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(picture alliance) Werner Münch

Werner Münch - Christdemokratie auf dem Weg zur Bedeutungslosigkeit

Werner Münch war Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt und 37 Jahre lang Mitglied der CDU – bis er seine Partei nicht mehr erkannte und austrat. Nach den Gründen hat ihn niemand gefragt.

Vor ein paar Jahren wurde die Kanzlerin von einem Journalisten gefragt, was Sonntage für sie bedeuteten. Ihre Antwort: „Ausschlafen und nachdenken.“ Was für viele Bürger dieses Landes eher unspektakulär geklungen haben dürfte, war in Werner Münchs Ohren eine Provokation, über die er sich noch heute echauffieren kann. „Konrad Adenauer zog sonntags seinen besten Anzug an und ging in die Kirche! Bei Angela Merkel heißt es nur noch ausschlafen und nachdenken!“ Solche vermeintlichen Petitessen sind es, die den kulturellen Graben innerhalb der CDU markieren: Auf der einen Seite geben die Modernisierer um Merkel den Ton an. Auf der anderen Seite stehen christliche Traditionalisten wie Werner Münch, denen ihre Partei zutiefst fremd geworden ist. Im Falle Münchs kann nicht einmal mehr von ­seiner Partei die Rede sein: Im Februar 2009 formulierte der ehemalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt einen Brief an den örtlichen Kreisvorsitzenden und erklärte den Austritt aus der CDU – nach 37 Jahren Mitgliedschaft. Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte Angela Merkels „Papstschelte“ im Zusammenhang mit der Rücknahme einer Kirchenstrafe gegen den britischen Holocaust-Leugner Richard Williamson. Benedikt XVI. war damals von der Kanzlerin öffentlich dazu aufgefordert worden, die Haltung des Vatikans zum Thema Judenvernichtung zu klären. „Diesem Papst zu unterstellen, er habe keine Sensibilität gegenüber dem Holocaust, ist ein Unding“, grollt Münch.

Der 70-Jährige lebt seit einiger Zeit mit seiner Frau wieder in Freiburg, der Stadt, wo er einst studierte. Das Paar bewohnt eine hübsche Wohnung in sanfter Höhenlage mit Blick auf das Münster und die Ausläufer des Schwarzwalds – ein altersgerechter Ruhesitz. Aber zur Ruhe kann und will Werner Münch nicht finden. Der Kurs dieser Partei, die einmal seine war und ihm den Weg in höchste Ämter ebnete, treibt ihn um. Münch ist kein Wichtigtuer und Profilneurotiker, er setzt sich in keine Talkshows, um gegen die Kanzlerin zu polemisieren. Aber wer ihn besucht, bekommt Klartext zu hören. Dann doziert der einstige Professor und Politikwissenschaftler mit der Lebhaftigkeit eines Parteinovizen über den Werteverfall der CDU. Auf mehreren Seiten Papier hat er in enger Handschrift die Sündenfälle der Christdemokraten festgehalten – sie reichen von der Billigung der Homo-Ehe über das Tolerieren von Abtreibung und Präimplantationsdiagnostik bis hin zur Anbiederung an die Grünen. „Da ist jegliches Gespür für Werte, für Moral, für Ethik abhan­dengekommen“, sagt Münch, während er im Sessel neben der hölzernen Marienfigur seine Notizen betrachtet.

Dass Werner Münch nach seinem Austritt von keinem der Parteigranden auch nur einen Anruf erhielt, habe ihn nicht gekränkt, behauptet er. Sondern nur darin bestätigt, dass Leute wie er nicht mehr gewollt seien. Dabei ist der gebürtige Bottroper alles andere als ein Nobody: Kreisvorsitzender der Jungen Union Anfang der siebziger Jahre, Stadtverbandsvorsitzender im niedersächsischen Lohne, später Kreistagsabgeordneter, stellvertretender Landesvorsitzender, in den Achtzigern Europaabgeordneter, jahrelang Mitglied im Präsidium und im Bundesvorstand der CDU, Finanzminister in Sachsen-Anhalt und dort schließlich bis 1993 zwei Jahre lang Ministerpräsident. So jemand kehrt einer Partei nicht einfach den Rücken; da müssen die Schmerzen schon unerträglich gewesen sein.

Insofern war es zumindest eine Genugtuung, dass Werner Münch nach seinem Austritt aus der CDU mit Briefen, E-Mails und Anrufen von ganz normalen Parteimitgliedern förmlich überschüttet wurde: „Da waren vom ehemaligen Botschafter bis zum einfachen Arbeiter die unterschiedlichsten Leute dabei – und fast alle beklagten genau wie ich den Profilverlust der CDU.“ Trotzdem glaubt Münch nicht, dass die Basis viel bewirken kann: „Eine Veränderung der CDU von innen heraus halte ich für unrealistisch, weil sie von oben nicht gewollt ist. Und die Parteifunktionäre halten still, weil sie nur an ihre eigene Karriere denken.“

Münch geht trotzdem noch zur Wahl – weil er als politischer Mensch gar nicht anders könne. 2009 stimmte er für den Direktkandidaten der CDU, „ein guter Mann“. Bei der Zweitstimme verweigerte er das Kreuzchen. Die meisten, die so dächten wie er, würden aber einfach zu Hause bleiben. Und abwarten, ob die CDU irgendwann wieder wählbar sei. Was das angeht, ist Werner Münch wenig optimistisch: „Die Konturlosigkeit wird unter Merkel noch weiter zunehmen – bis zur Bedeutungslosigkeit der CDU. Und der Regenerationsprozess wird sehr lang und sehr schmerzhaft sein.“

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