Ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung darf nicht zur Normalität werden / dpa

Bundestag einigt sich nicht auf Regelung zum assistierten Suizid - Selbstmord als bürgerlicher Normalfall?

Assistierter Suizid ist und bleibt in Deutschland nicht nur straffrei, es wird zunächst keine gesetzliche Regelung dazu geben. Durch die Nicht-Entscheidung des Bundestags wächst die Verunsicherung. Doch die Gesellschaft muss sich gegen eine Normalisierung der Selbsttötung wehren, wenn sie eine menschliche Gemeinschaft bleiben will.

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Der Bundestag hat sich nicht auf eine gesetzliche Regelung zum assistierten Suizid einigen können. Nach einer beeindruckenden Debatte und mehreren Abstimmungen scheiterten beide vorgelegten Gesetzentwürfe. Damit fehlt nun ein klares Schutzkonzept. Der Gesetzgeber scheitert an seinem eigenen Anspruch, er kommt dem klar formulierten Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, Leben zu schützen und Missbrauch zu bekämpfen, nicht nach. In Deutschland drohen nun eine Normalisierung des Selbstmords und ein gesellschaftliches Klima der Gleichgültigkeit, wie wir es unter anderem aus unseren Nachbarländern kennen.

Zunächst hatte der Bundestag den Gruppenantrag, geführt von dem SPD-Abgeordneten Lars Castellucci und dem CDU-Mann Ansgar Heveling, mit 304 Ja- zu 363 Nein-Stimmen (bei 23 Enthaltungen) abgelehnt. Dieser Vorschlag wollte vor Missbrauch schützen und dazu die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich erneut unter Strafe stellen, allerdings geregelte Ausnahmen zulassen. Der konkurrierende Entwurf einer Gruppe um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) wollte das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und die Hilfe dazu deutlich leichter machen. Er erhielt 287 Ja-Stimmen bei 375 Nein-Stimmen und 20 Enthaltungen. Angenommen wurde mit 688 von 693 Stimmen allerdings ein zu begrüßender gemeinsamer Antrag der beiden Abgeordnetengruppen für eine Stärkung der Suizidprävention.

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Karl-Heinz Weiß | Do., 6. Juli 2023 - 15:42

Die abfällige Meinung des Autors zu den Regelungen in unseren Nachbarländern, insbesondere der Schweiz, ist unverständlich. Zumindest sollte man sich mit den jahrzehntelangen Erfahrungen und mit der Meinung der dortigen Bewohner auseinandersetzen, bevor man die Keule "moralische Gleichgültigkeit "schwingt. Die Schweiz hat den Spagat geschafft, drei Mentalitäten recht passabel zu integrieren. Davor ziehe ich den Hut, nicht vor der im Beitrag wieder mal aufscheinenden deutschen Besserwisserei.

Ich muss zugeben, diese Klänge z.B. auch zu dem Gesetzesvorschlag von Frau Helling-Blahr und Frau Künast haben mich ebenfalls irritiert. Denn soweit ich das heute live verfolgte, ähnelten sich die Konzepte bis auf die Strafbarkeit. Da wurde niemand einfach so, leichten Gemüts in eine gleichgültige Normalität entlassen. Wohingegen die von Herr Resing gelobte Suizid-Prävention mir viel schwammiger erscheint angesichts des immer desaströser werdenden Termindrucks und Personalmangels an qualifizierter Psycho-Medizin, dem Mangel an Hospizplätzen, Schmerztherapeuten oder Pflegekräften, die erst recht keine Zeit für eine menschliche Sterbebegleitung haben. Und auch heute stehen Ärzte oder Helfer trotz angeblich freier Entschlüsse nach wie vor mit einem Bein im Gefängnis. Weshalb sie auch einen Teufel tun ein Rezept auszustellen und sich die Verantwortung von der Politik aufsatteln zu lassen. MfG

Gerhard Lenz | Do., 6. Juli 2023 - 15:44

Verbotspartei?

Wenn ich Hilfe dabei möchte, meine frei gefasste und in vollem Bewusstsein getroffene Entscheidung, mein Leben zu beenden, umzusetzen, macht sich derjenige, der hilft, strafbar.

