Das Leiden der Liberalen an der Ampel - Die Merkelisierung der FDP

Die FDP weiß nicht vor, noch zurück. In Umfragen steht sie zwischen existenzbedrohenden drei und fünf Prozent. Dabei scheint sie im Ampel-Bündnis genau in die Falle zu tappen, der sie seit dem Merkel-Trauma von 2013 entkommen will.

Liberaler Schicksalsmoment: Verhandlungspause 2017 mit Angela Merkel und Christian Linder. Kurze Zeit später scheitert Jamaika. /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Es gibt die kolportierte Sentenz von Angela Merkel, wonach die FDP strukturell und generell nicht regierungstauglich sei, weil sie ständig in Existenzangst lebe. Diese Lebensform knapp an der Grenze zur Fünfprozent-Hürde führe immer wieder zu Panik und Irrationalität, die man im Regierungsalltag nicht gebrauchen könne, so – der Legende nach – die vergiftete Analyse der Ex-Kanzlerin. 

Tatsächlich leiden die Liberalen gerade am meisten an der Krise der Ampel-Regierung. Während die Grünen, obwohl sie öffentlich an erster Stelle gescholten werden, in Umfragen und zuletzt in Berlin kaum Einbußen hinnehmen mussten, schwächelt die FDP und sinkt unter das Niveau an lebenspendender Dosis Wählergunst. Das führt zu Unruhe in den eigenen Reihen und damit zur Profilierungsnotwendigkeit.

Christian Lindner hat die Dramatik der Lage durchaus erkannt. Es gibt – offenbar von Scholz mitgetragen – liberale Leuchtraketen, die den eigenen Wählern signalisieren sollen, dass man verstanden habe, was die Sorgen der Wählerschaft sind. Der Stopp des europäischen Lieferkettengesetzes in letzter Sekunde und auch der Widerstand beim generellen europäischen E-Auto-Vorrang sind solche FDP-Akzente. Dazu gehört auch das Festhalten an der Schuldenbremse. Doch zu einem Stimmungsumschwung zugunsten der gelben Farbe innerhalb der Ampel reicht das noch nicht.

Horror-Vorstellung Deindustrialisierung

Lindner weiß auch, dass für seine Partei mehr als für alle anderen das legendäre politische Diktum gilt: „I’t’s the economy stupid!“. Deindustrialisierung ist für FDPisten eine Horror-Vorstellung, für Grüne nicht unbedingt. Im Interview mit „Berlin direkt“ verkündet Lindner dann auch, Deutschland brauche Wirtschaftswachstum. Eine kaum überraschende Ansage für seine Ortsvereine und liberalen Freundeskreise. Gemeinsam mit dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck haben die beiden Ampel-Lenker erklärt, dass Deutschland tatsächlich ein wirtschaftliches Standortproblem habe, welches es zu beheben gelte. Ach was.

Diese Erklärungen wirken wie das dramatische Springen hinter den fahrenden Zug. Es ist bislang nicht erkennbar, dass die Lindner-FDP ein Gegengift gefunden hätte gegen die metastasierende Unzufriedenheit im liberalen Kernklientel. FDP-Chef-Grantler Wolfgang Kubicki warnt vor künftigen Koalitionen mit den Grünen, während die amtierende FDP-Spitze noch ihrer Öffnungsstrategie anhängt. Der Elefant im Raum ist dabei der Austritt aus der Koalition, der nur scheinbar Erleichterung in der Not verschaffen würde. Das räumen selbst Linder-Kritiker in der FDP-Fraktion ein.

Einen Austritt der FDP aus der laufenden Ampel-Koalition hatte gerade noch eine knappe Mehrheit der FDP-Mitglieder abgelehnt, doch wird diese Notbremse die kommenden knapp zwei Jahre bis zur regulären Bundestagswahl unentwegt im politischen Raum herum baumeln. Denn selbst Befürworter eines Ampel-Bündnisses innerhalb der FDP sehen mit Schrecken nicht nur ein Ende der Regierungsbeteiligung, sondern auch die Möglichkeit, im kommenden Bundestag gar nicht mehr vertreten zu sein. Je nach Sichtweise ist also ein Ampel-Aus – auf welchem Wege es denn auch immer vollzogen würde – „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“ oder der „Kleine Tod, der das Überleben sichern könnte“. 

Die ortlosen Liberalen

Die FDP steckt damit in einem historischen Dilemma fest. Wenn sie nun zu laut ein wie auch immer geartetes Ende des derzeitigen Regierungsbündnisses anstreben und feiern würde, würde sie geradezu zwangsläufig zurückkehren in die Logik einer engen Verbundenheit mit CDU und CSU, aus der sie Lindner ja gerade befreien wollte. Wenn die Ampel scheitert, mit welcher Botschaft soll die FDP dann in die Bundestagswahl 2025 gehen? „Wir können nur mit der Union regieren”, soll das etwa der Slogan sein? Oder: „Wir können auch mit SPD und Grünen regieren, nur nicht in einer Ampel“? Es klingt alles nicht logisch.  

Lindner, Ex-General und Verkehrsminister Volker Wissing, Justizminister Marco Buschmann und einige andere Liberale waren seit 2013 (spätestens seit 2017) strategisch mit der Maßgabe unterwegs: Eine natürliche Verbindung zwischen Union und FDP gibt es nicht (mehr), diese bürgerliche Zwangsjacke gilt es abzustreifen. Das Ganze wird mit der Formel besungen: „Wir sind eine eigenständige Kraft.“ Und: „Wir sind progressiv, nicht konservativ.“ Doch dieser Abschied vom Lagerdenken zwischen „links“ und „rechts“ oder „bürgerlich“ und „fortschrittlich“ hat die Liberalen nun erst recht in die Gefahr einer Orientierungs- und Ortlosigkeit gebracht. 

