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(picture alliance) Wo steckt eigentlich Olaf Glaeseker?

Wulffs Ex-Sprecher Olaf Glaeseker - Das Phantom am See

Olaf Glaeseker, einst wichtigster Berater von Christian Wulff, bleibt auch in seinem Heimatdorf unsichtbar – zumindest fast. Cicero Reporter Constantin Magnis hat ihn aufgespürt und per SMS mit ihm korrespondiert

Als Glaeseker schließlich ging, ging er leise und grußlos. Schon Tage vor seiner Entlassung, erzählen Kollegen, habe er gewissermaßen begonnen zu verschwinden: Der sonst so joviale Zwei-Meter-Mann mit dem glänzenden Schädel schien nicht mehr ganz bei sich, igelte sich ein, beantwortete kaum noch Anrufe, wirkte grüblerisch und gereizt. Und dann war er weg. 13 Jahre lang war Olaf Glaeseker Christian Wulffs Sprecher, Spin-Doctor und engster Berater, manche sagten: sein Bauchredner.

Wenn Menschen wie er, die Strippenzieher hinter den Kulissen, das politische Theater verlassen, dann meist auf Zehenspitzen, um die Illusion der Bühnendarstellung nicht zu gefährden. Dass Glaeseker im Zuge der Wulff-Affäre also schließlich so diskret sein Amt verließ, zwei Tage vor Weihnachten, ohne Begründung, verwunderte vorerst nicht weiter. Erst als seine Mailboxansage auch Wochen später noch ein „Frohes Weihnachtsfest“ wünschte, als seine Festnetznummer auf einmal nicht mehr funktionierte, er auch enge Bekannte nicht mehr zurückrief und selbst SMS unbeantwortet blieben, begann man sich zu wundern. Olaf Glaeseker, so schien es, war spurlos verschollen.

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Nicht, dass die Presse sich bei der Spurensuche verausgabt hätte. Zum einen schützten Glaeseker als langjährigen Vermittler informativer Gefälligkeiten die vielen Duzfreunde der Hauptstadtredaktionen, zum anderen hielt man ihn zunächst für das Bauernopfer seines Dienstherrn. Dass die Sache doch komplizierter war, wurde klar, als die Staatsanwaltschaft im Januar wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit Razzien in Glaesekers Privaträumen in Berlin und seinem Wohnhaus in Steinhude durchführte. In Berlin wusste scheinbar niemand, wo Glaeseker steckte. Aber vielleicht hatte ja in Steinhude am Steinhuder Meer jemand eine Idee.

Die Belegschaft des alten Fischerdörfchens an Nordwestdeutschlands größtem See lässt sich grob in drei Gruppen einteilen: Establishment, allen voran die Besitzer der Hotels, Bootsverleihe und Aalräuchereien am historischen Hafen. Dann die Laufkundschaft: Rentnerkolonnen, Damen mit lilastichiger Kurzhaarfrisur, Herren mit beigefarbenen Jacketts, die täglich aus den Reisebussen klettern, um über die Kuchenbuffets der Promenadencafés herzufallen. Und zuletzt die Zugezogenen, unter ihnen Olaf Glaeseker.

Seine Frau Vera, Juristentochter, ebenfalls Journalistin und als Sprecherin der niedersächsischen CDU gar kurzzeitig Nachfolgerin ihres Mannes, stammt aus dem Ort. Drei Blocks vom Bungalow ihrer Eltern entfernt kaufte das Ehepaar Glaeseker sich 1999 ein eigenes Haus, Olaf war gerade als Sprecher in die Dienste des damals noch glücklosen niedersächsischen Oppositionsführers Wulff getreten.

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Es ist ein einfaches, schmuckloses Gebäude: kein Hinweis auf die Residenz einer der einflussreichsten Figuren der deutschen Politik. Zum Einzug klingelt Glaeseker bei jedem Nachbar, stellt sich persönlich vor. „Ein Riese mit nettem Gesicht“, erinnert sich die Frau von gegenüber. Viel mehr haben die meisten Nachbarn auch 13 Jahre später nicht über den Zugezogenen zu sagen. Hier lieh Glaeseker sich mal ein Spaltgerät, um Holz für seinen Kamin zu machen, dort traf ihn mal einer beim Joggen, manchmal sah man ihn am Wochenende Brötchen kaufen und vor Jahren sogar beim Schützenfest.

