Grüne Energiepolitik - Sparen als Volkssport

Statt auf Atomkraft zu setzen, um der kommenden Energiekrise zu begegnen, geben die Grünen der Bevölkerung Tipps zum Drosseln des Wärme- und Stromverbrauchs. Besonders tut sich dabei Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hervor. Ein Blick in dessen politische Vergangenheit hilft zu erklären, warum das so ist.

Mehr Energie braucht der Bürger nicht: Winfried Kretschmann mit einem Fläschchen „reFuels“, das aus erneuerbaren Energien gewonnen wird / dpa
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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schien regelrecht enttäuscht zu sein, als nach den jährlichen zehntägigen Wartungsarbeiten doch wieder russisches Erdgas durch die Pipeline Nord Stream 1 floss. Könnte die Wiederaufnahme der Lieferungen durch den Staatskonzern Gazprom doch all seine schönen Energiesparpläne zur Makulatur machen. So drohte denn auch das Vorhaben der – deutsch geführten – EU-Kommission zu scheitern, die EU-Mitgliedstaaten zur Einsparung des Energieverbrauchs um 15 Prozent zu verpflichten. Nachdem Gazprom angekündigt hatte, die Lieferungen durch Nord Stream 1 – angeblich wegen einer nach wie vor fehlenden Turbine – doch wieder auf 20 Prozent der Kapazität zu drosseln, konnte man sich in der EU lediglich auf einen Kompromiss einigen, der obendrein auf Freiwilligkeit beruht. Es schien dann nur noch eine Frage der Zeit, bis Habeck mit seinem nächsten Vorschlag um die Ecke kommen würde: dass Deutschland dann eben umso mehr Energie sparen müsse. Und der Minister enttäuschte nicht, sondern lieferte prompt: „Wenn Deutschland mehr macht als 15 Prozent, dann ist es ja auch keine Schande“, verkündete er am Dienstag am Rande des Sondertreffens der EU-Energieminister in Brüssel. „16 oder 20 Prozent“ seien durchaus zu schaffen.

Obendrein attackierte Habeck dann noch die Energiepolitik der Vorgängerregierungen. Diese hätten, indem sie sich in Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen begeben hätten, „einen strategischen Fehler gemacht“. Eine Verlogenheit sondergleichen. War es doch Habecks Partei, die Grünen, die seit eh und je auf den Atomausstieg gedrängt haben und sich als Juniorpartner der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder, endlich an der Regierungsmacht, im Jahr 2000 mit dieser Forderung durchsetzen konnten. Wodurch der gesteigerte Import von (russischem) Erdgas überhaupt erst nötig wurde – als „Übergangstechnologie“, bis man den Energiebedarf der Bundesrepublik Deutschland allein aus Erneuerbaren würde decken können, also niemals. Der Regierung Merkel kann man durchaus vorwerfen, den Atomausstieg nicht etwa rückgängig gemacht, sondern unter dem Eindruck von Fukushima weiter vorangetrieben zu haben. Aber Habeck kann das nicht, denn wiederum kam der größte Beifall für Merkels Energiewende von den Grünen.

Ginge es also wirklich darum, die Abhängigkeit von einem problematischen Lieferanten zu verringern (und obendrein das Klima zu schützen), müssten die Grünen enthusiastisch für einen Weiterbetrieb der verbliebenen Kernkraftwerke eintreten. Zumindest Habeck scheint sich für diese Idee inzwischen immerhin offen zu zeigen. Doch seine Partei könnte das zerreißen, hat sie ihre Wurzeln doch unter anderem in der Anti-AKW-Bewegung – und ist seit jeher durchdrungen von einer Verzichtsideologie, die Industrie, Wirtschaft, Konsum und Energieverbrauch grundsätzlich feindlich gegenübersteht.

Kretschmann appelliert an Patriotismus – sonst bei den Grünen verpönt

So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass das grüne Urgestein Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der Erste ist, der für sein Bundesland drastische Sparpläne vorgelegt hat. Gleich 20 Prozent Gas will man im Ländle einsparen. In den Büros der öffentlichen Verwaltung soll die Raumtemperatur auf das gesetzliche Minimum gesenkt werden; Klimaanlagen, Fahrstühle, Heizlüfter und Ventilatoren will man sparsam einsetzen oder gleich ganz abschalten. Beschäftigte sollen Fahrgemeinschaften bilden oder gleich im Homeoffice bleiben (wo sie auf Strom und Heizung wohl nicht verzichten werden, aber immerhin die Kosten selber tragen; ein angenehmer Nebeneffekt für den schwäbischen Sparfuchs).

 

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Doch auch die Bürger sollen gefälligst mit ran und kräftig Energie sparen – zunächst aus freiwilliger Solidarität, versteht sich. „Wir haben das in Japan gesehen, wo Energiesparen nach Fukushima zum Volkssport wurde. Ein großer Erfolg! Deshalb appelliere auch ich an die Bürger und an die Wirtschaft, kleine Maßnahmen wie diese beim Heizen zu ergreifen“, hatte er bereits im April verlauten lassen. Damit die frierenden Bürger dann spätestens im Winter nicht aufmucken, appellierte er jetzt schon einmal vorsorglich an deren „Patriotismus“ – ein sonst bei den Grünen eher verpönter Begriff. Und um jeden Verdacht zu zerstreuen, er würde auch nach Wegen suchen, wie man die drohende Energiekrise auch ohne drastische Verzichtsleistungen abmildern könne, bekräftigte Kretschmann im ZDF-„Heute Journal“, die Grünen würden grundsätzlich nicht von ihrem Nein zur Atomenergie abrücken.

