Duell Höcke gegen Voigt - Zwischen Gehacktes-Brötchen und Geopolitik

Das mit Spannung erwartete TV-Duell zwischen Mario Voigt und Björn Höcke hat ein Bundesland, das sonst nur für seine Waldeinsamkeit bekannt ist, in den Fokus der großen Politik gerückt. Verloren hat am Ende ein Abwesender.

Thüringen-TV: Voigt gegen Höcke / dpa
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René Schlott, geboren in Mühlhausen/Thüringen, ist Historiker und Publizist in Berlin.

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Die Politikberichterstattung lebt von der Zuspitzung der inhaltlichen Auseinandersetzung auf persönliche Zweikämpfe: Trump vs. Clinton, Baerbock gegen Habeck, Paus gegen Lindner, Biden vs. Netanjahu, Scholz oder Merz. Solche Duelle haben einen hohen Nachrichtenwert. Und in einer Mediengesellschaft werden sie entsprechend inszeniert. So kündigte Welt TV das Duell zwischen Björn Höcke und Mario Voigt seit Tagen im dramatischen Stil des US-Präsidentschaftswahlkampfs an, auch wenn es nur um die im September bevorstehende Landtagswahl in einem Bundesland ging, in dem gerade einmal drei Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung leben.

Doch der Nachrichtenwert des Duells wuchs zusätzlich, weil mit Björn Höcke der ultimative und diabolische Gottseibeiuns der deutschen Politik in den Ring trat. Von ihm war auch die Initiative für das Streitgespräch ausgegangen, das sich an einer Auseinandersetzung zwischen dem Thüringer AfD-Chef Höcke und dem CDU-Landesvorsitzenden Voigt um den Dexit, den Austritt der Bundesrepublik aus der Europäischen Union, entzündete. Wochenlang wurde vorab schon diskutiert, ob Voigt mit seiner Gesprächszusage in eine Falle Höckes getappt sei und ob man nicht generell Höcke die öffentlichkeitswirksame Bühne eines TV-Duells verweigern sollte. Eine Frage, die man sich im Vorfeld der Thüringer Landtagswahl 2019 übrigens nicht stellte, als Höcke mit den Spitzenkandidaten von SPD, Grünen und FDP gemeinsam im MDR diskutierte. 

Wälder und Bratwurst

Bereits lange im Voraus generierte das Duell eine Welle von Vorabberichterstattung – die sich auch mit Thüringen selbst beschäftigte. Eine Seltenheit, denn der Nachrichtenwert des südöstlichen Freistaates ist sonst sehr begrenzt und beschränkt sich oft nur auf dessen Wälder oder die heimischen Bratwürste – und auf seine AfD-Wähler, wobei die übrigen 80 Prozent der Bevölkerung, die andere Parteien oder gar nicht wählen, für die meist westdeutschen Berichterstatter weniger von Interesse sind.

Selbst das vermeintlich belanglose Datum des TV-Duells am 11.4. geriet im Vorfeld zum Politikum. Am 11. April 1945 waren die im damaligen NS-Gau Thüringen gelegenen Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora befreit worden. Und so war die Erinnerungskultur einer der drei Themenkomplexe des Duells, neben europapolitischen Fragen und der Migration. Voigt antwortete sehr persönlich auf die Frage nach der Bedeutung des 11. April für ihn, während Höcke auswich und darauf hinwies, dass man den Deutschen trotz der dunklen Seite der Geschichte wieder eine positive Identität verschaffen müsse, indem man die Aufmerksamkeit eher auf die „Lichtseiten“ lenke.

