Die EVP und die Europawahl - „Wir können Krise“

Der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber spricht anlässlich der anstehenden Europawahl über den europäischen Migrationskompromiss, eine gemeinsame EU-Verteidigungspolitik und die Verdienste von Ursula von der Leyen.

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, spricht bei einer Medienkonferenz während eines EU-Gipfels in Brüssel / dpa
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Autoreninfo

Der promovierte Politikwissenschaftler Ulrich Berls ist Fernsehjournalist und Autor. Von 2005 bis 2015 leitete er das ZDF-Studio München. Bei Knaur erschien sein Buch „Bayern weg, alles weg. Warum die CSU zum Regieren verdammt ist“.

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Manfred Weber ist Mitglied der CSU sowie Partei- und Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP). Seit 2004 gehört er dem Europäischen Parlament an. Bei der Europawahl 2019 war er Spitzenkandidat seiner Partei. Seit 2015 ist er stellvertretender Parteivorsitzender der CSU.

Herr Weber, in elf Wochen ist Europawahl. Wie wird es ausgehen?

Es wird eine enge Richtungswahl werden, weil es grundsätzlich um den Zusammenhalt in Europa geht. Radikale Kräfte nehmen zu: Le Pen in Frankreich mit Abstand stärkste Kraft, AfD in Deutschland zweitstärkste Kraft, PiS in Polen nach wie vor stark usw. Gleichzeitig darf es keine Mehrheit links der Mitte geben. Deshalb meine Botschaft: Nehmt diese Wahl ernst, es geht um viel, es geht um die demokratische Mitte in Europa – und die muss gestärkt werden.

Der Winter ist zuende. Das Mittelmeer ist leichter zu befahren. Kürzlich kamen an einem Wochenende knapp 2000 Flüchtlinge auf Lampedusa an. Migration ist doch ein europäisches Megathema im Wahljahr?

Migration ist eine der großen Aufgaben. Wir haben nach acht Jahren quälender Debatte seit dem Syrien-Krieg endlich einen Konsens gefunden; vor Weihnachten gab es eine europäische Einigung. Europa hat ein Konzept, wie wir in die Zukunft gehen. An der EU-Außengrenze wird entschieden, wer rein darf und wer nicht. Der Staat entscheidet und nicht die Schlepperbanden. 

Aber niemand kann endgültige Lösungen anbieten. Solange Afrika Perspektiven braucht und Europa wohlhabend ist, solange es Bürgerkriege in unserer Nachbarschaft gibt, solange von manchen Autokraten Migration als Waffe eingesetzt wird, wird es Migration geben. Für uns steht im Mittelpunkt, dass wir humanitären Schutz geben, aber dennoch an der Außengrenze für Ordnung sorgen. Europa liefert, und ich bin optimistisch, dass wir es an den Zahlen sehen werden.

Trotz des jetzt auch noch dazu gekommenen Gaza-Krieges? Trotz der immer instabileren Subsahara-Zone? Und was ist mit dem bevölkerungsreichen Ägypten mit seiner verheerenden Jugendarbeitslosigkeit? Da fehlt es bisher doch nur an geeigneten Schiffen, weil man mit leichten Booten von Ägypten nicht übers Mittelmeer kommt. Meinen Sie wirklich, dass die Beschlüsse vom Dezember ausreichen?

Wir hatten jetzt beispielsweise in Österreich die Hälfte der Ankunftszahlen wie im Vorjahr. In Italien sind sie bis März um zwei Drittel geringer. Das ist ein Erfolg der Politik. Aber wir dürfen nicht nur auf aktuelle Zahlen schauen, wir müssen, wie Sie richtig sagen, auf die Situation in unserer Nachbarschaft blicken. Wir müssen die Partnerschaft mit ihnen suchen. Deshalb bin ich für das Abkommen mit Tunesien, obwohl ich dafür gescholten wurde. Es gibt keine Alternative zu solchen Partnerschaften, egal wer dort regiert. 

Kürzlich war Ursula von der Leyen ja mit einigen Staats- und Regierungschefs in Ägypten, um neue Abkommen abzuschließen. Erfolge gibt es auch schon länger an der griechisch-türkischen Grenze, was das Ergebnis von Abkommen und Finanzzahlungen ist. Diese Zusammenarbeit muss auf Augenhöhe stattfinden. Wir müssen zuhören, warum es dort z.B. so hohe Jugendarbeitslosigkeit gibt. Wenn wir uns nicht um diese Länder kümmern, werden sich viele Millionen Menschen dort aufmachen. Und diese Länder werden sich andere Partner suchen, wie China oder Russland. Unser tiefstes Interesse ist, das unsere Nachbarschaft stabil ist.