Vom Maoismus zur Anti-Atomkraft-Bewegung

Mit Starrsinn alleine ist diese Haltung wohl nicht zu erklären. Man muss schon zu den politischen Wurzeln Kretschmanns und der Grünen insgesamt vordringen, um erahnen zu können, wo Verzichtsideologie, Industriefeindlichkeit und Autoritarismus ihre Ursprünge haben. Kretschmann, der 1979 die Grünen Baden-Württemberg mitgründete, hatte sich in den 70er-Jahren im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) engagiert – der größten der zahlreichen K-Gruppen, die sich auf den Großen Vorsitzenden Mao Tse Tung beriefen. 1973 gegründet von Joscha Schmierer – der 1999 unter Joschka Fischer Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amtes werden würde –, sympathisierte der KBW nicht nur mit der Volksrepublik China, sondern auch mit dem kommunistischen Albanien, Kambodscha unter Pol Pot und dem ugandischen Diktator Idi Amin. Intern war der KBW streng autoritär und sektenähnlich aufgebaut, ideologisch folgte er dem Diktum Maos, wonach die Sowjetunion nach Stalins Tod „revisionistisch“ geworden sei, weil sie sich dem Westen angenähert habe. In der Folge wurde der „Sowjet-Imperialismus“ zum Hauptfeind, noch vor dem „US-Imperialismus“. Daher unterstützte der KBW auch die afghanischen Mudschaheddin in ihrem Kampf gegen die sowjetischen Besatzer.

Um ihren gesellschaftlichen Einfluss zu verbreitern, sprangen die Maoisten des KBW auf den Zug der sogenannten „Neuen sozialen Bewegungen“ auf und engagierten sich etwa in der Antiatomkraft-, der Frauen-, der Umwelt- und der Friedensbewegung. Die jeweiligen Anliegen waren ihnen dabei stets Mittel zum Zweck, die Gesellschaft nach ihren Wünschen umzubauen. Als 1980 diese Bewegungen in die Gründung der Partei Die Grünen mündeten, waren zahlreiche KBWler und Ex-KBWler mit dabei – neben Kretschmann und Schmierer unter anderem Reinhard Bütikofer, Winfried Nachtwei, Hermann Kuhn, Krista Sager oder Ralf Fücks. Allesamt Vertreter des heute dominierenden Realo-Flügels, denen Themen wie Umweltschutz und Anti-Atomkraft nach wie vor Mittel zum Zweck waren – einst zur radikalen Umgestaltung der Gesellschaft, jetzt zur Förderung der eigenen politischen Karriere –, auf denen sie aber nun mit umso größerer ideologischer Verbohrtheit beharrten.

Die Mentalität hat sich bei vielen nicht wesentlich geändert

Über die Mentalität der westdeutschen Maoisten schrieb der Schriftsteller Hans Christoph Buch: „Zur Schnittmenge religiöser und politischer Sektierer gehört, dass sie das Blaue vom Himmel versprechen, in der Praxis aber Selbstaufgabe fordern: Der kollektive Suizid war ideologisch vorprogrammiert. Das gilt für Maos Kulturrevolution ebenso wie für die Roten Khmer und, weniger dramatisch, für die K-Gruppen der 1970er Jahre, deren Mitglieder unentgeltlich arbeiten und einen Großteil ihrer Einkünfte oder ihres Vermögens der Organisation spenden mussten – leitende Kader wurden aus der Parteikasse bezahlt. Als der KBW sich auflöste, besass er eine Topimmobilie im Frankfurter Bankenviertel und eine Fahrzeugflotte von Saab-Limousinen.“

Die meisten der früheren KBW-Protagonisten distanzieren sich heute vom Maoismus und bezeichnen diese Phase als großen politischen Fehler. Das ist ihnen durchaus abzunehmen. Doch die Mentalität hat sich bei vielen nicht wesentlich geändert: Das Sendungsbewusstsein, das Sektiererische, die Überzeugung, stets auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, der Anspruch (der sich früher auf die eigenen Mitglieder beschränkte und sich nun auf die gesamte Bevölkerung ausweitet), den Leuten Vorschriften bis in die kleinsten Verästelungen ihres Alltags zu machen – wie lange sie zu duschen haben, wie hoch die Temperatur im Schlafzimmer allenfalls zu sein hat, welche Produkte sie noch kaufen dürfen usw. –, all das ist geblieben. Im Falle von Winfried Kretschmann kann man vermuten, dass er sich ganz in seinem Element befindet. Schon während der Covid-Pandemie gefiel er sich darin, eine Impfpflicht zu befürworten und stärkere Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger zu fordern. Gestern Corona, heute Ukraine-Krieg und Energiekrise – die Anlässe wechseln, die Lust am Schikanieren bleibt.

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