Berliner Wohnungspolitik - Deckeln – Enteignen – Zuweisen

Berlin wächst und wächst, bezahlbaren Wohnraum gibt es praktisch nicht mehr, doch die rot-rot-grüne Landesregierung lenkt den Zorn der Bürger lieber auf Immobilienhaie, anstatt selber Wohnraum zu schaffen – oder zumindest dem Bau nicht im Weg zu stehen.

Im Wahlkampf: Die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) besucht ein städtisches Wohnbauprojekt im Bezirk Pankow / dpa
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Raphael Krüger ist Historiker, Politikwissenschaftler und Publizist. Ulrich Springer ist Bauingenieur, Architekt sowie öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Grundstücke und Miete.

Die Einwohnerzahl Deutschlands ist in den letzten zehn Jahren um mehr als vier Millionen auf 84,3 Millionen Menschen angewachsen. Nur der Baby-Boom vor über einem halben Jahrhundert erzeugte in der jüngeren Geschichte einen größeren Bevölkerungssprung. In Berlin stieg im selben Zeitraum, unbeeindruckt von einer kurzen Phase der Covid-Stagnation, die Zahl der Bewohner um mehr als 400.000 auf über 3,8 Millionen Menschen. Es ist der höchste Zuwachs seit über 100 Jahren. Fast ausschließlich durch Zuzug kamen so viele Bewohner hinzu wie in Bochum oder Duisburg leben.

Der Wohnungsleerstand liegt in der Hauptstadt nahe Null, der Senat unter Beteiligung der Linken spricht von 120.000 fehlenden Wohnungen. Im Wahlprogramm der Linken zur Bundestagswahl 2021 heißt es hingegen, dass in Deutschland nicht die Wohnungen fehlten und auch die Bevölkerung nicht sprunghaft angestiegen, sondern das „Finanzkapital“ für die Probleme verantwortlich wäre. Die Unternehmen bauten das Falsche und investierten am Bedarf vorbei. Sogar diese Behauptung ist unsinnig, da die Projektentwickler von teuren Wohnungen nicht darauf sitzen bleiben. Selbst im Berliner Hochpreissegment gibt es keinen nennenswerten Leerstand.

Folgt man den meisten Experten, liegt aktuell die Lücke zwischen Bestand und Bedarf in Berlin bei mindestens 200.000 Wohnungen. Wenig überraschend beschleunigt sich seit vielen Jahren der Anstieg für Preise und Mieten, vor allem im Neubau. Und ebenso unvermeidlich ergießt sich die Metropole planlos ins Umland. Im Speckgürtel und im ferneren Großraum finden Menschen noch eine bezahlbare Bleibe. Das lässt dort wiederum die Preise klettern und die Pendlerströme von und nach Berlin anschwellen.

Wie kann es sein, dass diese einfachen Mechanismen und Zusammenhänge nicht bloß von Ideologen ignoriert und von Propagandisten verdreht, sondern von Teilen der Politik und Publizistik verdrängt werden? Dass der massive Zuzug nach Deutschland wie auch innerhalb des Landes insbesondere in die Großstädte und Ballungszentren zu schwerwiegenden Wohnungsproblemen führt, gleicht dem Elefant im Raum.

Von Japan lernen?

Die bundesweite Leerstandsquote ist auf unter 3 Prozent gefallen, was klares Zeichen eines allgemein angespannten Wohnungsmarkts ist. Dass es regional erhebliche Leerstände gibt, etwa in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen, steht dazu in keinem Widerspruch. Dort trifft es vor allem strukturschwache Gegenden, die wenig Perspektive, Arbeit und damit Wohnanreiz bieten. Wer die freien Wohnungen in der Uckermark oder in der Eifel, im Bayerischen Wald oder in der Südwestpfalz füllen will, wird entweder besondere Anreize bieten oder zu Instrumenten der Zwangsbewirtschaftung greifen müssen.