Man weiß, dass seine Lieblingsrose den harten Winter nicht überlebt hat, und dass er gelegentlich im See schwimmen geht. Ansonsten bleibt Glaeseker ein Gesicht im Auto, das am Samstag um die Kurve kam, am Sonntag wieder fuhr. Schon ein paar Straßen weiter wissen die meisten Steinhuder nicht einmal das, weder in der Orts-CDU noch im Lions Club, weder in den Sportvereinen noch den vielen Restaurants am alten Hafen. Dass er hier war, erfuhr man in Steinhude erst so wirklich, als nach der Hausdurchsuchung die TV-Teams anrückten und Glaeseker bereits als abgetaucht galt.

„Damit einer abtauchen kann, muss er doch erst einmal auftauchen“, sagt Ortsbürgermeister Jürgen Engelmann, runde Nase, Vollbart, Polohemd. Er kennt fast jedes Gesicht hier im Ort, aber Glaeseker, da ist er sich sicher, traf er nur einmal. Das war vor Jahren, in der Weinscheune, als der Wirt sie einander vorstellte. ­Glaesekers Händedruck war kräftig, sein Lächeln breit, er lobte den Bürgermeister für die Stadtentwicklung, dann sah Engelmann ihn nie wieder. „Ich glaube, Glaeseker kennt hier eigentlich niemand so richtig.“ Dann fällt ihm doch einer ein. Er zückt das Telefonbuch.

„Abgetaucht?“ Der gebräunte Wirt mit dem Kinnbärtchen spitzt skeptisch die Lippen. „Ich bitte Sie, Herr Glaeseker ist bis heute unser Stammkunde.“ Schon in seiner Weinscheune sei Glaeseker regelmäßig für Sherry- und Weinproben vorbeigekommen, oft mit seiner Frau, gelegentlich auch mit Christian Wulff. Zuletzt wurde Vera Glae­seker sogar Taufpatin für den hauseigenen Sekt „Steinhuder Bootschaft“.

Vor ein paar Jahren hat der Wirt Steinhude verlassen, um einige Orte weiter, auf einem Hügel mit Seeblick, ein Gourmetrestaurant zu eröffnen. Erst vor kurzem sei Glae­seker wieder einmal mit Wulff zusammen dort gewesen, meint der Koch sich zu erinnern, für ein Wildmenü. An ­Glaesekers Besuchsfrequenz und Essgewohnheiten habe sich in den vergangenen Monaten jedenfalls nichts geändert: Noch immer habe er eine Vorliebe für mediterrane Weine, Feta Provencale und den italienischen Winzerteller, noch immer denselben, trockenen Humor.

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Vor einigen Jahren, erzählt der Wirt, habe Glaeseker ihm einen Spätburgunder geschenkt. Irgendwann habe er ihm dann bei einer Blindweinprobe den gleichen Wein untergejubelt, und ­Glaeseker habe ihn nicht wiedererkannt. Obwohl der damals das Bouquet in den Himmel gelobt hatte. Mit Glaeseker selbst ist es ähnlich: Er war gar nicht weg. Es hat nur keiner gemerkt.

Die vergangenen Tage wirkte das Haus noch verlassen. Lichter aus, Tor zu, davor die gelben Säcke. Auf einmal waren die Säcke weg und das Tor auf. Das hätte einen einstimmen können. Aber dass Glaeseker dann einfach so im Abendrot auf dem Fahrrad um die Ecke biegt, als wäre nichts gewesen, als würde nicht halb Berlin rätseln, wo er steckt, das überrumpelt einen dann doch. Die hünenhafte Gestalt in Chino-Pants, Segelschuhen und blauer Sportjacke radelt vorbei, hin und her und immer wieder um den Block. Dabei telefoniert er, lachend und offenbar gut gelaunt. Was soll man machen? Aus dem Auto springen, ihn festhalten, damit er nicht entwischt und mit ihm die Geschichte? Rufen? Hupen? Nicht, dass er vom Fahrrad fällt.

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Ein Überfall im Dunklen wäre ohnehin kein vielversprechender Kontaktversuch. Also ein hastig gekrakelter Zettel: Man wolle ihn nicht erschrecken, sei in Steinhude auf Recherche, hätte Fragen über die Zeit nach seinem Amt, würde morgen bitte gerne mit ihm persönlich sprechen. Inzwischen brennt Licht im Heim der Glae­sekers. Der verloren Geglaubte ist wieder zu Hause. Um nicht als Unbekannter bei Nacht bis zum Briefkasten an der Haustüre herumschleichen zu müssen, klemmt man das Papier an den Scheibenwischer des babyblauen Fiats, der seit heute vor der Garage parkt. Der Weg dorthin ist lang genug. Der Kies knirscht viel zu laut auf dem Asphalt. Und schließlich springt das Alarmlicht im Hof an. Der Gedanke, im Haus gerade Panik auszulösen, löst kurz Panik aus.