Zankapfel Europa

Das Duell startete jedoch mit dem Zankapfel Europa, und zeitweise schien es, als könnte Höckes staatsmännisches Kalkül aufgehen, denn Voigt reagierte auf die sehr sachlich vorgetragenen Europaideen des AfD-Mannes mit ziemlich hölzernen Phrasen und technokratischen Worthülsen, und man nahm ihm seine bemüht wirkende Europabegeisterung nicht so recht ab. Zudem war es offensichtlich, dass Voigt mit dem zweifachen Verweis auf Höckes angebliche Nervosität nur seine eigene überspielen wollte. Zur Lieblingsphrase der beiden Gegner wurde schon in der Frühphase des Duells der Verweis auf Faktenchecks, mit denen man die vorgebrachten Zahlen und Daten der jeweils anderen Seite sogleich anzweifelte. Wieder einmal bewahrheitete sich die Crux unserer Diskussionskultur, in der jeder nicht nur seine eigene Meinung, sondern auch seine eigenen Fakten hat – und auch seine eigenen Faktenchecks. Doch wenn eines sicher ist, dann, dass man mit Faktenchecks keine Wähler gewinnen wird. Das vermeintlich objektive Werkzeug wurde selbst schon zu oft instrumentalisiert.

 

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Überraschenderweise geriet Höcke beim eigentlichen AfD-Gewinnerthema, der Migrationspolitik, in die Defensive. Voigt verwies auf die Thüringer CDU-Landräte, die kürzlich als bundesweit erste in ihren jeweiligen Landkreisen die Bezahlkarte und die Arbeitspflicht für Asylsuchende eingeführt hatten. Seine öffentlich bereits 2018 vorgetragenen Pläne zur „Remigration“ wollte Höcke plötzlich, wenig überzeugend, als Rückholprogramm für ausgewanderte Deutsche verstanden wissen. Und er mäanderte minutenlang um vermeintlich falsch verstandene Sätze aus seinen Reden und wollte sich nicht einmal an wörtlich vorgetragene Zitate aus seinen Büchern erinnern, um die mühsam errichtete bürgerliche Duell-Fassade zu wahren. Wes Geistes Kind der Mann ist, wurde klar, als er in argumentative Bedrängnis geriet. Mangelnde Schauspielkünste versuchte Höcke plötzlich durch Arroganz auszugleichen, sodass der mit dem Grundgesetz in der Hand argumentierende Voigt punkten konnte, auch wenn manche von ihm vorgetragene Geschichte, wie die vom „Eimer Wasser“ für durstige russische Soldaten in seiner Jugend, allzu rührselig, aufgesetzt und einstudiert wirkte. Doch auch Höckes Satz „Hass als Gefühl ist mir unbekannt“, sein Verweis auf seine Rolle als langjähriger, empathiefähiger Vertrauenslehrer und als liebender Vater waren allzu durchsichtig. Ein TV-Duell ist eben auch eine Show mit Unterhaltungsabsicht und begrenztem Erkenntniswert.

Streit ums Brötchen

Zwischenzeitlich fielen sich nicht nur Höcke und Voigt gegenseitig ins Wort, sondern auch das Moderatorenduo von Welt TV, was arg unprofessionell wirkte und zeitweise ein unverständliches Kauderwelsch hervorbrachte – oder ein „Wort-Gehacktes“, um im Bild und in Thüringen zu bleiben, auch wenn das Duell im fernen Berlin stattfand. Denn reichlich skurril wirkte der lokalpatriotische Schlagabtausch zwischen dem „Westimport“ Höcke (geboren im westfälischen Lünen) und dem Thüringer Voigt (geboren in Jena) über die richtige Bezeichnung für Hackfleisch-Brötchen in Thüringen: „Hier heißt es Gehacktes-Brötchen und nicht Mett-Brötchen“, musste sich Höcke belehren lassen. „Das habe ich doch gerade gesagt, ich hab zuerst Gehacktes-Brötchen gesagt“, entgegnete der beleidigte Höcke – womit er übrigens Recht hatte.