Den ersten Weg geht die japanische Regierung, um den übersiedelten Großraum Tokio mit seinen 40 Millionen Einwohnern zu entlasten. Für Umzüge in ländliche und entvölkerte Regionen werden Umzugsprämien ausgereicht. Eine Familie mit zwei Kindern soll ab April 2023 für den Ortswechsel mehr als 20.000 Euro erhalten.

In Deutschland haben Wohnraumzuweisung und Residenzpflicht Tradition. In der Bundesrepublik galten Regeln der Zwangsbewirtschaftung noch bis in die 1960er Jahre, um Millionen von Ausgebombten, Vertriebenen und Geflüchteten zu beheimaten. Die DDR versuchte bis zu ihrem Zusammenbruch 1989/90 die sogenannte „Wohnungsfrage als soziales Problem“ mit Bau- sowie Zwangsmaßnahmen gegen Vermieter und Mieter zu lösen.

Private Eigentümer von Altbauten konnten mit staatlich verhängten Niedrigmieten oft keine Reparaturen bezahlen und wurden enteignet oder verschenkten ihr Mietshaus an den Staat. Der Ortswechsel für einen Bürger nach Ost-Berlin erforderte den Nachweis einer Arbeitsstelle und eine amtliche Zuzugsgenehmigung. Praktisch alles lief über die Wohnraumzuteilung, welche den Bittstellern üblicherweise ein bis zwei Jahrzehnte Geduld abverlangte. Zum Ende der DDR warteten noch immer 780.000 Anträge auf Zuweisung. Verlieren lernen.

Das Wohnungserbe der DDR

Diese klägliche Bilanz ist eigentlich kaum zu erklären. Die DDR hatte bei der Wohnraumversorgung keine schlechtere Ausgangslage als die Bundesrepublik, die rund acht Millionen zugewanderten Landsleuten eine neue Heimat und ein Dach über dem Kopf gab. 1950 standen im Westen für 15 Millionen Haushalte gerade einmal 10 Millionen Wohnungen zur Verfügung. Die sozialen, finanziellen und politischen Konflikte jener Jahre über Lastenausgleich, Ansiedlung und Integration von Flüchtlingen bewegten die Gesellschaft. Die Partei „Gesamtdeutscher Block / Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ prägte in den 1950er Jahren das politische Leben Westdeutschlands maßgeblich mit und erzielte beachtliche Wahlerfolge.

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) schrieb in Ostdeutschland stattdessen ihre Wahlergebnisse selbst und hätte sich über Zuzug sicher gefreut, denn ihr machte die fortwährende Abwanderung gen Westen zu schaffen. Trotz zeitweiligem Geburtenüberschuss und Mauerbau verlor die DDR nahezu permanent Einwohner. Zwischen Staatsgründung und Zusammenbruch waren es rund 4,5 Millionen Menschen. Entsprechend hoch waren allerorts die Leerstände, ganz gleich ob in den Städten oder auf dem Land.

Dennoch scheiterte das System der Staatswirtschaft selbst an der politisch so zentralen Wohnungsfrage. Es half nicht, dass Wohnen in der DDR Verfassungsrang besaß. Lange Jahre fehlten schlicht die nötigen Investitionen. Als schließlich die SED 1973 ihr groß angelegtes Wohnungsbauprogramm beschloss, ging es um nicht weniger als die Beseitigung der Wohnungsnot bis zum Jahr 1990. 200 Milliarden DDR-Mark betrug das Budget, drei Millionen neue und modernisierte Wohnungen waren das Ziel. Am Ende sind 1,7 Millionen gebaut oder saniert worden.

