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Mauerfall - Nach 1990 war die DDR kein Unrechtsstaat

Die DDR war sehr wohl ein Unrechtsstaat, sagt Petra Erler, frühere Kabinettschefin von EU-Kommissar Günter Verheugen. Allerdings stört sie es, dass Personen, die der DDR-Regierung nach den freien Wahlen 1990 angehörten und die Einigung einst vorbereiteten, heute unter Generalverdacht stehen

Autoreninfo

Petra Erler ist Geschäftsführerin der Strategieberatung European Experience Company GmbH. 1990 war sie nach den ersten freien Wahlen in der DDR Staatssekretärin für Europäische Angelegenheiten. Von 2006 bis 2010 war sie die Kabinettschefin von EU-Kommissar Günter Verheugen.

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25 Jahre ist es her, dass die Mauer fiel – für Ostdeutsche war es der Tag, an dem das Eingesperrtsein sein Ende nahm. Und mehr.

Es war der Tag, an dem die alte DDR, tödlich verwundet, zusammenbrach. Eine DDR, die nicht mehr den Rückhalt ihrer Bevölkerung hatte, eine DDR, die viele Millionen zu jenem Zeitpunkt nur noch als bedrückend und beengend, als unfrei und unterdrückend, als engstirnig, verlogen und überkommen wahrgenommen hatten.

Uwe Johnson hat einmal gesagt, dass die DDR eine sehr persönliche Sache war, sie jeden zwang, Stellung zu beziehen, nicht nur offiziell, sondern auch im Innersten. Ja, 1989 hatte sich in diesem Innersten bei sehr, sehr vielen sehr viel Wut, sehr viel Trauer, aber auch große Enttäuschung aufgestaut. So viele Postulate, so viele gebrochene Versprechungen, was den sogenannten „Sozialismus mit menschlichem Anlitz“ betraf. So viele menschliche Begrenzungen und Verluste.

Politische Gegner traf die ganze Härte der Staatsmacht


Die DDR, das war nicht nur sozialistische Planwirtschaft, die sich selbst in die Tasche log und den Mangel verwaltete. Sie war ein politisches und ideologisches System, das seiner Natur nach unversöhnlich war, gelegentliche Milde im Einzelnen nicht ausgeschlossen. Den politischen Gegner, den erklärten Feinden der alten DDR traf die ganze Härte der Staatsmacht. Da schreckte man weder vor Ausbürgerung, noch vor Inhaftierung, ja nicht einmal vor versuchtem Mord zurück. Aber die alte DDR war auch unbarmherzig jenen gegenüber, die sie kritisierten, um sie zu verändern, zu verbessern. Sie war selbst mitleidslos gegenüber ihren Mitläufern, jenen gegenüber, die sich eingerichtet hatten, irgendwie, die sich nicht auseinandersetzten mit Montagsdemonstrationen oder Wahlfälschungen.

Als vor allem junge Menschen 1989 über Ungarn, Tschechien und Polen fortliefen, weil sie es gründlich satt hatten, dieses Land, als ganze Familien vor einem Scherbenhaufen standen und sich erschüttert fragten, was nun werden sollte, ob man sich überhaupt wiedersehen, noch einmal in die Arme nehmen könnte, da war kein Mitleid, keine Trauer, nur bittere Häme zu spüren.

Noch heute denke ich, dass dies der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte und ganz unterschiedliche Menschen zusammenführte im Protest gegen ihren Staat. Wieder einmal waren es die Künstler der DDR, die dem ersten Aufbegehren eine Stimme gaben. Keine Veranstaltung, ob im Kabarett oder im Theater, in der nicht am Ende eine politische Erklärung verlesen wurde. Bald fanden sich Hunderttausende auf Demonstrationen zusammen, überall im ganzen Land.

Mit den freien Wahlen wurde die alte DDR 1990 überwunden


Weder die Blockparteien der alten DDR noch die neugegründete Sozialdemokratische Partei standen damals an der Spitze der Bewegung. Damals war es das Neue Forum, dessen Ideen die Menschen zusammenführten, die auf die Straße gingen, anfangs allesamt fotografiert und beobachtet von der Staatssicherheit.