Zum Krieg in der Ukraine: Sie fordern eine europäische Nuklearstrategie, Cyber Defense, Standardisierung der Waffensysteme, einen gemeinsamen Raketen-Abwehrschirm. Ist Verteidigung nicht Sache der Nationalstaaten bzw. der Nato? Die EU ist doch militärisch ein Nichts.

Wir Europäer sind bisher ohne Nato weitgehend nackt in einer Welt von Stürmen. Wir können uns noch nicht allein verteidigen. Zu dieser Lage hat eine jahrzehntelange rein nationale Brille und teils auch Naivität in Militärfragen geführt. Deshalb spricht jetzt alles für eine engere Zusammenarbeit bei der europäischen Verteidigung. Das fängt mit der Kosteneffizienz an. Wir Europäer haben bis zu 17 verschiedene Panzer, die USA einen. Wir haben 180 verschiedene Waffensysteme, die USA 30. Mit der Schaffung eines europäischen Binnenmarktes für Rüstungsgüter könnten wir Milliarden sparen und stärker werden. Deshalb brauchen wir einen Kommissar für Verteidigung, den wir in der kommenden Legislaturperiode schaffen werden.

Mit welchem Ziel?

Es geht um den europäischen Mehrwert von Rüstung. Bei der Frage eines deutschen Raketenabwehrschirms muss doch jedem einleuchten, dass es sinnvoller ist, solche Systeme gemeinsam und auch im Osten Europas zu installieren und nicht erst bei uns. Wir müssen einen europäischen Schutzschirm aufbauen. Oder beim Thema Cyber Defense, da gibt es doch sowieso keine nationalen Grenzen mehr, es ist doch völlig egal, ob ein Server in Prag oder Frankfurt steht. Wir brauchen eine europäische Cyber-Brigade als gemeinsame Einheit.

EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) / dpa

Wenn man sich in Brüssel umhört, dann gelten die Deutschen in der Klima-, vor allem aber in der Energiepolitik als isoliert. Vor kurzem gab es einen großen Nuklearenergie-Gipfel mit mehr als 30 Staaten und Emmanuel Macron vorneweg. Das Ergebnis: Ohne die weitgehend CO2-neutrale Nuklearenergie können wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Wie sehr leiden Sie als europäischer Spitzenpolitiker unter dem Sonderweg ihres Heimatlandes?

Man bekommt viele kopfschüttelnde Rückfragen. Zahlreiche Nachbarn steigen ein oder bauen die Kernkraft aus: Tschechien, Polen, Finnland, Schweden, Dänemark, Niederlande, Frankreich. Wir gehen einen isolierten Sonderweg und steigen aus. Ich bekenne mich dazu, dass die Frage, welche Energiequelle wir nutzen, nationale Kompetenz ist. Aber wir brauchen endlich in der nächsten Legislatur einen vollendeten europäischen Strom-Binnenmarkt. Der Strom muss in ganz Europa frei gehandelt werden, er muss frei fließen. Davon würden wir als Deutsche ganz besonders profitieren.

Ursula von der Leyen hat sich über Jahrzehnte hinweg als Politikerin der eher linksliberalen Mitte positioniert. Ihre EVP steht mehrheitlich nicht unbedingt dort. Jetzt bei ihrer Kür zur Kandidatin hat sie mehr Kante versprochen: eine härtere Migrationspolitik beispielsweise oder eine Verlangsamung des Green-Deal-Tempos. Glauben ihr die Wähler das? Im übrigen muss am Ende doch sowieso meist eine informelle Große Koalition im Parlament entscheiden.

Die Wähler entscheiden über die Mehrheitsverhältnisse. Wenn wir als CDU und CSU, als EVP-Parteien der bürgerlichen Mitte gewinnen, werden wir unsere Ziele durchsetzen. Wir stehen zum Green Deal. Ich bin 51 Jahre alt, für meine Generation ist das Thema Ökologisierung und Klimaschutz eine Schicksalsfrage. Aber der Green Deal muss wortwörtlich auch ein Deal sein. Ich möchte nicht, dass unsere Wärmepumpen und Elektroautos aus China kommen, ich möchte, dass die Jobs bei uns entstehen. Deshalb müssen wir das alles gemeinsam mit der Industrie machen. Übrigens auch gemeinsam mit den Landwirten.