Weil überdies der Verfall alter Gebäude pausenlos voran schritt, waren per Saldo gerade einmal 700.000 zusätzliche Wohnungen vorhanden. Nach den Statistischen Jahrbüchern der DDR hatte sich der landesweite Wohnungsbestand von 1973-89 um lediglich 10 Prozent von 6,3 auf 7 Millionen erhöht. Am besten traf es das bevorzugte Ost-Berlin, wo die Zahl der Wohnungen im gleichen Zeitraum um fast 30 Prozent auf 630.000 kletterte. Gleichwohl standen 1989/90 noch immer knapp 100.000 Wohnungssuchende auf den Wartelisten der Stadt.
 

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Dass das staatliche Wohnungsbauprogramm die Altbausubstanz verrotten lies und montagefertige Wohngebäude von minderer Qualität und unzureichender Quantität errichtete, war für sich schon ein blamables Resultat. Obendrein trieb es das Staatsdefizit durch die Decke und mündete in beispiellose Rekordschulden. Ursache waren die verordneten Niedrigmieten, die es den Kommunalen Wohnungsgesellschaften unmöglich machten, die staatlichen Baukredite zurückzuführen. Die Mieten betrugen keine 10 Prozent der Arbeitseinkommen, während die tatsächlichen Kosten von Bau und Bewirtschaftung um ein Vielfaches höher lagen. So musste die Wohnungswirtschaft fortwährend Geld aufnehmen.

Die Gesamthöhe der staatlichen Wohnungsbaudarlehen vor Auflösung der DDR lag bei 108 Milliarden Mark. Allein die Staatsbank hielt davon 72 Milliarden in ihren Büchern. Sie wurden zum Zeitpunkt der deutschen Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion in 37 Milliarden D-Mark Schulden von Wohnungsunternehmen umgewandelt.

Manche Kommunen trugen noch lange an den finanziellen Altlasten ihrer Bestände. Der Großteil wurde indes sozialisiert und ging in den Erblastentilgungsfonds, also auf die Bundesrepublik über. Die DDR hatte den Kapitalismus abgeschafft, aber selbst nach vier Jahrzehnten die drückende Wohnungsnot bei schrumpfender Bevölkerung nicht beseitigt und einen riesigen Schuldenberg angehäuft, den das kapitalistische Deutschland mit der Einheit übernahm.

Berliner Baurenitenz

Seit drei Amtsperioden arbeiten Berlins Regierungen daran, es kaum besser zu machen. Auf einen einmalig ausgewogenen Wohnungsmarkt zwischen 1997 und 2010 folgte ab 2011 in ausgreifenden Schritten der Einwohneranstieg. Gleichzeitig nahm der Bestand an Wohnungen im Trippelgang um 120.000 auf zwei Millionen zu. Mit den jüngsten Fertigstellungszahlen bräuchte es 12 Jahre, um nur die gegenwärtige Angebotslücke zu schließen. Regelmäßig reißen die Landesregierungen ihre selbst gesteckten Wohnungsbauziele.

Wenngleich der Bauzyklus dem Zuwanderungsgeschehen natürlicherweise nachläuft, ist auffällig, dass alle Senatsverwaltungen prinzipiell das Bevölkerungswachstum deutlich kleiner redeten als es kam. Der vorläufige Höhepunkt von staatlicher Sichttrübung und regierungsamtlichem Realitätsverlust wurde vor wenigen Wochen erreicht, als der Senat ernsthaft erklärte, dass er für 2030 rund 3,9 Millionen Einwohner erwartet. Wie das, wenn bereits Ende 2022 voraussichtlich rund 3,85 Millionen Menschen in Berlin leben? 

