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(picture alliance) Das Antidiskriminierungsgesetz wird fünf Jahre alt. Wem hat es genützt?

Gesetzesjubiläum - Diskriminieren verboten – aber hat es genützt?

Seit fünf Jahren hat auch Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz. Einst lautstark umkämpft, funktioniert es im Alltag  mittlerweile geräuscharm. Kaum noch  gefürchtet, bisher wenig bekannt, kommt die juristische Ächtung von Ungleichbehandlung erst langsam in der Gesellschaft an. Eine Bilanz von Vera Gaserow.

Fünf Jahre alt wird der Spross. Bestes Alter. Doch wenn das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)  am 18. August seinen fünften Geburtstag feiert, werden die Glückwünsche eher verhalten ausfallen. Dabei hätte selbst die Kanzlerin Grund  zum Anstoßen: denn was für die Union einst ungewolltes Balg war und die FDP am liebsten abgetrieben hätte, hat sich zum akzeptierten Mitglied unserer Gesellschaft gemausert, altersgemäß entwickelt – und vor allem pflegeleichter als manche gewarnt hatten.

Zur Erinnerung: Was war das für ein Geschrei, als Rot-Grün sich 2004 anschickte, lang sträflich ignorierte europäische Gleichbehandlungs-Richtlinien in deutsches Recht umzusetzen. Ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG) sollte die Benachteiligung aufgrund  ethnischer Herkunft, Geschlecht,  Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Identität verhindern. Wirtschaftsverbände liefen Sturm, Kirchen, Hauseigentümer, Versicherungen, Union, FDP – sie alle probten den Aufstand. Ein „bürokratisches Monster“ sei das rot-grüne Paragrafenwerk, unternehmerische Freiheit werde geknechtet. Weg mit dem „Jobkiller!“, polterte damals auch CDU-Chefin Angela Merkel.

Als Kanzlerin musste sie das Gesetz dann zwei Jahre später selber umsetzen – auf Druck der EU und des SPD-Koalitionspartners. Ein Buchstabe wurde getauscht, der Inhalt blieb. Aus dem ADG wurde das AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) Merkel nannte es ihr „persönliches Trauma“.

Das dürfte mittlerweile verdrängt sein. Denn seit seinem Inkrafttreten vor fünf Jahren funktioniert das Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung erstaunlich reibungslos. Nur hat es auch etwas gebracht? Den Betroffenen, der Gesellschaft, der Chancengleichheit in unserem Land?

Der Nutzen von Gesetzen lässt sich kaum quantifizieren. Beim AGG lässt sich am sichersten sagen, was es nicht gebracht hat: Die von seinen Gegnern  lautstark beschworene Klagewelle gegen Arbeitgeber oder Vermieter zum Beispiel. Sie ist nachweislich ausgeblieben. Sicher, vereinzelt gibt es Fälle wie den des 42-jährigen Autoverkäufers, der sich 80 Mal auf Jobangebote bewarb, in denen ein „junger, dynamischer Mann“ gesucht wurde – nur um bei der zu erwartenden Absage eine Entschädigung herauszuholen. Erfolglos.

Mittlerweile hat selbst die einschlägige Anwaltskanzlei, die in einer bundesweiten Datenbank solch gefürchtete „AGG-Hopper anprangerte, ihr Archiv aufgelöst, mangels Masse. Und auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) räumt jetzt ein, die „Gefahr von Klagewellen“ sehe man nicht. Dennoch schaffe das AGG durch Musterverfahren weiterhin „erhebliche Rechtsunsicherheit und Rechtsunklarheit“.

Dabei zeigt ein Blick auf die Urteile der letzten fünf Jahre: Die Gerichte legen das AGG recht unspektakulär und sehr differenziert aus. Dabei kristallisieren sich in heiklen Streitfragen wie etwa dem Kopftuchverbot am Arbeitsplatz, dem Kündigungsschutz in kirchlichen Einrichtungen oder der Zulässigkeit von Stellenausschreibungen nur für Männer oder Frauen mittlerweile juristische Leitlinien heraus. Dennoch klagt die Arbeitgeberlobby weiter über “bürokratischen und kostenträchtigen Begründungs- und Dokumentationsaufwand“:.156 Millionen Euro jährlich koste es die Unternehmen nachzuweisen, dass es bei Bewerbungen oder Kündigungen ohne Diskriminierung zugegangen sei. Eine Zahl auf der Soll-Seite des AGG, die sich ähnlich schwer prüfen lässt, wie der Nutzen auf der Haben-Seite.

