, weil sie sich medial unangreifbar fühlte und in ihm eine politische Lebensversicherung im Hinblick auf ihre Partei wusste. Sie fürchtete auch einen Dominoeffekt für ihr Kabinett insgesamt. Lewentz deutete in seinem kurzen Statement an, was damit gemeint ist: Er übernehme „für in meinem Verantwortungsbereich gemachte Fehler die politische Verantwortung“. Dazudenken muss man sich ein „lediglich“. Für in anderen Verantwortungsbereichen gemachte Fehler werde er nicht geradestehen, heißt das. Damit dürfte in erster Linie Umweltstaatssekretär Erwin Manz von den Grünen gemeint sein, der im Hinblick auf entspannte Gestaltungen von Katastrophennächten mit ein wenig Nachrichtengucken und einem Bierchen, um sich anschließend zufrieden zur Nachtruhe zu betten, selbst für Mainzer Verhältnisse neue Maßstäbe setzte.

Bis heute völlig unbehelligt

Anders als seine damalige Chefin Anne Spiegel und nun auch Roger Lewentz blieb Manz bis heute komplett unbehelligt. Und das, obwohl sein Umgang mit fachlichen Warnungen vor und in der Flutnacht in jedem seriös geführten Bundesland für drei Rücktritte und unnachsichtige staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gereicht hätte. Dass Lewentz diesen Umstand auf sich beruhen lassen wird, ist seit diesem 12. Oktober jedenfalls nicht länger selbstverständlich.

Auf den Rücktritt der Frau Spiegel werden sich die Grünen hier nicht überzeugend berufen können, denn sie ist – wie im Kern nun auch Lewentz – nicht an ihrem Totalversagen in jenen Juli-Tagen gescheitert, sondern an ihren lügenhaften Darstellungen ihres Verhaltens sowie ihres anschließenden fünfwöchigen Frankreich-Urlaubs Wochen und Monate später mit einem heillosen Live-Auftritt als Bundesfamilienministerin als Höhepunkt und Abschluss ihrer Hauptstadtkarriere.

Jahrzehntelang aufgebautes Machtkonstrukt

Völlig unbeleuchtet, medial wie staatsanwaltschaftlich, ist bislang erst recht das Organisationsversagen der Staatskanzlei vor, während und nach der Flutkatastrophe. Malu Dreyer ist lang genug im Amt, um direkt verantwortlich zu sein für jene Strukturen und Personalentscheidungen, die als Voraussetzung des landesgeschichtlich einmaligen Desasters gelten müssen. Lewentz' Diktum von „Fehlern in seinem Verantwortungsbereich“, für die er „die politische Verantwortung“ übernehme, lässt die Staatskanzlei nicht nur theoretisch als weiteren, dritten „Verantwortungsbereich“ denkbar erscheinen.

Ob das ein zarter Hinweis ihres Vertrauten war, dass er nun zumindest Unterstützung von ihr erwarte für den Verbleib im Amte des SPD-Landesvorsitzenden, schließlich sei er ja „gewählt bis zum Landesparteitag 2023“, wie er sicherlich nicht nur zufällig erwähnte, ist heute noch Spekulation. Ebenso wenig zufällig verließen Malu Dreyer und Roger Lewentz die Rücktrittsszene vor laufender Kamera Arm in Arm. Beide wollen, das ist die Botschaft, von ihren in jahrzehntelanger Arbeit errichteten Machtkonstrukten retten, was zu retten ist.

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