Dauergespräche statt Wohnungsbau

Was auch immer dieser abwegigen Einschätzung zu Grunde liegt, sie beleuchtet einen irrlichternen Wohnungsbaukurs. Von 16 städtischen Quartieren bzw. Entwicklungsgebieten, die laut Senat für die Wohnungsversorgung der Hauptstadt von herausragender Bedeutung sind, haben viele kein Baubeginndatum. Ankündigungen für das Jahr 2025 oder 2027 sind beliebig, wenn selbst komplett durchgeplante und genehmigte Projekte feststecken. Das „Schumacher Quartier“ in Tegel, welches vollständig dem Land Berlin gehört, auf 48 ha für 5.000 Wohnungen (ca. 13.000 Bewohner) ausgelegt ist und für das bereits 2016 der städtebauliche Wettbewerb abgeschlossen wurde, besitzt keine tragfähige Finanzierung. Sowohl Geld als auch Zeit spielen in einem Umfeld, da jede neue Wohnung dringend gebraucht wird, offenbar keine Rolle.

Die Groth-Gruppe führt seit 2012 Gespräche und Verhandlungen über die Entwicklung des 96 ha großen Areals Lichterfelde Süd. Der Investor hat sich auf das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung eingelassen, die den Wohnungsbau durch das Dauergespräch ersetzt. Dass dieser ohnehin nachrangig ist, zeigt schon die Absichtserklärung zwischen Bezirk und Investor aus dem Jahr 2013, worin die Entwicklung einer „naturnahen Parklandschaft“ zuoberst steht. So bleiben noch 39 ha für rund 2.500 Wohnungen übrig. Immerhin wurde im zehnten Jahr der Erörterungen ein Bebauungsplanentwurf ausgelegt.

Auf dem bereits 1997 stillgelegten Rangierbahnhof Pankow verschiebt die Umsiedlung von Zauneidechse und Kreuzkröte den Spatenstich für 2.000 Wohnungen auf unbekannte Zukunft. In der Michelangelostraße im selben Bezirk wird seit 2014 um eine Nachverdichtung mit 1.500 Neubauwohnungen gerungen. Entschieden zu viel, wie Anwohner finden. Das Beteiligungsverfahren, das ihnen die Möglichkeit gibt, das gesamte Projekt entweder zu verhindern oder wenigstens zu zerreden, vor allem aber in die Länge zu ziehen und in der Bebauung zu reduzieren, kommt nicht von der Stelle.

Wohnungsbesitzer gegen Wohnungsneubau

Der ebenfalls in Pankow gelegene, einst als Berliner Modellprojekt angekündigte „Blankenburger Süden“ mit dem stadtweit größten Siedlungspotenzial von 430 ha steht vor dem Aus. Hier wird ungeschminkt sichtbar, welche Folgen eine ökologisch kaschierte, plump eigensüchtige Beteiligung der Wohnungsbesitzenden hat. Entwürfe von vier Planungsbüros sind allesamt nicht genehm. Von 10.000 angedachten Wohnungen sind keine 6.000 geblieben.

Überflüssig zu sagen, dass auch diese Zahl auf harten Widerstand stößt. Der Wunsch geht Richtung dörflicher Mischbebauung, also der minimalen Wohnnutzung des Areals. Es bedeutet, dass gerade so viele neue Nachbarn willkommen wären, wie im fest gefahrenen „Schumacher Quartier“, das lediglich gut ein Zehntel der Fläche misst. Auch die Verkehrserschließung von „Blankenburg Süd“ hängt gänzlich in der Luft. Eine kombinierte Straßenbahn- und Autotrasse wurde rundheraus abgelehnt, da sie Kleingärten durchschneidet. Das Projekt hat sich innerhalb weniger Jahre in eine Planungsruine verwandelt, die mit Stadt wenig und mit Ferienhaussiedlung vieles gemein hat.

