Schuldenbremse - „Lindner macht Geldsack-Politik“

Der CDU-Haushaltspolitiker Mathias Middelberg wirft der Ampel-Regierung unsolide Finanzpolitik vor. Mit dem sogenannten Doppel-Wumms wird die Schuldenbremse bewusst umgangen, so Middelberg. Ob dies verfassungsgemäß sei, müsse geprüft werden.

Volle Geldsäcke wünscht sich nicht nur der Bundesfinanzminister zum neuen Jahr /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Mathias Middelberg ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er vertritt die Bereiche Haushalt und Finanzen. Der promovierte Jurist sitzt für den Wahlkreis Osnabrück seit 2009 im Bundestag. 

Herr Middelberg, die Ampel-Regierung ist ein Jahr im Amt. Was ist aus Ihrer Sicht die haushaltspolitische Bilanz?

Es ist eine traurige und nicht nachhaltige Bilanz. Ende 2021 hatte der Bund insgesamt 1500 Milliarden Euro Schulden, Ende dieses Jahres sind es 2000 Milliarden. Eine irrsinnige Steigerung um ein Drittel. Für jeden Bürger steigt die Pro-Kopf-Verschuldung von ungefähr 18.000 auf 24.000 Euro – und das in nur einem Jahr!

Die Regierung verweist aber doch zu Recht auf Krieg und Energiekrise. Was hätten CDU und CSU denn anders gemacht?

Wir hätten auch neue Schulden machen müssen, aber nicht in diesem Ausmaß und nicht in dieser unverantwortlichen Weise. Der Kanzler hat die „Zeitenwende“ ausgerufen – zu Recht. Da würde man doch meinen, dass jetzt auch etwas gewendet wird, dass neue Schwerpunkte gesetzt werden und an anderen Stellen gespart wird. Die Ampel aber macht das Gegenteil. Umsteuern: null, Sparen: null. Alles, was man sowieso machen wollte, wird weiterverfolgt, als ob es die Zeitenwende gar nicht gäbe. Und die neuen Ausgaben durch die Zeitenwende – Verteidigung, Energiepreisbremsen etc. – werden komplett über neue Schulden finanziert, obwohl man wegen der enormen Preissteigerungen allein über die Umsatzsteuer massiv Mehreinnahmen hat.

Sie werfen der Ampel Verschwendung vor. Wo genau gibt die Regierung denn zu viel Geld an der falschen Stelle aus?

Zum Beispiel beim Personal. Die Ampel predigt Bürokratieabbau. Dann sollte man in der Verwaltung auch personell sparen. Tatsächlich passiert das Gegenteil. Tausende neue Stellen werden geschaffen, besonders oben. 37 Parlamentarische Staatssekretäre sind neuer Rekord, ebenso 42 Regierungsbeauftragte. Nummer 43 wird jetzt der in NRW abgewählte FDP-Minister Joachim Stamp. Für ihn wird im Innenministerium ein Versorgungsposten als „Migrationsbeauftragter“ geschaffen. Völlig überflüssig, denn sein Aufgabenfeld Migration ist ohnehin von den bereits bestehenden Abteilungen im Innenministerium zu erledigen.  

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg /Tobias Koch

Aber war es nicht gerade die letzte Groko, die beim Personal massiv aufgestockt hatte?

Ja, haben wir. Aber wir haben beim einfachen Personal eingestellt, beispielsweise bei den Beamten der Bundespolizei, die unmittelbar am Bürger arbeiten. Die Ampel bläht jetzt vor allem die Wasserköpfe auf. Es gibt eine Rekordzahl neuer Spitzenjobs gerade in den Ministerien. 

Trotz aller Kritik, die Schuldenbremse wird doch 2023 wieder eingehalten. Es gibt also ein Zurück zu solidem Haushalten?

Das passiert nur formal. Christian Lindner plant 2023 mit der Einhaltung der Schuldenbremse. Das schafft er aber nur, weil er sich in diesem Jahr einen riesigen Schuldenberg auf Vorrat angelegt hat.

Der so genannte Doppel-Wumms dient aber konkreter Krisenbewältigung?

Der Doppel-Wumms, das sind einfach mal 200 Milliarden Kredit auf Vorrat, von denen wir allenfalls teilweise wissen, wofür und wann überhaupt das Geld gebraucht wird.

