Clans - Kriminelle Familienshow

Einige Straßen in Berlin oder Essen werden von verbrecherischen Großfamilien beherrscht. Die Clans suchen das Licht der Öffentlichkeit und provozieren so die freiheitliche Rechtsordnung. Was muss passieren?

Polizeieinsatz 2018 in einem Café in Neukölln: Ein Verdächtiger steht an der Wand / Jens Gyarmaty
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Das Restaurant Almidan Aldimaschki am Salzmarkt in Essen ist ein beliebter Treffpunkt für Syrer. Midan ist ein Stadtteil von Damaskus. Das Wort bedeutet auf Arabisch der Platz oder das Feld. Am Abend des 16. Juni war der Damaskus-Platz vor dem Lokal tatsächlich eine Art Schlachtfeld, wie man in zahlreichen Videos im Internet sehen kann. 

Eine große Gruppe junger Libanesen hatte das Lokal aufgesucht, um sich dort wie auch an anderen Orten der nördlichen Innenstadt eine Massenschlägerei mit anwesenden Syrern und der eingreifenden Polizei zu liefern. Sechs Polizeibeamte sowie mindestens zwei weitere Personen wurden nach Polizeiangaben verletzt. Laut Presseberichten waren die Angreifer Angehörige eines Clans, die an den Syrern Rache nahmen für einen Streit, der auf einem Kinderspielplatz ausgebrochen und schon am Tag zuvor bei einer Massenschlägerei in Castrop-Rauxel eskaliert war. 

Die „verpennte“ Clan-Kriminalität

„Polizei und Stadt dulden solche Tumultszenen in unserer Stadt nicht“, verkündete Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) danach auf Facebook. Allerdings hatte es schon im Juni vergangenen Jahres vergleichbare Schlägereien in seiner Stadt gegeben, damals hieß es von der Polizei, „dass ein Streit zwischen arabisch/syrisch/türkischen Großfamilien eskaliert ist“. Im Jahr 2020 hatte eine Massenschlägerei sogar schon einmal vor demselben Restaurant auf dem Salzmarkt stattgefunden.

Was Kufen – zwischen 2005 und 2010 Integrationsbeauftragter der Landesregierung unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers – nicht zu dulden behauptet, scheint die Gewalttäter aus betreffenden Milieus nicht besonders zu kümmern. Dieser Abend und die vorangegangenen markierten nur einen neuen Höhepunkt dessen, was man seit einigen Jahren als Clankriminalität bezeichnet.

 

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Seit etwa 2018, als der damals neu ins Amt gekommene nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) die Bekämpfung krimineller Clans zu einem Schwerpunkt seiner Politik erklärte, ist der Begriff – bis dahin vor allem in der Boulevardpresse verwendet – auch zu einem Politikum geworden. Man hätte diese Form der organisierten Kriminalität bisher „verpennt“, verkündete Reul in einem Interview 2019. Mit medienwirksam inszenierten großen Razzien, an denen er selbst teilnahm, wollte er deutlich machen, dass die Sicherheitsbehörden nun aufgewacht seien. 

Die deutschlandweit bekannten Großfamilien

Allerdings ging mit diesem Aufwachen der Behörden auch eine seither nicht verstummende öffentliche Kritik einher. Während die leidgeplagten Anwohner in den von Clangewalt geprägten Teilen des Ruhrgebiets, wie es in einem Zeitungsbericht heißt, „angewidert von der Hilflosigkeit des Staates“ sind, empören sich manche Autoren in Zeitschriften und Studien über den vermeintlichen Rassismus von Polizei und Behörden.

In der Diskussion steht die Taktik der „1000 Nadelstiche“, die bedeutet: häufige Razzien der Polizei im Verbund mit anderen Ordnungsbehörden und konsequenter Verfolgung auch kleinerer Vergehen, um die Täter zu zermürben. Und es geht um das Benennen der Wirklichkeit: Der Begriff des Clans und der Clankriminalität wird zur „Konstruktion“ oder gar zum „Mythos“ erklärt, seinen Verwendern wird zumindest die Stigmatisierung Unschuldiger vorgeworfen, vielfach sogar Rassismus.

