
- „Es geht um Akzeptanzgewinnung“
„Fit for 55“ – so lautet der Name des europäischen Klimaschutzprogramms, das heute von EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans vorgestellt werden soll. Auch in Deutschland soll bis 2030 einiges passieren. Im Gespräch mit Simone Peter vom BEE über nachhaltige Energien und zu niedrige Prognosen des Wirtschaftsministeriums.
Simone Peter war bis 2012 Ministerin für Umwelt, Energie und Verkehr im Saarland und bis 2018 Co-Vorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Heute ist sie Präsidentin des Dach- und Lobbyverbands Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE).
Wirtschaftsminister Altmaier korrigierte gestern die Anfang 2020 veröffentlichten Zahlen zum voraussichtlichen Stromverbrauch Deutschlands im Jahr 2030. Von 580 Terawattstunden auf 645 bis 665 Terawattstunden ist das ein ganz schöner Sprung.
Ja, endlich erkennt das Bundeswirtschaftsministerium, dass die bisherigen Annahmen viel zu niedrig waren, um den wachsenden Strombedarf durch Elektromobilität, Wärmepumpen und Grünen Wasserstoff zu decken. Wir haben schon vor Jahren vor einer Ökostromlücke gewarnt und im Frühjahr diesen Jahres unser BEE-Szenario (Szenario über den Stromverbrauch 2030 des Bundesverbands erneuerbare Energien, Anm. d. Red.) für 2030 auch noch einmal an das höhere CO2-Minderungsziel der Bundesrepublik angepasst. Im Klimaschutzgesetz ist festgelegt, dass die CO2-Emissionen um 65 Prozent bis 2030 gesenkt werden müssen. Entsprechend müssen die Ausbauziele für erneuerbare Energien als Schlüsseltechnologien für den Klimaschutz erhöht werden. Aufgrund einer verstärkten Sektorenkopplung wird der Brutto-Stromverbrauch nach unseren Berechnungen von 571 Terawattstunden im Jahr 2019 auf 745 Terawattstunden im Jahr 2030 steigen.
Das sind knapp 100 Terawattstunden mehr als in der Prognose des Wirtschaftsministeriums. Wie kommt die Differenz zustande?
Wir glauben, dass wir viel mehr Wertschöpfung aus heimischem grünen Wasserstoff generieren können und nicht alles importieren müssen. Auch wenn es Importe geben muss, weil die Industrie – von Stahl bis Chemie – einen riesigen Bedarf hat. Der Aufbau eines Heimatmarktes von Elektrolyseuren und die entsprechende Infrastruktur sollte schon jetzt mitgedacht werden.
Wie sehr müssten erneuerbare Energien laut Ihrer Prognose bis 2030 ausgebaut werden?
Wir müssten uns von 242 Terawattstunden grünem Strom im Jahr 2019 auf gut 575 Terawattstunden im Jahr 2030 steigern, was einem Anteil von 77 Prozent im Stromsektor entspricht. Das geht vor allen Dingen durch den massiven Zubau von Photovoltaikanlagen und Windanlagen an Land. Aber auch Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie müssen ihren Beitrag leisten. Es gibt noch viel erschließbares Potenzial, wobei es derzeit besonders um die Bereitstellung von Flächen und Genehmigungen, aber auch um Akzeptanzgewinnung geht. Nur etwa zwei Prozent eines jeden Bundeslands ist mit Windenergieanlagen auszurüsten, und geeignete Dachflächen für Photovoltaik gibt es noch zuhauf.
In den letzten Jahren ging der Ausbau erneuerbarer Energien aber zurück?