Wenn linke Politiker sagen, der ökologische Wandel muss wehtun, dann widerspreche ich vehement. Wenn wir die Menschen nicht mitnehmen und beteiligen, kann der Green Deal nicht funktionieren. Im Ziel sind wir uns in der demokratischen Mitte einig, wir wollen 2050 klimaneutral sein. Aber der Weg ist strittig. Wenn wir eine Mehrheit im Parlament hinbekommen, werden wir beispielsweise das Aus für den Verbrennungsmotor rückgängig machen. Diese Technologie müssen wir in Europa halten, samt der Arbeitsplätze.
 

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Nochmals zur Kandidatur von Ursula von der Leyen: Speziell der deutsche Wähler erinnert sich an ihre sechs Jahre im Bundesverteidigungsministerium. Sie sprachen vorhin selbst vom bedauernswerten Zustand unseres Militärs. Ursula von der Leyen war doch eine der Hauptverantwortlichen für die Fehlausrichtung der Bundeswehr. Ist sie in diesen Zeiten wirklich die Richtige?

Natürlich passt Ursula von der Leyen, sie ist die richtige Kandidatin! Sie hat einen guten Job als Kommissionspräsidentin gemacht, und sie steht zu unserem in Bukarest beschlossenen EVP-Programm, und da stehen Wettbewerbsfähigkeit und Verteidigung im Zentrum. Wir haben als EVP nahezu alle jüngsten Wahlen gewonnen. Ich habe die Partei mit sieben Staats- und Regierungschefs übernommen, heute haben wir 13, das ist fast die Hälfte der Ratsmitglieder. Wir gewinnen Wahlen, weil wir Brückenbauer sind zwischen dem Sozialen und der Wirtschaft, zwischen Ökologie und Ökonomie, zwischen Verteidigung und Friedenssicherung. Unser christdemokratisches Angebot von bürgerlicher Mitte ist wieder attraktiv. Wir können Krise!

Und was ist mit den europäischen Rechtsparteien? Da gibt es die ziemlich Rechten, die in der EKR organisiert sind, mit Giorgia Meloni und anderen. Dann noch die ganz Rechtsaußen unter dem Namen ID mit Marine Le Pen, der deutschen AfD usw. Muss Ihre EVP nicht alles dafür tun, um einige dieser Parteien zu sich zu ziehen?

Ich erlebe bei den rechten Parteien vor allem Konfusion und Streit. Da sind die Putin-Freunde: Le Pen, Orban, AfD. Ich sehe genauso Putin-Feinde: z.B. die PiS in Polen. Ich erlebe beim Migrationspakt, dass die italienische Ministerpräsidentin und der Regierungschef von Tschechien zustimmen, sie wollen das Problem konstruktiv lösen, und ich höre Orban und andere, die dagegen wettern. Es gibt keine homogene Rechts-Gruppe. Für uns als EVP ist klar, wir sind mit Adenauer, De Gasperi, Schuman, Kohl, Waigel und vielen mehr die Partei des heutigen Europas. Und wir werden extremen Rechten wie z.B. der AfD die Stirn bieten. Die EU ist nicht perfekt, aber sie ist das beste Europa, das es je gab.

Wenn wir mal das parteipolitische Gezänk, aber auch den bürokratischen Mehltau beiseite schieben: Gibt es einen europäischen Wertekanon? „Ja“, werden Sie natürlich sagen, aber wie und wo soll der Wähler den erkennen?

Es gibt einen European Way Of Life. Unter diesem Ausdruck verstehe ich die Idee, dass wir in Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit leben. Wir leben die Gleichberechtigung von Frau und Mann, wir nehmen die Ökologie ernst. Auch haben wir die Todesstrafe abgeschafft. Wo gibt es denn Vergleichbares in der Welt? Von Portugal bis Finnland gelten die gleichen Prinzipien. Und die Soziale Marktwirtschaft gehört dazu: Auch in Rumänien gehen die Menschen ins Krankenhaus und nennen zuerst ihren Namen und nicht die Nummer ihrer Kreditkarte wie beispielsweise in den USA.

Als der ukrainische Präsident Selenskyi bei uns im Parlament gesprochen hat, benutzte er 20 Mal den Ausdruck European Way Of Life. Die Ukrainer erinnern uns heute täglich daran, was es bedeutet, Europäer zu sein. Die Art, wie über 440 Millionen EU-Bürger bei aller Vielfalt Gemeinschaft und Gesellschaft definieren, ist einzigartig in der Welt. Und das müssen wir verteidigen.

Das Gespräch führte Ulrich Berls.


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