Einsatz in Essen: Die Polizei geht gegen Clans in der Innenstadt vor / Carsten Behler

Was ist ein Clan? Remmo, Abou Cha­ker oder Al-Zein sind die Namen dieser auch „Großfamilien“ genannten Verbünde. Durch aufsehenerregende Verbrechen wie den Diebstahl im Dresdner Grünen Gewölbe, durch Beerdigungen mit Tausenden Gästen, Prozessen mit Rappern und riesigen Autokorsos sind sie deutschlandweit bekannt geworden. Stigmatisierung, die der Polizei oft vorgeworfen wird, ist da eigentlich gar nicht mehr möglich oder nötig, das erledigen die prominenten kriminellen Träger der Namen selbst, indem sie die Öffentlichkeit sogar suchen. 

Bekannte Kriminelle

„Die Clans haben den Anspruch, gesehen zu werden“, sagt Alexander Dierselhuis, Polizeipräsident von Duisburg. „Der kriminelle Clanangehörige will, dass in seinem Viertel klar ist, dass er Clanangehöriger ist. Und er versucht, daraus eine gewisse Stellung in seinem Milieu herzuleiten, eben eine Machtposition auf der Straße, nach dem Motto: Wir machen die Regeln! So sind auch diese Zusammenrottungen zu erklären und auch öffentliche Äußerungen von Clanangehörigen in den Medien.“

Die offenkundigen Anführer der Clans sind längst Prominente. Das unterscheidet Clankriminelle von anderen, meist im Verborgenen agierenden Gruppen der organisierten Kriminalität. Wer kennt schon die Namen der in Deutschland aktiven Köpfe der italienischen Mafia?

Einer der bekanntesten Clanangehörigen, Mahmoud Al-Zein, hat 2020 sogar ein Buch über seine Lebensgeschichte veröffentlicht: „Der Pate von Berlin“. Mit 16 Jahren kommt Al-Zein 1982 aus dem Libanon über die DDR nach Westberlin, stellt einen Asylantrag – und beginnt sofort mit schon anwesenden männlichen Verwandten eine steile Karriere als Chef einer Schlägertruppe, während seine Frau (deren Name nicht erwähnt wird!) schwanger ist.

Gespeist aus Parallelgesellschaften

Mit 20 sitzt er seine erste Haftstrafe ab (da hat er bereits drei namentlich ungenannte Kinder), mit Mitte 20 ist er eine Art Condottiere für Berliner Gastronomiebesitzer, dessen Truppe an Disko-Eingängen und anderswo „Ruhe in die chaotischen Zustände“ bringt und „Störenfriede“ vertreibt, wie Al-Zein das selbst nennt. Er behauptet sogar, die Berliner Polizei hätte ihn kurz nach der Wiedervereinigung gebeten, in ihrem Auftrag „Ordnung zu schaffen“. 

Das allerdings lehnt er aus Sorge um seine „Integrität“ ab. „Könnte ich meinen Brüdern, meiner Familie noch in die Augen schauen, wenn ich einen Pakt mit der Polizei schloss?“ Offenbar nein. Mit dem einzelnen Polizisten spricht er, „solange er aufrichtig und respektvoll mit mir und meinen Leuten umgeht“, aber: „Das ändert nichts daran, dass ich mit der Organisation, für die die Uniform steht, nicht kooperiere. Diese Trennlinie gebietet mir der Respekt vor meinen eigenen Leuten und meiner Herkunft.“

Alles, was Al-Zein in diesem Buch berichtet, bestätigt die Definition im „Lagebild 2021“ der nordrhein-westfälischen Polizei: „Eine informelle soziale Organisation, die durch ein gemeinsames Abstammungsverständnis ihrer Angehörigen bestimmt ist. Sie zeichnet sich insbesondere durch eine hierarchische Struktur, ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsgefühl und ein gemeinsames Normen- und Werteverständnis aus.“ Der Bund der Kriminalbeamten sieht Clans als „Parallelgesellschaften mit gänzlich abweichendem Normen- und Werteverständnis, in denen die deutsche Gesellschaftsordnung keine oder nahezu keine Rolle spielt.“ Clankriminalität, so heißt es im Lagebild, „bezeichnet die sich aus ethnisch abgeschotteten Subkulturen heraus entwickelnde Kriminalität“. 

Wirklich ein Ende der Schlägereien?

Was das in der Praxis bedeutet, wurde nicht nur bei den jüngsten Massenschlägereien selbst klar, sondern auch bei ihrer Beendigung. Auf die Frage an einen der Kellner im Restaurant Almidan Aldimaschki, wann er denn die nächste Schlägerei mit den Libanesen erwarte, antwortete er, die werde es nicht geben. Mehr wollte er dazu nicht sagen.