Am Morgen schickt Olaf Glaeseker seine erste SMS: „Vielen Dank für Ihre freundlichen Zeilen. Ich bespreche gerne mit meinem Anwalt, ob es sinnvoll ist, mit Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ein Hintergrundgespräch zu führen. Ich komme dann ggf. gerne auf Sie zu. Kollegialen Gruß, Ihr Olaf Glae­seker“. Kein gutes Signal für einen Reporter, der am nächsten Tag abreisen muss. Und gleichzeitig die Reaktion eines Profis wie aus dem Handbuch der Krisenkommunikation: freundlich hinhalten, bis der Sturm vorüberzieht.

Eine SMS zurück über den Gartenzaun des PR-Strategen: Man wolle, nur zur Klarstellung, gar nicht über Gegenstände eines juristischen Verfahrens sprechen, lediglich über seine jetzige Situation, und wie er sie erlebe.

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Glaeseker wäre nicht der Mann, der aus dem staubtrockenen Osnabrücker Wulff den zeitweilig beliebtesten Politiker des Landes machte, der dafür sorgte, dass Wulff, nachdem er seine Frau verlassen hatte, für sein neues Liebesglück gefeiert, statt als Ehebrecher durchs Boulevard getrieben wurde, wenn er mit dieser Lage nicht umzugehen wüsste. „Bitte glauben Sie mir:“, textet er drei Stunden später zurück, „Ich habe großes Verständnis für Ihr Anliegen. Insbesondere, weil ich meinen Job immer in allererster Linie und mit großer Leidenschaft als ‚Dienstleister‘ für meine Kolleginnen und Kollegen gelebt habe. Deswegen will ich Ihnen auch helfen. Das kann ich aber nur, wenn zwischen uns klar ist, dass Sie nicht mit mir gesprochen haben. Insofern müssten Sie das, was ich bereit bin, Ihnen hier jetzt v e r t r a u l i c h zu schreiben, meinen Freunden, Bekannten, jenen, die mich gut kennen, als Einschätzung über mich zuschreiben.“

Es folgen Informationen, die in ihrer Allgemeinheit von jeder Aalverkäuferin hätten gemutmaßt werden können. „Bitte gehen Sie vertrauensvoll mit diesen Einschätzungen um“, schließt Glaeseker. „Ich verlasse mich auf Sie. Kein Zitat, alles unter 2+3.“ Unter „zwei“ und unter „drei“ nennt man im politischen Berlin vertrauliche Informationen, die entweder verschleiert („wie aus Regierungskreisen verlautet“) oder überhaupt nicht verwendet werden dürfen.

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Neuer Kenntnisstand gleich null, und trotzdem beschleicht den Empfänger das Gefühl, nun in der Schuld des Absenders zu stehen, von ihm ablassen zu müssen. Das muss einem erst einmal gelingen. ­Glaeseker, dessen Erfolg zu Amtszeiten auch darin bestand, Journalisten mit ausgewählten Informationen anzufüttern und gleichzeitig zu zähmen, agiert als Spin-Doctor in eigener Sache.

Der Reporter nimmt noch einen Anlauf: So einfach darf man sich nicht abwimmeln lassen. Wieder eine lange SMS an Glaeseker: Man könne seine Worte nicht Freunden oder Bekannten in den Mund legen. Das wäre eine Fälschung. Der SMS-Verkehr am Steinhuder Meer sei bereits Teil der Geschichte, ebenso wie die Umstände, unter denen er zustande kam. Ob man nicht bitte doch reden könne. Glae­sekers Antwort, in 1187 getippten, verbindlichen wie freundlichen Zeichen: Nein.

Am nächsten Tag scheint die Sonne, und diesmal ist der Besuch trotzig angekündigt, per SMS natürlich. Die frisch gepflanzten englischen Rosen wippen zufrieden im Wind, vom Fenstersims blickt ein weißer Porzellanhengst auf den Besucher herab. Die Türklingel verhallt im menschenleeren Haus. Das Auto ist weg. ­Glaeseker auch. Als wäre er nie da ­gewesen. Typisch.

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