In den Fängen politischer Dementoren

Es gibt die Anekdote, Christian Lindner habe der Jamaika-Koalition 2017 auch deswegen eine Absage erteilt, weil er der gefährlichen Merkel’schen Einvernahme entgehen wollte. Das berühmte Diktum vom „Besser nicht regieren, als schlecht regieren“ folgte demnach mehr einer historischen Erfahrung denn einer Sorge um die Zukunft. Dieser Lesart des FDP-Chefs zufolge sei damals schon die SPD von der Kanzlerin nahezu zerstört worden. Davor wollte er die FDP bewahren. Denn die CDU-Chefin habe es vermocht, alles inhaltlich Andersartige für sich und ihre Partei zu antizipieren, so dass vom politischen Gegner schlicht nichts mehr übrig blieb, als nur noch die in diesem Fall rote, im anderen Fall gelbe Hülle.

Dieser politischen Dementoren-Taktik seien die Liberalen schon einmal fast erlegen, weiß dementsprechend das FDP-Gedächtnis, als die Liberalen mit Angela Merkel von 2009 bis 2013 regierten. Legendär ist diese vierjährige rumpelige Regierungszeit des vermeintlichen politischen Traumpaars, die für die FDP mit dem Auszug aus dem Bundestag endete (und Merkel das beste Wahlergebnis ihrer Amtszeit bescherte!). Dieses Trauma des letzten schwarz-gelben Bündnisses auf Bundesebene bestimmt immer noch das Handeln der Akteure und das Bewusstsein der Liberalen mehr, als die akuten Schlachten und Schmerzen der real-existierenden Ampel-Regierung. Doch diese posttraumatische Belastungsstörung der FDP verhindert einen realistischen Blick auf die aktuelle Lage.
 

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In dem Eifer, dem vergangenen Schmerz nicht erneut erliegen zu müssen, tappen die Liberalen nun erst recht in der Falle der Merkelisierung, nur diesmal nicht durch die „Chefin“ persönlich, sondern ausgeführt durch ihren nur ungeschickt wirkenden Zauberlehrling Olaf Scholz. In vielen Politikfeldern nähern sich die Liberalen den rot-grünen Vorstellungen an. Dies passiert gleichzeitig mit einer Umarmungstaktik des Kanzlers, so dass eben ein eigenes liberales Profil gar nicht erkennbar bleibt. Halb haben sie es selbst aufgegeben, halb hat es Scholz für sich entdeckt, genauso wie es Merkel beherrschte.

In der Migrationspolitik hat der Kanzler auch seiner eigenen Partei nun einen restriktiveren Kurs verordnet, auf der anderen Seite lässt sich die FDP dazu hinreißen, beim Staatsangehörigkeitsrecht ohne großes Schmerzensgeschrei eigene Positionen aufzuweichen. Ähnliches gilt in anderen Feldern der Gesellschaftspolitik, aber auch in der Energie- und Klimaschutzpolitik. Selbstbestimmungsgesetz, Verantwortungsgemeinschaft und Demokratiefördergesetz werden plötzlich zu liberalen Herzens-Projekten verklärt, ohne zu merken, dass man damit das Geschäft des politischen Gegners betreibt und keineswegs den eigenen Markenkern pflegt. Vor allem die rot-grüne Staatsfixierung bei der Lösung von vermeintlichen oder echten Problemen wird von den Gelben zunehmend geschluckt und sich sogar angeeignet. 

Liberal überzuckerte Wokeness

Die von Christian Lindner in der Zeit der Außerparlamentarischen Opposition erdachte Marschroute der inhaltlichen Neuaufstellung bei gleichzeitiger Pluralisierung der Machtoptionen erweist sich nun auf dem Höhepunkt der Ampel-Krise als Trojanisches Pferd. Denn die programmatische Neuorientierung hat sich zu sehr als sozial-liberale Träumerei erwiesen, als dass sie gefeit wäre vor einer freundlichen Übernahme durch SPD und Grüne – und führt damit zur eigenen Schwächung. Es danken FDP-Wähler ihrer Partei nicht, auch nicht unbedingt die vielen Jungwähler von 2021, wenn eine „woke“ Ideologie nun durch einen anpassungsfähig gemachten Liberalismus überzuckert wird.

Und zum anderen scheint die fehlende Verortung in einem bürgerlichen Spektrum eine Kopfgeburt zu sein, die verkennt, dass eben auch ein liberales Wählerklientel fernab der urbanen Eliten eher gesellschaftspolitisch konservativ oder zumindest vorsichtiger tickt und nicht aktivistisch unterwegs ist, anders vor allem als es an Unis und in Think Tanks überlegt wird. Die Merkelisierung der FDP bei gleichzeitiger Entfremdung vom eigentlichen Stammwählerklientel ähneln den Krisenphänomenen bei der SPD. Das macht es nicht besser. Will die FDP sich selbst retten, muss sie doch wieder zurück in die Zukunft und wieder anti-linker und fröhlich-bürgerlicher werden.
 

Thomas Sattelberger im Gespräch mit Volker Resing
Cicero Podcast Politik: „Krise schreckt mich überhaupt nicht“

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