Lesen Sie auf der nächste Seite, was ein Antidiskriminierungsgesetz in einem Land leistet, in dem Frauen fast ein Viertel weniger verdienen als Männer?

Denn was leistet ein Antidiskriminierungsgesetz in einem Land, in dem Frauen bis heute fast ein Viertel weniger verdienen als Männer? In dem Jobbewerber mit türkischen Nachnamen oft gleich aussortiert werden? In dem ein dunkelhäutiger Ausländerbeauftragter in Brandenburg resigniert aus dem Amt flüchtet? In gesellschaftspolitischer Hinsicht stehe dennoch ein klares Plus hinter dem AGG , meint Ingrid Sehrbrock, stellvertretende Bundesvorsitzende des DGB und Streiterin für einen Benachteiligungsschutz, der noch über das geltende Gesetz hinausgeht. „Das AGG hat mit Sicherheit einen entscheidenden Beitrag zur Sensibilisierung geleistet“ lobt die Gewerkschafterin. Und tatsächlich: In etlichen Bereichen zeigt es offenbar präventive Wirkung.

 Auch Christine Lüders, die Leiterin der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes (ADS) und damit oberste Gleichbehandlungsbeauftragte ist sicher: „Das AGG ist Normalität geworden. Es hat zumindest dazu beigetragen, dass Diskriminierungsschutz in den Köpfen der Unternehmen und im Alltag angekommen ist“.

Daniel Bartel, Vorstand des Dachverbands der Antidiskriminierungsberatungsstellen adav sieht das nüchterner: „Was im Alltag angekommen ist, ist dass man Ungleichbehandlung nicht mehr offenkundig machen darf. Aber das bedeutet noch keine Einstellungsänderung.“ Bei allen Pluspunkten stoße das AGG im Alltag auch auf Barrieren. „Das Recht auf Gleichbehandlung einzuklagen, kostet Geld, Zeit und Nerven“. Vor allem aber: um das Recht zu nutzen, muss man es kennen.

Und das ist das große Manko des AGG: es ist selbst nach fünf Jahren wenig bekannt. Jeder dritte Bundesbürger fühlte sich zwar schon einmal diskriminiert, aber nur jeder Dritte hatte von dem Gesetz gegen Diskriminierung gehört, ermittelte 2010 eine Umfrage der Bundesantidiskriminierungsstelle. Kein Wunder, denn die im Bundesfamilienministerium angesiedelte Behörde hatte lange selbst zum Schattendasein des AGG beigetragen. Beauftragt, das Gesetz publik zu machen und Benachteiligte bei der Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen, hatte die ADS in ihren ersten drei Jahren vor allem durch Untätigkeit geglänzt.

Erst seit Februar 2010 zog mit der neuen Leiterin, Christine Lüders, frischer Wind in die ADS ein. Mit peppigen Öffentlichkeitskampagnen, einer Beratungshotline, wissenschaftlichen Expertisen, Ausbau eines Beratungsnetzes und innovativen Vorstößen versucht Lüders nun die Zeit aufzuholen, die unter ihrer Vorgängerin vertan war. Dabei durchkreuzt die von Schwarz-Gelb ins Amt geholte Gleichstellungschefin oft durchaus meinungsfreudig die offizielle Regierungslinie: mit einem energischen Plädoyer für die Frauenquote etwa oder einem Pilotprojekt für anonymisierte Stellenbewerbungsverfahren. Und anders als die Bundesregierung, die sich auch auf EU-Ebene gegen eine Ausweitung des AGG sträubt, zeigt sich Lüders offen für weitergehende Klagebefugnisse gegen Ungleichbehandlung.

Im nächsten Jahr will die ADS das Thema Altersdiskriminierung zum Schwerpunkt machen. Klingt harmlos. Birgt aber durchaus Sprengstoff mit Fragen wie dieser: mit welchem Recht kriegen Jüngere weniger Urlaub als ihre betagten Kollegen? Und wenn das AGG selbst nun in die Jahre kommt? Was soll man ihm wünschen? Am besten wohl, dass es sich überflüssig macht. Spätestens zum 10. Geburtstag .

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