Evangelischer Kirchentag in Nürnberg eröffnet - Mehr Waffen, weniger Käßmann

Kapitalismuskritik und Klimaschutz gehören zum guten Ton beim Evangelischen Kirchentag. Doch das Christentreffen in Nürnberg gönnt sich etwas Vielfalt und Kontroverse. Präsident Thomas de Maiziere darf gegen die Jungen stänkern, Friedrich Merz über die Bibel reden. Nur für Friedensaktivistin Margot Käßmann ist es diesmal zu harmlos.

Mit Gottesdiensten und Podien wurde der Evangelische Kirchentag in Nürnberg eröffnet / dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Es gibt eine Art ins Detail gehende moralische Betrachtungsweise der Welt, die auch immer das besondere Aroma Evangelischer Kirchentage ausgemacht hat. Der WDR-Journalist Arndt Henze, der sich seiner Kirche sehr verbunden fühlt, lieferte auf Twitter zum Auftakt des Christentreffens heute in Nürnberg dazu ein kleines Beispiel. Er postete ein Bild des Eröffnungsgottesdienstes, zu dem mehrere tausend Menschen auf den Kornmarkt gekommen waren. Nicht aber den Lobpreis Gottes hob er hervor oder die Verbundenheit aller Christen oder die doch stattliche Teilnehmerzahl. Sondern er konzentrierte sich auf ein anderes Problemfeld. 

In der ersten Reihe saß Ministerpräsident Markus Söder (CSU), flankiert von der Präses der Evangelischen Kirche, Anna-Nicole Heinrich, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Henze schreibt: „Können wir mal über Körper- und Beinsprache des Herrn reden?“ Gemeint war Söder, der etwas breitbeiniger als die anderen Platz genommen hatte. Der Fachausdruck dafür ist „Manspreading“. Die patriarchale Dominanz zeige sich in der Beinstellung, so die Kritik. Feminismus in seiner angewandten Form. 

60.000 Teilnehmer, aber weniger als zuvor

So einfach ist es also offenbar nicht, sich auf dem Kirchentag angemessen zu bewegen. Dabei machten Kontroverse auf der einen Seite wie auch ein gewisser christlich motivierter politischer Grundkonsens auf der anderen Seite schon immer die Balance dieser traditionsreichen Veranstaltung aus. Zum ersten Mal nach Corona lädt der Deutsche Evangelische Kirchentag wieder zur Großveranstaltung ein. Diesmal werden knapp 60.000 Teilnehmer erwartet. Was deutlich weniger sind als die 80.000 vor der Pandemie in Dortmund. Doch Erfolg ist relativ. 

Angesichts dramatischer Kirchenaustrittszahlen und wachsender Entkirchlichung der Gesellschaft erweist sich der Kirchentag doch als eine erstaunlich stabile Institution des öffentlichen Lebens. Die Spitzen des Staates feiern mit Bischöfen und Gläubigen Gottesdienst und diskutieren mehrere Tage lang politische und gesellschaftliche Themen. Keine andere Institution als die katholische und evangelische Kirche bekommt dies auch nur annähernd in dieser Form hin. Die politische Schlagseite in Richtung eines wie auch immer zu beschreibenden links-grünen Mainstreams ist dabei nicht zu übersehen. Dennoch gibt es auch in Nürnberg Vielfalt und Bandbreite. Immerhin saß Söder in seiner Heimatstadt in der ersten Reihe, wenn eben auch politisch nicht ganz korrekt.

In seiner Eröffnungspredigt gab der gastgebende Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm auch ungefähr die Leitlinien vor. Wachstum solle nicht mehr am materiellen Wohlstand festgemacht werden, sondern am „Beziehungswohlstand“. Das geht sogar über einen marktwirtschaftlichen Kosens der Ampelregierung hinaus. Und bei einem ersten großen Podium zum Thema Migration erklärte Bedford-Strohm, „alles“ (!),  was er bisher zur Reform des europäischen Asylsystems gesehen habe, stimme ihn „nicht hoffnungsvoll“. Die Vorschläge könnten „die Würde der Flüchtlinge“ nicht wahren, so der frühere EKD-Ratsvorsitzende. Ist das gelebtes Christentum oder schon überdrehter Protestantismus?

Robert Habeck und die Letzte Generation

Es gab auch andere Akzente auf dem Podium. Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU), selbst Christin, konterte: „Wir dürfen nicht falsche Anreize setzen, dass sich Menschen ohne Schutzgrund auf dem Weg machen“, erklärte sie. Man könnte meinen, dies sei eine Selbstverständlichkeit. Doch die CDU-Politikerin musste Protestbekundungen aus dem Publikum aushalten. Kirchentag kann Kontroverse, aber jedem ist auch schnell klar, wo die Grenzen des evangelisch-korrekten Wohlbehagens liegen.