Unser kurzes Gespräch fand am 27. Juni statt. Zwei Tage später wird klar, warum der Kellner so zuversichtlich war, dass die Gewalt nicht weitergehen wird. Hatte etwa die Polizei mit ihren Massenaufgeboten während der Schlägereien und anschließenden Kontrolleinsätzen und „Präsenz im ganzen Stadtgebiet“ für Ruhe gesorgt?

Belastendes Material: Die Polizei stellt Haschisch, eine
Waage und ein Messer sicher / Jens Gyarmaty

Wohl kaum. In einer Pressemitteilung wird dabei das Gewaltpotenzial mancher Verdächtiger deutlich: Bei einem der Durchsuchten fand man beispielsweise „eine Machete griffbereit in der Fahrertür“, einem anderen „fiel während der Kontrolle ein verbotenes Einhandmesser aus der Hosentasche“. Die Essener Polizei glaubt, ihr sei es durch diese Maßnahmen gelungen, „weitere Auseinandersetzungen zwischen den beiden Parteien zu verhindern“. 

Gewalt gehört dazu

Wahrscheinlicher ist es im Nachhinein aber wohl, dass sie eher eine Nebenrolle für das Abebben der Clangewalt spielte. Entscheidend war: Die Konfliktparteien einigten sich am 29. Juni unter Vermittlung eines sogenannten Friedensrichters in einer Eventlocation in Duisburg. Die ARD-Sendung „Kontraste“ verbreitete Videomitschnitte dieser bizarr anmutenden Friedenskonferenz zahlreicher Männer, einige von ihnen in arabischen Gewändern samt Krummdolch im Gürtel. Die erstaunlichste Botschaft, die über eine ARD-Journalistin verbreitet wurde: Man bitte die Behörden um Entschuldigung, die Polizei solle gerne weiter ermitteln. 

Für Herbert Reul und seine nordrhein-westfälischen Polizisten dürfte die Nachricht vom Clanfrieden samt großmütiger Ermittlungsaufforderung zwar kurzfristig erleichternd, aber vor allem demütigend gewirkt haben. Er hatte schließlich nur wenige Tage zuvor noch verkündet: „Die Städte gehören nicht irgendwelchen Clans, sondern den Bürgern.“ Die Anführer der Massengewalttäter benahmen sich allerdings offenkundig nicht wie Bürger, sondern wie zumindest teilsouveräne politische Akteure, die das Gewaltmonopol und die Gesetze des deutschen Staates erst ignorierten und ihm dann scheinbar großmütig eine Art formaler Überaufsicht zugestanden. 

Gewalt ist für die Clans und ihre Chefs, das belegen die Ereignisse im Ruhrgebiet ebenso wie das Selbstzeugnis von Mahmoud Al-Zein, nicht nur ein ehrenwertes Mittel zum Erwerb, sondern auch erste Wahl zur Lösung von Konflikten. Wer sich hier an mittelalterliche Verhältnisse mit gewaltsamen Fehden zwischen Raubrittersippen oder den namensgebenden schottischen Clans erinnert, denen die Zentralmacht mangels eigener Gewaltmittel keinen Einhalt gebieten konnte, dürfte manche Ähnlichkeit zur heutigen Wirklichkeit in den Clanhochburgen von Nordrhein-Westfalen oder Berlin erkennen. Nicht zuletzt einen übersteigerten Begriff kollektiver Ehre, der es möglich macht, dass eine leichte Verletzung eines Kindes beim Spielen zu gewaltsamen Rachefeldzügen mit Hunderten Schlägern führte. 

Die Täter-Opfer Umkehr

Reul hatte schon 2019 festgestellt, dass sich viele Menschen angesichts der Clankriminalität fragten: „Wo leben wir eigentlich? Hat der Staat nichts mehr zu sagen?“ „Wir“ (er meint vermutlich die Regierung) „sind dabei, das Vertrauen unserer Bürger zu verlieren – und das darf nicht sein.“ Dieses „diffuse Gefühl“ dürfte sich vier Jahre später eher verfestigt haben.

