Protest gegen einfache Bürger - Die „Letzte Generation“ ist eine Abrissbirne für den Klimaschutz

In den vergangenen Monaten hat die „Letzte Generation“ mit ihren Straßenblockaden für mächtig Furore gesorgt. Doch mit ihrem selbstanmaßenden Protest erweisen sie dem Klimaschutz einen Bärendienst. Denn die Aktivisten treten nach unten, anstatt sich mit den Mächtigen anzulegen.

Aktivisten der „Letzten Generation“ blockieren den Verkehr / picture alliance
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Friedrich Merz fordert Vereinsverbote im Umfeld der selbsternannten „Letzten Generation“. Christian Lindner nennt die Aktionen „brandgefährlich“. Beide zielen am Kern der notwendigen Kritik vorbei. Denn tatsächlich sind die Selbstanmaßung der Aktivisten und die Verachtung des Lebens stinknormaler Bürger die zentralen Probleme von Gruppierung und Protestform. Die „Letzte Generation“ tritt nach unten, anstatt sich mit den Mächtigen anzulegen.

Die Blockade von Kreuzungen oder Autobahnen, das Festkleben auf Landebahnen. Als Nichtbetroffener mögen diese fast täglich stattfindenden Aktionen legitime Bagatellen sein: dann kommt der Vertriebsmitarbeiter eben nicht zum Termin, die Altenpflegerin nicht zum nächsten Patienten oder der Pensionär nicht Richtung Sonne und Strand. Die Betroffenen mögen zwar schäumen vor Wut, aber was richtet dieses Gefühl schon aus gegen das moralisch vermeintlich erhabene Handeln gut betuchter Klimaaktivisten, die den ganzen Planeten am Kipppunkt der Unbewohnbarkeit wähnen. Da ist doch zurückstecken angesagt, oder etwa nicht?

Aktionen sind purer Klassismus

Die Aktivisten mögen die Flugreise meiden, ihre Aktionsformen aber sind abgehoben wie ein Urlaubsflieger. Sie wirken in der Berichterstattung auf die Menschen im Land vielfach als das, was sie sind: als ein ausgestreckter Mittelfinger der Verachtung für das Leben von Normalbürgern. Dreht man es politisch, kann festgehalten werden: Diese Proteste mögen legitime Anliegen verfolgen, aber die Art und Weise haben mit „progressiv“ oder „links“ nichts zu tun. Im Gegenteil: Die Aktionen sind Klassismus. Sie sind Ausdruck von Hass auf die kleinen Leute.

In turbulenten Zeiten entsteht zuweilen Neues. Als Reaktion auf die Merkel-Jahre und der gesellschaftlichen Überforderung die AfD. Es mag wie ein Treppenwitz der Geschichte klingen, aber ausgerechnet im ersten Regierungsjahr eines grünen Wirtschafts- und Klimaschutzministers und einer grünen Umweltministerin ist die „Letzte Generation“ ins Rollen beziehungsweise Sitzen gekommen.

Tatsächlich gibt es dafür Gründe: Gutbürgerliche und gebildete junge Leute kämpfen in diesen Krisentagen nicht zuvorderst mit explodierenden Lebenshaltungskosten, nicht mit der Sorge, wie an Weihnachten vielleicht ein kleines Geschenk für die Familie möglich werden kann, trotz Rekordinflation. Hier geht es um etwas Größeres: die Bewohnbarkeit der Erde, wenn wir nicht sofort handeln und faktisch aus Auto, Flieger, Industrieproduktion und fossiler Energie aussteigen.

 

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Wer mag dem widersprechen und die Klimaapokalypse weiter anheizen? Die Wahrheit ist, es ist ausgerechnet die Politik der Ampel-Regierung und zuvorderst von Robert Habeck, der zwar verbal an der Seite der Aktivisten steht, mit seiner Politik aber das Gegenteil verantwortet. Die deutschen Kohlekraftwerke laufen auf Hochtouren. An nicht wenigen Tagen stammt fast die Hälfte des produzierten Stroms aus den Klimadreckschleudern der Kohlekraftwerke. Statt Gas über Pipelines landen gigantische LNG-Tanker mit klimaschädlichem Flüssiggas aus aller Herren Länder an.

Und die Erneuerbaren? Sie taugen nicht ansatzweise, um den existierenden und stetig steigenden Energiebedarf zu decken. Bei Dunkelflaute stammt nicht selten weniger als zehn Prozent des Stroms aus Sonne und Wind. Der Ausbau der Windenergie ist seit Jahren rückläufig – auch im ersten Habeck- und Lemke-Jahr. Und der Netzausbau stockt, auch dank anderer Aktivisten, die vielfach ebenfalls dem grünen Milieu entspringen.

Klimapolitik ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Niemand sollte in Abrede stellen, dass auch der einzelne Bürger mit seinem Handeln einen Unterschied machen kann. Eine klare Reihenfolge der Verantwortung gibt es dennoch. Die Energieversorgung des Landes liegt in Verantwortung der Politik. Es ist die Politik, die Klimaschutzabkommen und die Pariser Klimaziele unterschrieben hat. Es ist die Politik der Bundesregierung, die mit ihren Entscheidungen dafür gesorgt hat, dass die Emissionen anwachsen und nicht gemindert werden. 

Isolierter Klassenkampf von oben

Was daraus folgen sollte, ist klar: Die „Letzte Generation“ muss ihre Protestform grundlegend verändern, wenn sie dem Klimaschutz nicht weiter einen Bärendienst erweisen und die Mehrheit des Landes verprellen will. Denn niemand sollte sich wundern, wenn der ausgestreckte Mittelfinger erwidert wird und sich dann generell gegen den Klimaschutz richtet. Das ist kein Plädoyer, Proteste einzustellen. Es ist ein Plädoyer für gesellschaftliche Legitimität und Rückendeckung. Die Klimakinder sollten sich an die Parteizentrale der Grünen, an das Habeck-Ministerium und das Kanzleramt kleben. Wut auf die Ampel teilen schließlich auch diejenigen, die Klima-Aktivismus ablehnen. 

Für die Parteien in der Opposition sollte gelten: Die, die Klimaschutz in den letzten 40 Jahren blockiert haben, sollten schweigen und nicht kriminalisieren. Und eine Linke, die die kleinen Leute vertritt, sollte die Protestform scharf kritisieren und fordern, dass sich die Aktionen künftig gegen die politisch und wirtschaftlich Mächtigen und nicht gegen die normale Bevölkerung richtet. Zu sympathisieren, sich zu solidarisieren, wäre ein schwerer strategischer Fehler. In der Linken halten einige das Konzept der verbindenden Klassenpolitik hoch. Die „Letzte Generation“ ist isolierter Klassenkampf von oben und eine Abrissbirne für den Klimaschutz.

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