Am Freitag gibt es eine Spitzenrunde zum Thema Klimapolitik. Der Titel der Veranstaltung lautet vielsagend „Wer hat's verbockt? Und was machen wir jetzt?“ Ob das nun direkt oder indirekt auf die Politik von Robert Habeck gemünzt ist, bleibt unklar. Aber der grüne Bundeswirtschaftsminister stellt sich der Diskussion. Neben Habeck wird die Klimaaktivistin und Sprecherin der „Letzten Generation“, Carla Hinrichs, sitzen. Schon bei der Synode hatte die Evangelische Kirche die Klima-Apokalyptiker warmherzig empfangen, also ist es kein Wunder, dass sie auch in Nürnberg auftauchen. Ob sie sich auch Kritik anhören müssen, wird spannend sein zu sehen. 

 

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Ebenfalls zu der Debatte eingeladen ist Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens, also einer der wichtigsten Industrievertreter Deutschlands. Allerdings einer, der die grüne Melodie zu singen versteht. Mehr Gegenwind ist dem Minister nicht zuzumuten, Politiker anderer Parteien fehlen. Aber damit die grüne Kraft auch weiblich zu sehen ist, wird noch Mona Neubaur, grüne Wirtschaftsministerin in Düsseldorf, dabei sein. Vielleicht soll die harmlose Besetzung ein Gegengewicht zu den Anne-Will-Sonntagsrunden sein, wo manchmal ja doch auch die Opposition zu Wort kommt. Vielleicht aber auch wird Habeck neben Hinrichs aussehen wie seine eigene Opposition. 

„Jetzt ist Zeit für Waffen.“

Auch CDU-Politiker kommen nach Nürnberg; so hat man dem CDU-Vorsitzenden eine sogenannte Bibelarbeit zugewiesen. Friedrich Merz wird am Samstagmorgen über einen Text aus dem Lukas-Evangelium sprechen. Überschrieben ist seine Veranstaltung mit dem Titel: „Die Zeit wird kommen“. Gemeint ist allerdings nicht die nächste Legislaturperiode, sondern das Reich Gottes.

Friedrich Merz ist allerdings bekanntermaßen katholisch. Einer der prominentesten protestantischen Christdemokraten ist der frühere Verteidigungs- und Innenminister Thomas de Maizière. Er hat diesmal die Präsidentschaft des Kirchentags übernommen. Das letzte Mal, dass ein Unionspolitiker dieses Amt innehatte, war 1981, damals war es Richard von Weizsäcker, und Hauptthema war die Nachrüstungsdebatte. Erstaunlich, wie das einstige Herzblutthema der Kirchentage, die Friedenspolitik, diesmal auch in ein gewisses konsensuales Korsett gepresst wurde. Bundestagspräsident Steinmeier gab gleich bei der Eröffnung die Richtung vor. In Anspielung auf das Kirchentagsmotto „Jetzt ist die Zeit“ sagte er: „Jetzt ist Zeit für Waffen.“ Darauf gab es zwar etwas Unruhe im Publikum, aber die Regie hat dafür gesorgt, dass es zur ganz großen Kontroverse über Krieg und Frieden in Nürnberg mutmaßlich nicht kommen wird. 

Bashing gegen die Generation Z

Die prominenteste evangelische Theologin Deutschlands, eines der prominentesten Gesichter einer kritischen Haltung gegenüber der Ukraine-Politik der Bundesregierung, fehlt in Nürnberg. Die frühere Landesbischöfin und EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann hat ihre Teilnahme abgesagt. Zwar hatte man ihr ein Hauptpodium zum Thema angeboten, doch das war ihr nicht genug. Laut FAZ wollte Käßmann auch noch mit dem Liedermacher Konstantin Wecker auftreten, und zwar unter dem Titel „Entrüstet Euch“. Darauf hatten die Organisatoren jedoch keine Lust. Nun fehlt sie – und damit der Kontroverse die Spitze. Auf dem Podium sitzt de Maiziere stattdessen unter anderem zusammen mit dem EKD-Friedensbeauftragten Friedrich Kramer, allerdings auch ein Kritiker der Waffenlieferungen.

Der Kirchentag wünscht es sich etwas braver. Kontroverse, aber nicht zu viel. Erstaunlich dann doch, wie breitbeinig Präsident Thomas de Maizière sich vor dem Kirchentag hinfläzt: Im Interview mit der Zeit etwa teilt er gegen die Generation Z aus. Deren Anspruchshaltung gehe ihn gegen den Strich, wütet er. „Mich ärgert, dass sie zu viel an sich denken und zu wenig an die Gesellschaft“, so der frühere CDU-Politiker. Und für das Thema Work-Life-Balance hat er ohnehin nur Verachtung übrig. Der Begriff sei abstrus; Arbeit gehöre zum Leben. „Am siebten Tage sollst du ruhen, heißt es in der Bibel. Das bedeutet ein Verhältnis von sechs zu eins. Und nicht, dass die Freizeit überwiegt.“ Die Gesellschaft müsse leistungsfähiger und sozialer werden, so de Maiziere. Kein Champagner mit Lieferando! Seine wütenden wie strengen Gegenakzente stoßen in der evangelischen Kirchentagsblase auf Widerspruch. Aber sie mutet sie sich zu.

Das immerhin spricht für den Kirchentag.

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