In diesen Herbsttagen 1989 wurden Akten aller jener angelegt, die mitmarschierten im Protest und die nur deshalb nicht in den Archiven der Stasi zu finden sind, weil diese keine Zeit zur Restauration fand, sondern schließlich ebenfalls vom Strudel der Ereignisse verschlungen wurde. Ein Volk stand damals gegen seine Oberen auf, fegte die alte DDR hinweg. Der Schlachtruf des Herbstes 1989 war: „Wir sind das Volk“.

Warum ich daran erinnere? Weil ich daran erinnern möchte, dass die alte DDR nicht bis zum 3. Oktober 1990 fortdauerte. Die alte DDR wurde in den ersten und einzigen freien Wahlen am 18. März 1990 politisch überwunden. Der Wählerauftrag vom März 1990 war klar: Die Mehrheit sprach sich für die deutsche Einigung aus. Das war der Grund, warum nicht mehr an einer neuen Verfassung gearbeitet wurde, sondern sich die gewählte Regierung Lothar de Maizière in ihrer kurzen Amtszeit auf die Erfüllung dieser Pflicht konzentrierte – die Herstellung der Bedingungen zum Vollzug der Deutschen Einigung.

Einigungsaktivisten wird „persönliche Systemnähe“ unterstellt


Die Gründung der ostdeutschen Länder war vorzubereiten, die Wirtschafts- und Währungsunion zu schaffen, außenpolitisch der 2+4-Vertrag unter Dach und Fach zu bringen, die Eingliederung in die Europäischen Gemeinschaften vorzubereiten und schließlich der Vertrag um die Herstellung der deutschen Einheit auszuhandeln. Die Volkskammer der DDR, das erste frei gewählte Parlament, das es je in der DDR gab, hat allen Verträgen zugestimmt. Die DDR, die sich selbst abschaffte, um dem Auftrag der Mehrheit ihrer Bürger zu entsprechen, war ein neues Land geworden.

Das Recht, aber auch der politische Diskurs im geeinten Deutschland sieht bis zum heutigen Tag über diese Frage hinweg. Der rechtliche Stichtag für die Beurteilung der „persönlichen Systemnähe“ in der DDR (gemeint ist das aktive Engagement für die alte DDR) ist der 3. Oktober 1990. Man hat jedoch das Recht, dagegen Widerspruch anmelden.

Das bedeutet, dass alle diejenigen, die sich nach den ersten freien Wahlen im März 1990 in der letzten DDR-Regierung oder innerhalb der Volkskammer für die deutsche Einigung engagierten – bis zum Beweis des Gegenteils – eine „persönliche Systemnähe“ unterstellt wird, also auch der Bundeskanzlerin, Frau Merkel. Warum sie, als ehemalige Bürgerin der DDR, als Parteivorsitzende der CDU und als Bundeskanzlerin nicht auf dem Unterschied zwischen der alten DDR und jener DDR, die aus den Herbstereignissen des Jahres 1989 entstand und in der es freie Wahlen gab, besteht, warum sie es unterstützt, dass die DDR bis zum Tag der deutschen Einigung als Unrechtstaat politisch kategorisiert wird, wird ihr Geheimnis bleiben.

Jedenfalls solange, solange sich Politiker in schönster Regelmäßigkeit und verschwurbelten Definitionen über die politische Natur der DDR streiten und niemand darauf Wert legt, dass das Volk der DDR bereits vor der deutschen Einigung das politische System des Sozialismus hinweggefegt hatte. In seiner Mehrheit und aus eigener Kraft.

Petra Erler arbeitete nach den ersten freien und demokratischen Wahlen in der DDR im März 1990 zunächst im Außenministerium als Beraterin des Ministers und Mitglied des Planungsstabs und wurde im Juni Staatssekretärin im Amt des Ministerpräsidenten, zuständig für Europafragen.

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