Nancy Faesers Demokratieverständnis - Autoritäre Schlagseite

Bundesinnenministerin Nancy Faeser fällt immer wieder durch ein seltsames Demokratieverständnis auf. Geht es nach ihr, heiligt der Zweck offenbar die Mittel.

Schreibt in einem Antifa-Magazin und will anlasslos Chats überwachen lassen: Bundesinnenministerin Nancy Faeser / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Frau Faeser sollte auf jeden Fall zurücktreten“, sagte der Politikwissenschaftler und Zeithistoriker Klaus Schroeder im Interview mit Cicero Anfang Februar diesen Jahres. Schroeder ist wissenschaftlicher Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat und Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Der Anlass für seine Forderung war ein Gastbeitrag der Bundesinnenministerin im Magazin antifa der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten“ (VVN-BdA), der kurz zuvor bekannt geworden war. 

Der Verband sei, erklärte Schroeder damals, nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden von ehemaligen, zumeist kommunistischen Widerstandskämpfern und heute ein linksradikales Sammelbecken, deren Mitglieder einen „antidemokratischen Kurs“ verfolgen. Auf die Nachfrage, was damit gemeint sei, antwortete Schroeder: „Dass sie gegen die gesellschaftliche, ökonomische, soziale und politische Ordnung der Bundesrepublik sind. Dass sie sozusagen die Grundsäulen der parlamentarischen Demokratie ablehnen und alles für kapitalistisch gesteuert halten. Und dass sie ein ganz anderes System wollen.“ 

„Kampf gegen Rechts“ hat oberste Priorität

Man könnte Faesers Gastbeitrag in der antifa und die Diskussionen um selbigen als großes Missverständnis abtun; als unschöne Randnotiz in der Biografie einer der einflussreichsten Politikerinnen des Landes, die bekanntermaßen nicht zurückgetreten ist im Februar und bis heute Innenministerin der Bundesrepublik Deutschland ist. Allerdings ist Nancy Faeser in den vergangenen Monaten immer wieder durch ein seltsames Demokratieverständnis aufgefallen. 
 

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Für Faeser hat der vielbeschworene „Kampf gegen Rechts“ oberste Priorität. Das zeigte sich jüngst auch im großen PR-Spektakel rund um die Razzia bei vermeintlichen Reichsbürgern. Man habe in den „Abgrund einer terroristischen Bedrohung“ geblickt, gab Faeser hinterher zu Protokoll, und auch, künftig noch stärker gegen die Bedrohung von rechts vorgehen zu wollen: „Wir müssen schneller werden. Es ist wichtig, dass der Staat da handlungsfähig ist“, sagte sie in der Talkshow von Anne Will und kündigte prompt Gesetzesänderungen an, um rechtsextremen Umtrieben leichter Einhalt zu gebieten.  

Oberflächlich betrachtet klang dies nach einer entschlossenen Bundesinnenministerin, die es vollkommen zu Recht nicht hinnehmen will, dass sich Rechtsextreme, teils mit Waffenschein ausgestattet, ihre eigene Realität zusammenspinnen. Denn ungeachtet dessen, ob man diese Razzia und das Tohuwabohu drumherum wahlweise als übertrieben oder als angebracht werten will, scheint es de facto irgendeine Bedrohungslage gegeben zu haben. Schaut man genauer hin, welche Konsequenzen Faeser aus diesem Ereignis ziehen will, wird es aber deutlich komplizierter. Hier lohnt ein Blick auf die vergangenen Monate ihrer Amtszeit. 