Wo bleibt das Recht, das selbst zu entscheiden? Wie schon beim Thema Abtreibung oder Selbstentscheidung über das Geschlecht sind jene, die ansonsten gar nicht aufhören können, über Verbote zu jammern, selbst ganz fix dabei, diese auszusprechen.

Um das zu legalisieren, was in zahlreichen anderen Ländern längst erlaubt ist.

Aber bei uns muss man den Bürger vor seiner eigenen Entscheidung schützen, die, im Gegensatz zur Klima- oder Verkehrspolitik wirklich nur ihn alleine betrifft.

Welche Heuchelei.

Allerdings sehe ich das eigene Beenden des Lebens etwas differenzierter und ich mochte mich nur mit denen beschäftigen, die keinen krankheitsbedingten Grund haben ihr Leben zu beenden. Allein die Diskussion Alt (alte weiße Männer & Frauen) gegen Jung, das Gefühl zu haben anderen zur Last zu liegen, die immer schlechtere und vor allem teurere Pflege, die Ungerechtigkeit gegenüber denen die vorgesorgt haben, ein Häuschen in dem sie im Alter Mietfrei wohnen alles zwangsgeeignet bei Pflege bis auf einen kleinen Selbstbehalt gegenüber denen die faul waren oder alles verjuckt haben.
Wissen Sie, ich pflege meine fast 96 jährige Demenzkranke Mutter. Ich bin fast 70 und pflege sie 13. Jahre. Ich wollte sie für Anfang 23 im Pflegeheim anmelden. 1. Frage Hat ihre Mutter Barvermögen ? 2. Frage, hat ihre Mutter eine Immobilie? Da ich beides mit Ja beantwortete, na dann ist es bei ihrer Mutter kein Problem bei Zuzahlung ab 23 mit etwa 3000 €.
Was hätte mein Mutter gesagt wäre sie klar im Kopf?

Hans Jürgen Wienroth | Do., 6. Juli 2023 - 15:59

Im Rechtsstaat sollte jeder die Urteile des BVerfG. respektieren, auch wenn Kritik daran zulässig ist. Diesen Respekt haben unsere Abgeordneten vermissen lassen, die Umsetzung des Urteils wird in die Länge gezogen.
Warum müssen sich so viele Kläger des damaligen Verfahrens vor dem BVerfG. quälen? Unsere Gesundheitsminister blockieren seit langem die Auslieferung des Medikamentes. Wer sich als Todgeweihter nicht quälen will, muss sehen, wie er es hinbekommt. Welcher Arzt verschreibt entspr. Medikamente, von der rechtlichen Seite abgesehen? Was ist mit den Menschen, die unvorbereitet jemanden nach einem Suizid finden?
Verhindern wird man den Suizid junger Menschen aus Verzweiflung vor dem Leben so jedenfalls nicht, wer es will, der schafft es. Hier fehlt es an Hilfe. Die ist jedoch dank überfüllter Praxen nicht in Sicht.
Wer den Missbrauch mit fehlender Regelung verhindern will, der irrt.

Helmut Bachmann | Do., 6. Juli 2023 - 17:05

Der Autor hat sehr deutlich gemacht worum es ihm geht und doch schaffen meine Vorkommentatoren es nicht, auf die üblichen Plattitüden zu verzichten. Es kann nicht Aufgabe der Ärzte sein, jedem der sagt: ich will sterben, ein Medikament dafür zu verschreiben. Das entspricht nicht seinem Auftrag und ist geschäftsmäßig eine perverse Sache. Wie kann man dem Missbrauch vorbeugen? Darum geht es in dem Artikel und nicht um die Freiheit des Einzelnen. Soll jeder Depressive um Tötung bitten dürfen, obwohl er eigentlich Zuwendung sucht? Soll jeder Ältere von seinen Erben überredet werden können, nun endlich mal loszulassen? Soll es ein Geschäft sein, ohne Prüfung Todespillen zu verteilen? Darum geht es.

