Dokumentarfilm über Gerhard Schröder - Nichts zu bereuen

Aus Anlass seines 80. Geburtstags zeigt die ARD eine Dokumentation über Gerhard Schröder. Und porträtiert einen Altkanzler, der trotz Ukrainekrieg mit sich im Reinen zu sein scheint. Kritik übt Schröder nicht an Putin – sondern an der SPD-Führung und an Annalena Baerbock.

Altkanzler Gerhard Schröder in seiner Kanzlei in Hannover / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Ein schwarzer VW-Van fährt auf einer Landstraße der Kamera entgegen und biegt auf einen Parkplatz ab. Kurz darauf entsteigen Gerhard Schröder und seine (fünfte) Ehefrau So-yeon Schröder-Kim dem Bully, packen ihre Golfsachen aus und begeben sich auf den Platz. Der Altkanzler hadert ein bisschen mit seinen Schlägen und lobt seine Gattin für die ihren. So stellt man sich das Leben eines erfolgsverwöhnten ehemaligen Spitzenpolitikers vor. 

Alles könnte so schön sein. Aber als bekennender Putin-Freund und Gas-Lobbyist in russischen Diensten hat sich für Schröder, der an diesem Sonntag 80 Jahre alt wird, mit dem Ukrainekrieg vieles verändert: Er steht jetzt massiv in der Kritik – nicht zuletzt innerhalb seiner eigenen Partei. Die SPD wollte ihn bekanntlich sogar loswerden, doch der Versuch eines Ausschlusses scheiterte.

„Manchmal ein bisschen anders“

Wie geht der siebte deutsche Bundeskanzler mit dieser Situation um? Das ist das Thema der einstündigen Dokumentation, die der NDR-Reporter Lucas Stratmann vom Spätsommer vergangenen Jahres an gedreht hat und die am Montag um 21 Uhr bei der ARD zu sehen sein wird. Ein halbes Jahr lang durften Stratmann und sein Team das Ehepaar Schröder begleiten, unter anderem bei einer Vortragsreise nach China. Zu erleben ist ein Ex-Politiker, der nichts bereut und jegliche Kritik an sich abperlen lässt. Es ist eben der alte Schröder: Jeglichen Versuchen, ihn in die Ecke zu drängen, widersetzt er sich mit trotziger Entschlossenheit. „Ich bin manchmal ein bisschen anders als andere“, sagt er in die Kamera – und ist sichtlich stolz darauf.

Schon gleich während der Eröffnungsszene auf dem Golfplatz nimmt er Stellung zum Ukrainekrieg; beteuert, dass er diesen Konflikt abgelehnt habe – was aber keiner wissen wolle. Ohnehin sei das eine Geschichte, die „nicht auf dem Golfplatz besprochen werden sollte“. Tatsächlich werden sich noch andere Gelegenheiten ergeben, ihn dazu zu befragen. Auf jeden Fall gibt Schröder schon früh zu Beginn des Films zu Protokoll, dass er mit seinen Gasgeschäften zu etwas beigetragen habe, das er für „vernünftig“ hielt, nämlich „eine sichere und bezahlbare Versorgung“ Deutschlands mit russischem Erdgas. Dass die Bundesrepublik nach Beginn der Ukraine-Invasion aus bekannten Gründen in die tiefste Energiekrise ihrer Geschichte stürzte, wird nicht behandelt. Soviel zum Thema Versorgungssicherheit.

Kevin Kühnert als „armer Wicht“

Den ganzen Film über mäandert Gerhard Schröder zwischen seinen Rollen als Elder Statesman und rabaukenhaftem Machtmensch, der immer wieder beteuert, dass er sich nicht isoliert fühle – auch nicht in der SPD. Und wenn der eine oder andere Genosse ihm am Zeug flicken wolle, falle das doch nur auf diesen selbst zurück. Ungefähr nach dem Motto: Was juckt es die Eiche, ob sich eine Sau daran kratzt? Wenn etwa Generalsekretär Kevin Kühnert dafür gesorgt habe, Schröder von der SPD-Homepage zu entfernen, entpuppe er sich eben als „armer Wicht“. Überhaupt tituliert Schröder seine Kritiker mehrmals als armselige Gestalten. Selbstkritik ist seine Sache jedenfalls nicht, eigentlich hat er – so seine Eigenwahrnehmung – auch im Zusammenspiel mit Putin immer alles richtig gemacht. Ganz anders als die SPD, die sich fragen müsse, warum sie in den Umfragen so weit hinter der AfD liege: „Damit müsste sich eine selbstbewusste und ihre Aufgaben erfüllende Führung beschäftigen.“

 