„Ministerin ledert gegen Energieproteste“

Im Januar dieses Jahres etwa, machte ein Tweet der Bundesinnenministerin die Runde. Darin ließ Faeser wissen: „Man kann seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln.“ Ein bemerkenswerter Appell einer Volksvertreterin, deren politische Arbeit maßgeblich mit dem Grundgesetz zu tun hat, wo in Artikel 8 festgeschrieben ist: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“

Ein kleines Déjà-vu dann im September, als Faeser bereits prophylaktisch vor der Teilnahme an Demonstrationen im befürchteten „heißen Herbst“ aufgrund von Inflation und Energiekrise warnte: „Demokratiefeinde warten nur darauf, Krisen zu missbrauchen, um Untergangsfantasien, Angst und Verunsicherung zu verbreiten“, sagte sie. Legitimer demokratischer Protest dürfe nicht von Extremisten gekapert werden, so Faeser.

Die Bild titelte damals zu Recht: „Ministerin ledert gegen Energieproteste“. Denn die Botschaft war vielleicht nicht klar, aber deutlich: Wer an den Montagsdemonstrationen teilnimmt, marschiert mit Demokratiefeinden. Also lieber zuhause bleiben, um gar nicht erst in Verdacht zu geraten, selbst einer zu sein? Cicero-Kolumnist Alexander Grau brachte es damals richtig auf den Punkt

„Die politkommunikative Vorgabe ist also klar: Wer im Herbst oder Winter gegen die Energiepreise, gegen die Inflation oder auch die gesamtgesellschaftliche Lage demonstriert, ist ein möglicher Verfassungsfeind, ein Verschwörungstheoretiker, ein Extremist, ein Rechter, der diese Themen lediglich missbraucht. Im Umkehrschluss bedeutet das: Ruhe ist erste Bürgerpflicht.“ 

Ein Instrument von Autokratien

Es ist ein Muster, das im so genannten „Kampf gegen Rechts“ regelmäßig zu beobachten ist: Es gilt die Kontaktschuld. Unabhängig davon, ob das Anliegen legitim ist, das der Einzelne auf Veranstaltungen oder auf der Straße formuliert. Wer das in falscher oder vermeintlich falscher Gesellschaft tut, wird zur Persona non grata erklärt, mittlerweile sogar von der Bundesinnenministerin höchstpersönlich. Nochmal das Grundgesetz, Artikel 5: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

Apropos allgemein zugängliche Quellen: Ebenfalls Anfang diesen Jahres drohte Faeser dem Chatdienst Telegram mit der Abschaltung. Der Grund laut Bundesinnenministerin: Extremisten könnten dort ungehindert Hass verbreiten sowie Anschlagspläne schmieden – und auch der Chatdienst habe sich an geltendes Recht zu halten, Stichwort Netzwerkdurchsetzungssgesetz. Wahrscheinlich dürfte es bei dem Vorstoß aber eher um die von der Bundesregierung pauschal als „Querdenker“ etikettierten Corona-Demonstranten gegangen sein, die sich über Telegram zu ihren „Spaziergängen“ verabredeten. 

Später ruderte Faeser zurück, nachdem nicht wenige Kritiker richtigerweise darauf hingewiesen hatten, dass das Abschalten von sozialen Medien eher ein Instrument von Autokratien sei, nicht von Demokratien. Doch damit war dieses Kapitel nicht zu Ende. Anfang dieser Woche, also einige Monate später, berichtete netzpolitik.org über ein Positionspapier des Bundesinnenministeriums. Darin wird gefordert, Chatnachrichten künftig ohne Anlass durchsuchen zu können. Bei netzpolitik.org liest sich das Ganze so: 

„Laut dem Positionspapier will das Innenministerium am umstrittenen Client-Side-Scanning festhalten. Der Einsatz dieser Technologie würde dazu führen, dass E-Mails, Messenger-Dienste und weitere Kommunikationsplattformen anlasslos und massenhaft überwacht werden. Beim Client-Side-Scanning werden Inhalte auf den Geräten der Nutzer:innen vor dem Versand von Nachrichten durchsucht und somit eine spätere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unterlaufen.“

Die Krux: Solche Methoden gehen selbst den Koalitionspartnern in der Ampelregierung zu weit – und sie widersprechen auch dem, was hierzu im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist. Darin steht: „Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab.“ Für die Bundesinnenministerin scheint das aber offenbar kein Grund zu sein, nicht wenigstens einen Vorstoß zu wagen, die Chatnachrichten mündiger Bürger künftig besser und einfacher auf ihre Gesinnung hin abklopfen zu können.  