Am Ende überzog man das ursprünglich auf 45 Minuten angesetzte Duell auch wegen solcher Nickeligkeiten um eine halbe Stunde, was der inhaltlichen Auseinandersetzung manchmal zugute kam, aber Voigt nicht unbedingt zum Vorteil gereichte. Der blieb nicht immer sachlich und griff auch auf Schlagworte wie „Faschist“ (freilich über den Umweg eines Zitats aus dem gleichlautenden Gerichtsurteil gegen Höcke), „Reichskanzler Höcke“ und „Nazi-Schloss Schnellroda“ zurück. Zeitweise geriet das Duell zum verbalen Zweikampf zwischen Höcke und Welt-TV-Moderator Jan Philipp Burgard, der Höcke hartnäckig, schlagfertig und gut vorbereitet immer wieder in die Defensive drängte, sodass sich Voigt etwas zurücklehnen und sammeln konnte. Wenn einer Höcke inhaltlich stellte, dann war es meist Burgard – während seine Co-Moderatorin recht unglücklich agierte.

Authentische Momente

Höcke wird an diesem Abend weder Wähler verloren noch hinzugewonnen haben, und sein Versuch, sich am Ende des Abends das bürgerliche Mäntelchen erneut umzuhängen und Voigt die Hand zur Koalition zu reichen, wirkte wenig überzeugend. Als Voigt das vergiftete Angebot ohne zu zögern ausschlug, gewann er an Statur. Das war einer der authentischen Momente des CDU-Mannes, der sich schon als fürsorgender Landesvater inszenierte, indem er immer wieder Zitate aus Besuchen bei Unternehmen und aus Gesprächen mit den Menschen im Land, „das meine Heimat ist“, in seine Redebeiträge einfließen ließ.

Klar wurde: Voigt will die Landtagswahlen als besonnener, aber kämpferischer Staatsmann gewinnen, der quasi über den Parteien steht. Im Wahlkampf wird er sich gewiss als Anti-Höcke präsentieren, um einstige Wähler von FDP, Grünen und SPD zu gewinnen. Alle drei Ampelparteien liegen in Thüringen unter der oder um die Fünfprozenthürde. Mit dieser Strategie hat Voigts Vertrauter Christian Herrgott Anfang des Jahres die Landratswahl im thüringischen Saale-Orla-Kreis gegen die AfD gewonnen. Allerdings sehr knapp. 

Und knapp wird es auch im September werden. Im Thüringer Landtag haben seit der Wiedergründung des Freistaates schon oft sehr wenige Stimmen den Ausschlag für weitreichende Entscheidung gegeben. Nachzulesen ist dies in dem kürzlich erschienenen Band „Deutschland der Extreme. Wie Thüringen die Demokratie herausfordert“ von Martin Debes, der, spannend wie ein Politkrimi, etwa die Wahl von Kurzzeitministerpräsident Thomas Kemmerich am 5. Februar 2020 schildert, als der FDP-Mann 45 Stimmen erhielt und der amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow 44 Stimmen bekam.

Ein Duell gegen den Abwesenden

Das Duell hat Voigt nun schlagartig einen ähnlichen bundesweiten Bekanntheitsgrad wie Ramelow verschafft, den das mit Sicherheit ärgern wird. Voigt und nicht Ramelow hat sich nun als Herausforderer des derzeit in den Umfragen führenden Höcke etabliert. Beide werden weiteren Duellen sicher nicht aus dem Weg gehen. Und zum Auftakt des Zweikampfes hat Voigt sich passabel, aber nicht überragend, gegen seinen völkischen Herausforderer geschlagen. Doch wessen Strategie am Ende aufgehen wird, Höckes Ausweichspiel mit der bürgerlichen Fassade oder Voigts präsidiale Inszenierung seiner Heimatliebe, bleibt einstweilen offen.

Buchautor Debes, langjähriger Beobachter und wohl bester Kenner der Thüringer Landespolitik, resümiert: „Somit erscheint nur eines gewiss: Thüringen wird 2024 wieder die ganze Republik beschäftigen.“ Der Freistaat hat doch Nachrichtenwert.

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