Boris Pistorius - Parka statt Stöckelschuhe

Boris Pistorius will die Bundeswehr-Führung austauschen und das Verteidigungsministerium radikal umbauen. In unserer aktuellen Heftausgabe haben wir den neuen Bundesverteidigungsminister porträtiert.

Ein Mann räumt auf: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius / Marin Driguez
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Ludger Möllers ist langjähriger Militärexperte und Reporter bei der Schwäbischen Zeitung in Ravensburg. 

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Immerhin, den Kampf um die Bilder hat Boris Pistorius (SPD) schon gewonnen. Es ist der olivgrüne Parka, in dem er sich bei minus zehn Grad in Litauens Kiefernwäldern zeigt – dazu Wollmütze und dicke Handschuhe –, die die Stöckelschuhe seiner Amtsvorgängerin vergessen machen. Der neue Verteidigungsminister ist im neuen Job angekommen, es ist eine Art Kaltstart mit Geländegewinn, wie man militärisch sagen würde. Nur gleichzeitig brennen die anderen Fronten, an denen er eigentlich kämpfen muss, weiterhin lichterloh. Die Bundeswehr hat den Kaltstart noch lange nicht absolviert

Ein Jahr nach Ankündigung der Zeitenwende steht die Bundeswehr schlechter da als je zuvor. Das sagt nicht etwa die Opposition, das sagt die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), in ihrem neuen Bericht. Und das sagt auch der Chef des Deutschen Bundeswehrverbands, André Wüstner, der davor warnt, immer mehr Bestände an die Ukraine abzugeben.

Pistorius wechselt aus

Das Verblüffende ist: Trotz Sondervermögen, trotz aller Versprechungen, schrumpft die Bundeswehr täglich, anstatt zu wachsen, weil sie Material an die Ukraine abgibt, dieses aber nicht nachbestellt wird. Noch nicht einmal frische Munition wird geordert. In den Kasernen des Landes herrscht Fassungslosigkeit. Was hilft es da, wenn der Minister seinen Parteigenossen in der Bundestagsfraktion einen Offenbarungseid leistet und erklärt: „Wir haben keine Streitkräfte, die verteidigungsfähig sind, also verteidigungsfähig gegenüber einem offensiven brutal geführten Angriffskrieg.“ Statt Bilder und Reden braucht es also Taten, und die lassen noch auf sich warten. 

Die erste große Entscheidung, die Pistorius nun getroffen hat, ist die Auswechslung des obersten Militärs. Immerhin. Auf Generalinspekteur Eberhard Zorn folgt Carsten Breuer. Breuer hat sich in der Pandemie als Leiter des Krisen­stabs einen Namen gemacht. Ein „Hands-on-Typ“ sei er, heißt es im Kanzleramt. Wenn es ein Problem gab, hat Breuer sofort zugeschlagen, irgendwas unternommen. Und wenn er einen fünfköpfigen Stoßtrupp in ein Nonnenkloster entsandt hat, weil von dort eine Katastrophe gemeldet worden war. Bei Breuer passiert immer etwas. 

 

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Frühaufsteher Pistorius braucht so etwas, er braucht dringend Bewegung, so wie in diesem Winter, als er im Parka in Litauen eine Einsatzübung begleitete. Dafür hat er auch die bisherige Staatssekretärin Margaretha Sudhof, eine Lambrecht-Vertraute, entlassen. Sein Weggefährte aus Hannover, Nils Hilmer, folgt nach. In Militärkreisen gilt ebenfalls als sicher, dass Pistorius auch Ausrüstungs-Staatssekretär Benedikt Zimmer ersetzen wird. Die träge Beschaffungsmaschinerie hat er nicht ans Laufen gekriegt, dafür muss er wohl den Posten räumen. Und schließlich wartet auch Heeresinspekteur Alfons Mais auf Ablösung. Die Bundeswehr stehe „mehr oder weniger blank da“, hatte er im Februar 2022 erklärt, ein Jahr später ist es noch schlimmer. Dafür muss der Warner von einst Verantwortung übernehmen. 

Die Zeit der Fotos ist vorbei

Ob die radikale personelle Neuaufstellung, die der Minister vollzieht, dann tatsächlich auch zu Action führt, das muss sich erst zeigen. Pistorius hatte einen guten Start, die schwere Zeit fängt für ihn gerade erst an. 

Geboren und aufgewachsen ist Boris Pistorius in Osnabrück. Der gelernte Kaufmann und studierte Jurist, der auch bei der Bundeswehr gedient hat, steigt zunächst als Beamter in der Landesverwaltung auf. 2006 wurde er zum Oberbürgermeister seiner Heimatstadt gewählt, 2013 wurde der Sozialdemokrat Innenminister in Hannover. Berufen fühlte er sich durchaus für mehr. Zum Vorsitzenden seiner Partei machten ihn die Genossen nicht. Nun ist der Minister in Tarnkleidung der neue Star im Kabinett. Übrigens spricht er neben Englisch und Französisch auch Russisch, es war sein Prüfungsfach beim Abitur. Von früherer Russlandnähe hat er sich inzwischen distanziert. 

Pistorius steht nun vor der Aufgabe seines Lebens. Er hat in Berlin ein im Kern dysfunktionales Ministerium übernommen. Die schiere Größe des 3000-Stellen-Hauses und des nachgeordneten Bereichs mit 200.000 Soldatinnen und Soldaten ist erschreckend. Es fehlt ein politischer Planungs- und Leitungsstab. Ebenso benötigt die Bundeswehr eine neue Führungsstruktur. Sie ist bislang wohl die einzige Armee der Welt ohne einen Generalstab. Zudem steht die Reform des ebenso dysfunktionalen Beschaffungswesens mit seinen 10.500 Mitarbeitern an. Der Minister soll nun das fast Unmögliche vollbringen.

Pistorius macht viele Truppenbesuche und noch mehr Bilder. Pistorius im Panzer, Pistorius bei der Marine, Pistorius im Feld. Doch die Zeit der Fotos ist vorbei. Ab jetzt zählt nur noch die Tat.

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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