Polizisten in den Clanhochburgen müssen damit zurechtkommen, dass sie in Massenschlägereien mit einbezogen werden oder auch schon mal bedroht werden, indem ein bekannter Clanangehöriger bei ihnen „vor der Wohnungstür steht“, wie Dierselhuis berichtet. Das sei oft auch „Show und Machogehabe“, seine Polizisten hätten keine Angst und würden „denen mit geradem Rücken und breiter Brust“ entgegentreten, sagt er. Umso härter treffen viele Polizisten da die Vorwürfe von manchen Journalisten und Autoren aus den Universitäten, die nicht über kriminelle Clans, sondern über die Polizei klagen – und über all jene, die das Phänomen benennen. 

Nicht nur Polizisten, die tagtäglich mit dem Problem zu tun haben, wird es abwegig erscheinen, wenn in der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP Clankriminalität zu einem „Mythos“ erklärt und der Polizei eine „rassistische und stigmatisierende Praxis“ unterstellt wird, da sie die gemeinsame ethnische Herkunft innerhalb des Clans feststellt und namensbasiert recherchiert. Die Selbstzeugnisse der Akteure, zum Beispiel das erwähnte Buch von Mahmoud Al-Zein, bestätigen schließlich schon, dass der familiäre Zusammenhalt und die Herkunft fundamental für das Funktionieren dieser kriminellen Organisationen sind. 

Die angeblich rassistischen Medien

Eine Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung der Humboldt-Universität will herausgefunden haben, dass „arabische Clans“ von der deutschen Presse „diskursiv konstruiert und in die deutschen Mainstream-Medien-Narrative eingebettet“ worden seien. Die im Februar dieses Jahres veröffentlichte Studie unterstellt „systemic racialized biases“ (systemische rassistische Vorurteile) der Medien, die außerdem angeblich Herbert Reul als „idealisierte heldenhafte weiße männliche Figur“ darstellten.

Aschenbecher, Taschen-messer, Rosenkranz: Details in
einem Café bei einer Polizeirazzia / Jens Gyarmaty

Die Autoren kommen dabei, obwohl sie sich auf einen Korpus von über 23 000 untersuchten Texten berufen, ohne einen konkreten Beleg aus, wenn sie behaupten, die Medien würden „mutige weiße Helden“ herausstellen. 

Völlig fantastisch erscheint die zentrale These der Studie, die Medien wollten durch „moralische Panik“ und besonders bösartige Darstellung arabischer Clans „ethnonationale Deutsche aufwecken“ und eine Wiederherstellung der Ordnung durch eine „ethnonationale Wiedergeburt“ in Aussicht stellen. Dass diese angeblichen „Narrative“ an keiner Stelle belegt werden, verwundert nicht, da die untersuchten Artikel nicht etwa aus rechtslastigen Medien stammen, sondern vor allem aus der Zeit, der Süddeutschen, der taz, dem Stern und dem Spiegel. Die Abstrusität dieser These verhinderte allerdings nicht, dass sie in der Zeitschrift Migazin oder auf der Website Volksverpetzer kritiklos kolportiert wurde. 

Die Delegitimierung der Polizei

Die der Partei Die Linke nahestehende Rosa-­Luxemburg-Stiftung klagt auf ihrer Website: „Der aus rechter politischer Ecke lancierte politische Kampfbegriff der ,Clankriminalität‘ ist das diskursive Vehikel einer rassistischen Kampagne, die vor allen Dingen Menschen mit arabischer Migrationsgeschichte dämonisiert. Vor Ort dient die Clan­debatte als Legitimation für rabiate und schikanöse Kontrolleinsätze von Polizei und anderen Behörden, die sich gegen (post)migrantische Aufenthaltsorte richten.“ 

Es gehe, so die Autoren Jorinde Schulz und Niloufar Tajeri, um „das Markieren von Macht und Präsenz im Kiez durch Einschüchterung, Zermürbung, Schikane“. Wohlgemerkt, das wird nicht einer kriminellen Organisation, sondern der Polizei vorgeworfen. Ganz ähnlich wie Mahmoud Al-Zein in seinem Buch akzeptieren auch die Autoren der Luxemburg-Stiftung die Polizei offenbar nicht als legitimen Gewaltmonopolisten.