Diese 200 Milliarden Euro sind für die Gas- und die Strompreisbremse. Was haben Sie dagegen?

Wir unterstützen die Gas- und die Strompreisbremse, die wir ja selbst gefordert haben. Aber wir verlangen trotzdem eine ehrliche Finanzierung. Die Ampel hat selbst berechnet, dass sie für Gas- und Strompreisbremse insgesamt etwa 83 Milliarden Euro braucht. Diesen Betrag müsste sie einfach ordentlich im Haushalt 2023 einplanen und dafür dann konsequent die Aussetzung der Schuldenbremse beantragen. Das könnte sie auch, weil die Notlage „Energiekrise“ ja absehbar andauern wird. Dieses reguläre verfassungsmäßige Verfahren hat Christian Lindner aber nicht gewählt. 

Warum nicht?

Weil er an seinem Versprechen klebt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes in 2023 einhalten zu wollen. Stattdessen hat er uns ein Gesetz präsentiert, in dem es schlicht heißt: Bewilligt mir einen Geldsack mit 200 Milliarden Euro drin – eine frei erdachte Summe, es hätten auch 300 oder 500 Milliarden sein können –, und wir gucken dann mal, wie viel und wofür wir das Geld in den nächsten Jahren brauchen können. Gebucht wird der ganze Kredit auch nicht auf 2023 und 2024, wo die Gelder tatsächlich verausgabt werden sollen, sondern alles noch auf 2022, damit keiner merkt, dass man 2023 de facto eben doch sehr viel mehr Schulden macht.

 

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Was werfen Sie Christian Lindner genau vor?

Wir werfen dem Bundesfinanzminister vor, dass er die Schuldenbremse bewusst umgeht. Und genauso hat es auch der Bundesrechnungshof kritisiert. Das Ganze sind Fake-Buchungen. Kredite, die tatsächlich erst 2023 oder 2024 aufgenommen werden sollen, werden schnell noch auf dieses Jahr gebucht, damit man im nächsten Jahr künstlich sagen kann: Guckt mal, wie toll wir sind, wir halten die Schuldenbremse ein. 

Lindner weist darauf hin, dass die Wiedereinhaltung der Schuldenbremse in 2023 seine Kabinettskollegen disziplinieren werde.

Na ja, die schielen dann zwar nicht auf den regulären Haushalt 2023, aber auf den 200-Milliarden-Sack im Keller des Finanzministers. Jeder Minister wird dann gucken, ob er nicht irgendwelche Positionen in seinem Etat für krisenrelevant erklären kann. Also auch wenn Gas- und Strompreisbremse dann nur 100 oder 150 Milliarden kosten, wird der Rest des Geldes ja nicht an den Steuerzahler zurückgegeben. Sondern die Ampel wird die 200 Milliarden Euro so oder so komplett verprassen – einfach, weil man sich das Geld schon auf Vorrat hat bewilligen lassen. Solide Haushaltpolitik wird von Christian Lindner durch eine Art Geldsackbevorratungswirtschaft abgelöst.  

Sie hatten eine Klage gegen den Nachtragshaushalt 2021 eingereicht, mit dem Corona-Gelder aus 2021 in dieses Jahr „umgebucht“ wurden. Und damit sind Sie doch gerade gescheitert ...

Wir sind im Eilverfahren gescheitert. Über die Klage selbst wird erst im nächsten Jahr entschieden, und da sind wir weiter zuversichtlich. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in der Eilentscheidung äußerst kritische Fragen zur Einhaltung der Schuldenbremse gestellt. Wenn man den Bundesfinanzminister mit seiner neuen Geldsackpolitik durchkommen ließe, wäre die Schuldenbremse des Grundgesetzes obsolet. Jeder Finanzminister könnte dann in Zukunft in einem Notlagenjahr unbegrenzt willkürliche Milliardensummen auf Vorrat aufnehmen, um damit dann jedwede Ausgabenwünsche auch der nächsten Nicht-Notlagenjahre zu finanzieren.

Dem Sondervermögen für die Bundeswehr aber haben Sie zugestimmt. Und da geht es doch auch um Aufwendungen über mehrere Jahre, um jahrelange Versäumnisse aufzuholen.

