CSU-Klausur in Seon - Kanzlerkandidatur und Hintertürchen

Die traditionelle Klausurtagung der CSU in Seon brachte diesmal wenig Neues, außer das zum Jahresauftakt übliche Brüllen des bayrischen Löwen. Am Rande aber hat Parteichef Markus Söder erneut deutbare Signale zum Thema K-Frage ausgesendet.

Demonstrative Geschlossenheit: Markus Söder und Friedrich Merz hier auf dem CDU-Parteitag im Oktober. /dpa
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Autoreninfo

Der promovierte Politikwissenschaftler Ulrich Berls ist Fernsehjournalist und Autor. Von 2005 bis 2015 leitete er das ZDF-Studio München. Bei Knaur erschien sein Buch „Bayern weg, alles weg. Warum die CSU zum Regieren verdammt ist“.

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Immer, wenn sich die CSU-Bundestagsabgeordneten zu ihrer traditionellen Winterklausur treffen, geht es darum, Signale für das neue politische Jahr zu setzen. Vordergründig stand diesmal zur Eröffnung der dreitägigen Tagung mit Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Parteichef Markus Söder natürlich das Entsetzen über rot-grüne Zumutungen auf dem Programm: Die Gewaltexzesse in der Berliner Silvesternacht hätten geradezu System, sagte Dobrindt, wir bräuchten jetzt keine Integrations-, sondern eine Rechtsstaats-Debatte.

Und Frau Lambrecht sei die wohl peinlichste Fehlbesetzung, die man sich in einem Schlüsselressort vorstellen könne. Dass der Kanzler es dulde, wie diese Verteidigungsministerin stärker an ihrem Amt klebe als jeder Klimaaktivist am Boden, zeige, wie führungsschwach Scholz sei, meinte Söder. Im Übrigen seien die Grünen für ihn das größte Blackout-Risiko der Republik. 

Soweit, so vorhersehbar. Brüllen gehört zum Handwerk des bayerischen Löwen. Aufschlussreicher ist da ein Doppel-Interview im Münchner Merkur mit CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz und Söder, das passgenau zum Treffen im Kloster Seeon erschien. Beide beschworen ihre Harmonie und stellten fest, dass es nie wieder ein solches Gegeneinander der Schwesterparteien geben dürfe wie bei der Kanzlerkandidatenkür 2021. Merz betonte, die Frage müsse mindestens ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl entschieden werden, also bereits im Sommer 2024. Söder meinte, für ihn selber sei das Thema Kanzlerkandidatur erledigt.

Söders Schicksalsjahr

Der Ministerpräsident musste diese Botschaft genau jetzt platzieren, denn 2023 ist ein Schicksalsjahr für ihn. In Bayern sind im Herbst Wahlen und selbstverständlich gilt Edmund Stoibers goldene CSU-Regel damals wie heute: „Die Landtagswahl ist die Pflicht, die Bundestagswahl ist die Kür.“ Nur wenn die Regionalpartei CSU ihre Macht zuhause verteidigt, hat sie überhaupt eine Zukunft. Viele bayerischen Wähler haben jedoch nicht vergessen, dass Markus Söder immer und immer wieder betont hatte, sein Platz sei im Freistaat, er hege keinerlei bundespolitischen Ambitionen, und ganz plötzlich dann doch gegen Armin Laschet als Kanzlerkandidat antrat.

Söders bisherige Wahlbilanz ist für CSU-Verhältnisse verheerend. Bei seiner ersten Landtagswahl als Ministerpräsident 2018 stürzte seine Partei um 10 Prozentpunkte ab, er habe damals eine „politische Nahttoderfahrung“ erlebt, sagte er. Bei seiner ersten Bundestagswahl als Parteivorsitzender 2021 landete die CSU auf  erbärmlichen 31,7 Prozent, Söder gebrauchte anschließend sogar den Ausdruck „Niederlage“, ein Wort, das in der erfolgsverwöhnten CSU eigentlich Tabu ist. 

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Seine dritte Bewährungsprobe bei der kommenden Landtagswahl muss nun endlich gelingen. Deshalb auch die Erneuerung seines Schwurs: „Mein Platz ist in Bayern“. Die Chancen stehen nicht schlecht, mehrere Umfragen deuten darauf hin, dass die CSU ein 40-plus-X-Ergebnis erreichen könnten. Da die Freien Wähler stabil um die 10 Prozent liegen und beteuern, sie wollten die Koalition mit den Christsozialen fortsetzen, spricht derzeit nicht viel für einen Regierungswechsel in Bayern.

Normalfall CDU

Das Doppelinterview ist ein Geschenk, das Friedrich Merz dem Wahlkämpfer Markus Söder gemacht hat. Und der CSU-Vorsitzende bedankt sich auch artig, wenn er sagt, die größere CDU habe gegenüber der kleineren CSU den Führungsanspruch. Das heißt, wenn Friedrich Merz für die Kanzlerkandidatur 2025 antreten sollte, würde die CSU mitziehen.  Doch was ist, wenn der End-Sechziger Friedrich Merz gar nicht selbst kandidieren will? Wenn er etwa dem glänzenden Wahlsieger aus Schleswig-Holstein, dem jungen Daniel Günther, Platz machen würde? 

Für einen solchen Fall hat der durchaus raffinierte Söder zwei Hintertürchen offen gelassen. Im „Normalfall“ habe die CDU den Vorrang, sagt er, und fügt hinzu, er „persönlich“ habe keine Ambitionen mehr auf die Kanzlerkandidatur. Mit anderen Worten, wenn kein „Normalfall“ herrscht und andere ihn rufen würden, wären die Karten neu gemischt. Ein Daniel Günther wäre für die CSU keine Option. Wahlerfolge in einem Ländchen, das gerade mal halb so viele Einwohner hat wie der Regierungsbezirk Oberbayern beeindrucken die CSU wenig. Außerdem verkörpert der Ministerpräsident aus Kiel genau den angegrünten CDU-Typus, der nach Auffassung vieler Bayern Schuld daran hat, dass die Union ihren konservativen Markenkern verliert. 

Die Botschaft aus Kloster Seeon heißt also: Wenn Friedrich Merz selbst antritt, spielt die CSU mit. Sollte jemand anderes den Hut in den Ring werfen, geht’s von vorne los. Kandidatenfrage um ein bayerisches Wahljahr vertagt. Erst die Pflicht, dann die Kür. 

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