Die „rassistische Komponente“ wird nicht belegt, sondern als unübersehbar herbeiargumentiert: „Denn im Rahmen der Debatte um die ,Clankriminalität‘ sind es gerade die Schutz- und Aufenthaltsräume (post) migrantischer Communities, welche im Vorfeld als sich staatlicher Kontrolle entziehende Orte der Delinquenz markiert werden, in denen die (weißen) Saubermänner die Ordnung wiederherstellen.“ Und schließlich: „Die rassistische Kriminalisierung leistet … einem schleichenden Grundrechtsentzug von Migrant*innen und Menschen mit Migrationsgeschichte Vorschub.“ 

Wenn Polizisten gleich zu Nazis werden

Reul geht auf solche Rassismusvorwürfe nicht ein. „Man muss Probleme benennen, wenn sie entstehen“, sagte er auf Anfrage. Den Vorwurf der mutmaßlichen Stigmatisierung könne er verstehen, aber das von seiner Regierung verfolgte Modell habe nun mal Erfolg: „Das namensbasierte Recherchemodell bei der Erkennung von kriminellen Clanstrukturen hat sich in den letzten Jahren bewährt. Die Namen, mit denen wir arbeiten, werden nicht veröffentlicht.“ Und Reul gibt sich undogmatisch: „Wenn jemand eine bessere Idee hat, um kriminelle Clanstrukturen systematisch aufzudecken, bin ich offen dafür.“

Für Polizisten ist es „sehr frustrierend“, so sagt Marina Hackenbroch, stellvertretende Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter, „wenn wir mit Tatsachen der organisierten Kriminalität umzugehen haben und uns dafür dann Rassismus vorgeworfen wird.“ Auch bei den betroffenen Kriminellen sei dieser Reflex oft da. „Ich selbst wurde auch schon im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen von den betroffenen Personen als Nazi beschimpft, weil ich eine rechtmäßige polizeiliche Maßnahme durchgesetzt habe.

Das trifft mich natürlich, denn ich stehe in meinem Beruf gegen alles, was mit dieser Beleidigung verbunden ist.“ Polizisten müssten das einerseits aushalten und andererseits „durch gute, überprüfbare und diskriminierungsfreie Polizeiarbeit keine Angriffsfläche für diese Vorwürfe liefern“.

Die 3 Säulen im Kampf gegen Clan-Kriminalität

So abwegig und wirklichkeitsvergessen der generelle Rassismusvorwurf auch sein mag: Das Stigma eines Clannamens kann natürlich tatsächlich für Menschen, die einen solchen tragen, aber mit den kriminellen Aktivitäten ihrer Verwandten nichts zu tun haben wollen, eine Rolle spielen. Das weiß Markus Witalinski vom Diakoniewerk Duisburg aus seinen Erfahrungen mit dem Landesprogramm „Kurve kriegen“. Er hat mehrere Dutzend Jugendliche betreut, die der Polizei als Täter auffielen – in der Regel vor der Strafmündigkeit. „Für unsere Arbeit in den Familien ist es nicht zielführend, von Clanstrukturen zu sprechen.“ Gefühlte Stigmatisierung und Ausgrenzung führten letztlich zur Verweigerung der Teilnahme. 

An die Kinder der „wirklichen Clanbosse“ käme man eh nicht heran, sagt Witalinski. „Stellen Sie sich die Familienstrukturen wie eine Zwiebel vor. Wir fangen außen an, arbeiten uns so weit nach innen wie möglich.“ In den äußeren Schichten könne man „ein kleines Stück dafür sorgen, dass wir den ,Nachschub‘ abschneiden“.
Wie sehr Clans und ihre Kriminalität die Zukunft Deutschlands prägen, wird sich an der Frage entscheiden, ob Zugewanderte und deren Nachkommen weiterhin eine entfernte Verwandtschaft als ein unauflösbares soziales Band betrachten. Ob sie weiter an einem mit der modernen Gesellschaft und dem staatlichen Gewaltmonopol völlig unvereinbaren kollektiven Ehrbegriff festhalten.

Der Kampf gegen die Clankriminalität stehe auf drei Säulen, heißt es im Düsseldorfer Innenministerium. Neben den erwähnten 1000 Nadelstichen ist das die klassische kriminalpolizeiliche Ermittlungsarbeit (Ziel: „die Bosse erwischen und das große Geld“), aber nicht zuletzt auch Prävention. „Das Ziel muss sein, ganze Familien zum Ausstieg zu bewegen“, sagt Reul. Der Spuk wäre bald beendet, wenn die große Mehrheit der Träger jener Clannamen ihren selbsterklärten Chefs deutlich machen würden, dass diese mit Verbrechen und Gewaltexzessen nicht ihre vermeintliche kollektive Ehre verteidigen, sondern ihre eigentlichen Stigmatisierer sind – und nicht die Polizei.

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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