Gerhard Hellriegel | Do., 6. Juli 2023 - 17:31

Ich weiß selbst nicht, was richtig ist. Daher nur Anmerkungen: Dass 80% froh seien, ihren Selbstmordversuch überlebt zu haben, nehme ich mit Skepsis zur Kenntnis. Zu gut kenne ich die Aussagekraft solcher Befragungen. Aber ganz sicher ist richtig, dass der Anteil der Affekthandlungen hoch ist. Nur werden die doch bestimmt nicht Sterbehilfe in Anspruch nehmen, oder?
Dann wird immer wieder abfällig vom "Druck der Anderen" gesprochen. Aber wenn ich sterben will, weil ich meinen Angehörigen nicht mehr zur Last fallen will, dann möchte ich gern wissen, was daran eigentlich verwerflich sein soll.
Schließlich: wenn die Gesellschaft die Suizide verringern will, dann gibt es eine Fülle von Möglichkeiten, Menschen in Not Hilfe anzubieten.
Aber natürlich ist die Möglichkeit zu verhindern, dass sie aus ihrer Lage Konsequenzen ziehen, die bequemste. Menschen lernen am besten, Verantwortung zu übernehmen, indem man ihnen die Verantwortung entzieht.

Peter Sommerhalder | Do., 6. Juli 2023 - 18:10

in der Schweiz z.B. ist die Sterbehilfe überhaupt kein Thema. Sterbehilfe gibt es einfach und niemand stört sich daran, wieso auch?

Es ist ja nicht so, dass sich plötzlich die halbe Schweiz umbringen möchte. Jeder ist doch froh wenn er die Sterbehilfe nicht braucht, aber es kann im ganz tragischen Fall sein, dass die Sterbehilfe zu einer Option werden kann...

Gerhard Fiedler | Do., 6. Juli 2023 - 20:29

Ihr Beitrag zur Sterbehilfe entspricht Ihrem christlichen Menschenbild. Andere wiederum haben eine andere Sicht dazu. Für alle aber gilt In DE das Grundgesetz, das mit Art. 2 die FREIHET der Person für unverletzlich erklärt, soweit diese nicht das Recht anderer verletzt, auch wenn dies manchem schwerfällt. Versuche jedweder Art, dieses Recht einzuschränken, wie im Bundestag wieder geschehen, gar mit Strafen zu verbinden, sind verfassungswidrig. Was für den jeweils Einzelnen letztlich das Richtige ist, muss jeder selbst entscheiden. Punkt! Von daher den frei gewählten Tod als „Mord“ zu bezeichnen, ist unredlich. Selbst für Christen halte ich dies für vertretbar, denn Gottes Wille kennen wir dazu nicht. Jenes „Du sollst nicht töten“ bezieht sich auf die Ermordung anderer.
Doch beim Ukrainekrieg scheint es im Bundestag auch für Lebensschützer zweitrangig zu sein, statt zu versuchen, mit Verhandlungen das Leben von Ukrainern und Russen zu bewahren. Der Sieg hat dann Vorrang.

Sabine Lehmann | Fr., 7. Juli 2023 - 06:37

In Deutschland zumindest sollte der Suizid juristisch als Notwehr verstanden werden, angesichts einer solchen Regierung! Was bleiben denn sonst für Auswege? Auswandern, Suizid, oder doch gleich den Ehegatten aus dem Weg räumen? Letztere sind im Zweifel sowieso immer an Allem schuld;-)

Peter Rosenstein | Fr., 7. Juli 2023 - 10:49

Als einigermaßen sprachsensibler Mensch sollten Sie den Unterschied zwischen Selbstmord und Suizid kennen, Herr Resing. Ein Mord setzt ein niederes Motiv voraus. Ist Verzweiflung ein solches? Genauso unlogisch und faktenfern geht es weiter, wenn Sie die Dystopie einer »Normalisierung der Selbsttötung« an die Wand malen. Das Gegenteil ist der Fall: Nahmen sich im Jahr 1980 noch rd. 50 Menschen pro Tag das Leben, so fiel diese Zahl im Jahr 2021 auf 25 Personen, die dies tun. Aber geht nicht um eine Normalisierung, der Suizid ist nicht »normal« und wird es auch nie werden. Es geht darum, dass diese Menschen professionelle Hilfe erhalten, wenn ihr Entschluss unumkehrbar ist, und die Helfer nicht in einer Grauzone agieren müssen, sondern in einem klar definierten Rechtsrahmen.