Die Sonderschulden für die Bundeswehr haben wir unterstützt, weil wir unsere Verteidigungsfähigkeit schnell wiederherstellen müssen. Hier geht es auch um eigene Versäumnisse. Aber gerade weil sich diese Aufgabe über mehrere Jahre erstreckt, haben wir diese Sonderschuld nicht unter dem Regime der Schuldenbremse, sondern gesondert und gleichrangig neben der Schuldenbremse im Grundgesetz verankert.

Bräuchte es ein Sondervermögen nicht auch für die Bahn? Deutschland leidet doch auch da an einem Reformstau.

Die Probleme der Bahn sind nicht allein finanzielle. Auch bei der Bundeswehr liegt es ja nicht nur am Geld, sondern offenkundig auch an der Organisation. Die Verteidigungsministerin schafft es ja gar nicht, das Geld sinnvoll in Marsch zu setzen. Ungeachtet dessen bin ich generell für weniger, nicht mehr Sondervermögen. Der Bund muss seine Aufgaben grundsätzlich aus dem normalen Haushalt finanzieren.

Wenn wir keine Krisen hätten, könnten wir die nötigen Ausgaben finanzieren?

Nein. Und das ist das wirklich Erschreckende. Krieg und Energiekrise verdecken, wie ernst die Lage auch ohne Krisen ist. Wir hatten auch Ende 2021 schon 5 Prozent Inflation – ohne Ukraine-Krieg. Wegen der Inflation explodieren die Zinsausgaben des Bundes. 2021 mussten wir für die gesamte Bundesschuld nur 4 Milliarden Euro Zinsen zahlen, in diesem Jahr schon 16 Milliarden, 2023 werden es fast 40 Milliarden sein.

Und was sehen Sie haushaltstechnisch darüber hinaus auf uns zukommen?

Vor allem strukturelle Probleme, insbesondere unsere Überalterung, die sich in den nächsten Jahren massiv auswirken wird, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Schon jetzt geht jeder vierte Euro unseres Haushalts als Zuschuss in die Rente. Dieser Anteil wird drastisch steigen. Auch Kranken- und Pflegekasse sind mittlerweile nicht mehr beitragsgedeckt. Auch hier müssen wir aus dem Haushalt zuschießen. All das Geld fehlt für Investitionen.

Was müssen wir tun, wenn es nach der Union geht?

Erstmal müssen wir die Dinge ehrlich ansprechen. Unser ganzes Alterssicherungssystem muss an die Wirklichkeit angepasst werden. Das haben wir selbst jahrelang verschleppt. Aber Olaf Scholz war es, der sich im Wahlkampf als „Kanzler für sichere Renten“ plakatiert hat. Aber er tut jetzt nichts. 

Was wären denn konkret Ihre Vorschläge?

Wir brauchen eine ehrliche Diskussion ohne Tabus, egal ob das Leistungen, Beiträge oder Arbeitszeit betrifft. Außerdem müssen wir die Zahl der Beitragszahler mindestens stabil halten, besser erhöhen. Das wäre eine Kernaufgabe für Hubertus Heil. Der Arbeitsminister aber kümmert sich hauptsächlich um die Alimentierung von Menschen, die gar nicht arbeiten. Er müsste seiner Dienstbezeichnung gerecht werden und möglichst viele in Arbeit bringen.

Brauchen wir da nicht vor allem mehr Zuwanderung? Und hat da nicht gerade die Union viel versäumt? 

Wir haben 2019 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Bundestag beschlossen und Bleiberechte auch für die geschaffen, die hier als Asylbewerber zwar abgelehnt wurden, aber gut in Arbeit integriert sind. Entscheidend ist aber nicht irgendeine Zuwanderung. Die Zuwanderung muss in Arbeit stattfinden. Und das klappt momentan leider viel zu wenig. Von den Syrern beispielsweise, der größten Gruppe Geflüchteter, arbeiten auch nach vielen Jahren leider nur 32 Prozent sozialversicherungspflichtig, fast 60 Prozent beziehen Hartz-Leistungen. Da ist noch viel zu tun. Und da ist noch viel Potential, um das sich Hubertus Heil vorrangig kümmern müsste.

Das Gespräch führte Volker Resing.

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