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Stratmann lässt die private (und offenbar auf Bitten der Ukraine zustande gekommene) Friedensmission Schröders Revue passieren, als sich der Altkanzler zwei Wochen nach der Invasion mit Ehefrau im Privatjet nach Moskau begab, um … Ja, was eigentlich? Jedenfalls traf er im Kreml auf den obersten Boss, während So-yeon Schröder-Kim als gläubige Christin in der nahegelegenen Hotelsuite die Hände zum Gebet faltete und entsprechende Bilder von sich auf Social Media postete. Ihr Gatte habe, erinnert sich Schröder-Kim, mit Putin über kulturelle Aspekte, die Nato-Mitgliedschaft, bewaffnete Neutralität und kollektive Sicherheitsgarantien reden wollen. Die Gespräche führten ganz offenbar ins Leere; woran sie scheiterten, das deckt auch dieser Film nicht auf. Stattdessen darf Gerhard Schröder noch einmal hervorheben, dass er den Ukrainekrieg für einen „historischen Fehler“ halte, der von keiner der beiden Konfliktparteien militärisch gewonnen werden könne.

In Treue zu Putin

Natürlich versucht Filmemacher Lucas Stratmann aus seinem Gegenüber ein paar kritische Sätze über dessen „Männerfreund“ Wladimir Putin herauszukitzeln oder wenigstens eine Relativierung des berühmten Schröder-Bonmots, wonach es sich beim russischen Präsidenten um einen „lupenreinen Demokraten“ handele. Aber der Altkanzler lässt auf den Kreml-Autokraten nichts kommen und gesteht allenfalls ein, dass seine damalige Hoffnung, Putin werde Russland demokratischer machen, sich nicht unbedingt bewahrheitet habe. Um gleich eine Relativierung hinterherzuschieben: „Es gibt freie Wahlen, das kann man nicht bestreiten.“ 

Genau diese Aussage würden zwar sehr viele Russen und Russlandkenner sehr wohl bestreiten (man denke nur an die gesteuerte Kandidatenauswahl vor der zurückliegenden Präsidentschaftswahl). Aber von solcherlei Details lässt sich ein Gerhard Schröder nicht irritieren: Zu sagen, in Putins Reich gebe es keine demokratische Willensbildung, sei „verkehrt“. Von Alexej Nawalny ist übrigens an keiner Stelle die Rede – vielleicht auch, weil dessen Tod im Straflager nach Abschluss der Dreharbeiten geschah.

Baerbocks Professionalität „eher unterentwickelt“

Die Aufnahmen von Schröders Chinareise zeigen ihn meist bei Banketten und in Begleitung des ehemaligen chinesischen Botschafters in Deutschland. Die Gastgeber begegnen dem Altkanzler mit Ehrfurcht, was dieser zu genießen scheint. Er selbst erzählt davon, dass er den inoffiziellen Ehrentitel eines „alten Freundes des chinesischen Volkes“ trage; der genaue Grund seiner Reise indes bleibt bis zuletzt unklar. 

An einer Stelle wird Schröder von Stratmann auf die amtierende Außenministerin Annalena Baerbock angesprochen und auf deren öffentliche Aussage, bei Chinas Präsidenten Xi Jinping handele es sich um einen Diktator. Der Ex-Kanzler daraufhin: Zu den „Aktionen der gegenwärtigen Außenministerin“ wolle er sich nicht äußern. Um es gleich darauf eben doch zu tun: Baerbocks Politik zeige eine „erschreckende Fehlentwicklung“, es sei sehr viel Porzellan zerschlagen worden – und überhaupt sei die Professionalität im Auswärtigen Amt derzeit „eher unterentwickelt“.

Mehr Charisma als Olaf Scholz

Ansonsten darf Gerhard Schröder sich noch ein paarmal selbst loben (etwa wegen seiner Agenda 2010), seiner offenkundigen Verachtung gegenüber der SPD-Chefin Saskia Esken Ausdruck verleihen oder eine Urkunde über 60 Jahre SPD-Mitgliedschaft entgegennehmen. Letzteres scheint ihm besondere Freude zu bereiten, weil besagte Esken eben nicht umhinkam, diese Urkunde mit ihrer eigenen Unterschrift zu versehen. Und Schröder feiert dieses Parteijubiläum hinterher in seinem Hannoverschen Lieblingsrestaurant im Kreise von Freunden und treuen Weggefährten. Mit am Tisch: Ex-Innenminister Otto Schily sowie der frühere Außenminister Sigmar Gabriel. Beide scheinen über die Anwesenheit eines Filmteams nicht gerade begeistert zu sein.

Was zurückbleibt von diesem Film ist der Eindruck eines selbstgerechten Machtpolitikers, der trotz seiner zahlreichen Verfehlungen und seines geradezu störrischen Festhaltens an seinem angeblich freundschaftlichen Verhältnis zu Putin immer noch mehr Souveränität ausstrahlt als sein gegenwärtiger SPD-Nachfolger im Kanzleramt. Aber das sagt womöglich mehr über Olaf Scholz aus als über Gerhard Schröder.  

Sendetermin: Montag, 8. April um 21 Uhr in der ARD

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