Der Willkür Tür und Tor öffnen

Zurück zur Reichsbürger-Razzia. Als Faeser am Abend des 7. Dezember – also just an jenem Tag, als die Großrazzia stattgefunden hatte – zu Gast bei Sandra Maischberger war, kam ein Thema auf, das in den Folgetagen ebenfalls heftig diskutiert wurde. Der Münchner Merkur fasste den Stein des Anstoßes so zusammen: 

„Die Razzia in der Reichsbürger-Szene nimmt Innenministerin Faeser zum Anlass, noch einmal an die Umkehrung des Disziplinarrechts zu erinnern, die sie im Frühjahr eingeleitet hat. Bei Mitarbeitern des Öffentlichen Dienstes werde es künftig sehr einfach sein, sie zu entfernen. Für eine Kündigung reiche dann der bloße Verdacht auf Demokratiefeindlichkeit. ,Da muss man die Möglichkeit haben, jemanden schnell rauszubekommen', sagt die SPD-Politikerin.“

Die Reaktionen auf diese Ansage von Faeser waren nicht zuletzt in den sozialen Medien erneut heftig. Kein Wunder, schließlich würde ein solches Vorgehen allerlei Fragen aufwerfen, sollte es künftig tatsächlich praktiziert werden. Was wäre mit „bloßer Verdacht“ konkret gemeint? Wäre es nicht besser, Gerichte würden darüber entscheiden, ob es ein Beamter mit seiner Kritik an den bestehenden Verhältnissen nur übertrieben hat oder tatsächlich ein Feind der Demokratie ist? Und würde eine solche Beweislastumkehr der Willkür nicht Tür und Tor öffnen? Schließlich hätten dann Personen über die berufliche Zukunft einzelner Beamter zu entscheiden, die gar nicht über eine juristische Expertise verfügen – und womöglich eine seltsame Vorstellung von der Meinungsfreiheit haben, wie wir sie zum Beispiel vom Kontaktschuld-Vorwurf kennen.  

Kampf gegen Bürgerrechte? 

Mittlerweile ist Faeser auch hier etwas zurückgerudert. „Ich habe das etwas umgangssprachlich verkürzt im Fernsehen berichtet“, teilte sie am Montag bei Anne Will mit. Und weiter: „Ich will nicht die Beweislast umkehren. Es geht darum, dass wir das Disziplinarrecht so neu aufstellen, dass es nicht eines Verwaltungsgerichtsverfahrens bedarf, um sie aus dem Dienst zu entfernen.“ Das klingt zwar weniger drastisch als das Entfernen eines Beamten wegen eines bloßen Verdachts.

Unterm Strich läuft das aber auf das Gleiche hinaus: Nicht ein Verwaltungsgericht müsste dann künftig den Nachweis erbringen, dass ein Beamter ein „Demokratiefeind“ ist – sondern der Beamte, dass er keiner ist, wenn er auch weiterhin im Öffentlichen Dienst arbeiten will. Und die Frage drängt sich auf: Kämpft die Bundesinnenministerin eigentlich noch gegen Extremisten? Oder ist Faesers vielbeschworener „Kampf gegen Rechts“ gerade auf dem besten Weg, ein Kampf gegen allgemeine Bürgerrechte zu werden? 

Klar muss sein, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt. Jedenfalls nicht in einem demokratischen Rechtsstaat. Die autoritäre Schlagseite, die Faeser dennoch regelmäßig offenbart; diese kleinen und größeren Flirts mit autokratischen Instrumenten, könnten daher besten Gewissens zum Anlass genommen werden, auch beim Demokratieverständnis der Bundesinnenministern mal etwas genauer hinzusehen. Man muss sie deshalb ja nicht gleich aus dem Amt entfernen.

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