Ein weiteres Quartier wurde aus ähnlichen Gründen gar nicht erst in die Senatsliste aufgenommen. Wegen Streits um den Erhalt von Ackerfläche erwähnen die Regierungsparteien das mit 70 ha zweitgrößte Siedlungsgebiet im Eigentum der Stadt, die „Elisabeth-Aue“, nur beiläufig im Koalitionsvertrag. Einmal erwogene 5.000 Wohnungen für 12.500 Menschen bleiben eine wohlmeinende Idee. Dass keine Auenlandschaft zerstört, sondern ein einstiges Rieselfeld für Wohnungen erschlossen werden soll, ändert nichts am Anspruch der Anlieger auf lebenslange Ruhe und Freiheit von Bebauung. Als Alternative wurde ein Projekt nach Art und Dichte von Kleinsiedlungsgebieten mit vorortähnlichem oder dörflichem Charakter ausgemalt. Beabsichtigt ist das Übertragen eines ländlichbrandenburgischen Siedlungstyps auf das Territorium der Hauptstadt.

Grüne Mantras

Es entspringt dem grünen Mantra einer möglichst ruralen, menschenleeren Stadtentwicklung, welche die Wohnungsbesitzenden privilegiert und die Wohnungssuchenden ignoriert. In diesen wenigen Beispielen geht es um 22.000 engherzig bemessene Wohneinheiten für etwa 50.000 Bewohner, die im Eigentum des Landes sind oder deren Planverfahren Berlin verantwortet.

Vieles lässt ewig auf sich warten, und etliches wird nie realisiert. Die Handvoll zäher oder vergeblicher Projekte vermittelt nur einen kleinen Ausschnitt vom ganzen Elend. Man soll nicht glauben, dass nur große Vorhaben von Politik und Zivilgesellschaft zermahlen werden und versanden. Hunderte kleinerer Bauprojekte ringen in den Bezirken mit einem bräsig-wurstigen, ineffizienten System aus Politik, Verwaltung und Anwohnern.

Letztere triumphieren gleichsam gutsherrlich mit ihrer Nicht-vor-meiner-Haustür-Mentalität. Die Landes- und Bezirkspolitik bestärkt dieses Gebaren oder duckt sich weg. Dazu arbeiten die Baubehörden des 21. im Kanzleistil des 19. Jahrhunderts: mit Aktenwagen, Vorgangsmappe und Vorsprache, nicht selten garniert mit Gleichgültigkeit und Indolenz.

2022 kein einziger Antrag auf Sozialwohnungsbau

Die groteske Leistungsunfähigkeit von Berlins Bürgerämtern, das Organisationsfiasko der Wahlen von 2021 und der Planungs- und Baualptraum Hauptstadtflughafen BER setzt sich nahtlos im städtisch vermurksten Wohnungsbau fort. Der bisherige Tiefpunkt wurde zur Jahreswende erreicht. Im Koalitionsvertrag verspricht der Senat die jährliche Fertigstellung von 5.000 Sozialwohnungen. Da die von der Stadt geförderten Vorhaben logischerweise Anträge und Genehmigungen voraussetzen, brauchen Projekte einen gewissen Vorlauf. Nun ist das Jahr um – ohne einen einzigen Antrag.

Der Senat begründet den Totalausfall mit fehlenden neuen Förderrichtlinien, die er selbst nicht beschließt. Tatsächlich ist sich die Koalition zutiefst uneins über die Ausgestaltung der nächsten Förderkulisse, und so herrscht lähmender Stillstand. Der Regierungszwist und das Null-Ergebnis ist für sich genommen beklemmend, da bereits im ersten Amtsjahr ein für die Stadt wichtiges Wahlziel abgeräumt wurde. Gleichsam bitter ist freilich der Zeitpunkt, da die Bundesregierung ihre Kofinanzierung für den Sozialwohnungsbau der Länder mit Beginn des Jahres 2022 von zuvor einer Milliarde auf beachtliche 14,5 Milliarden Euro aufgestockt hat.

Oligarchen und Durchlauferhitzer

Wenn nichts funktioniert, gibt es einen bewährten Trick. Man zeigt auf andere, spricht von Marktversagen und meint den Kapitalismus. 30 Jahre nach dem Ende der DDR und inmitten eines unübersehbar dysfunktionalen städtischen Wohnungsbausystems wird in Berlin zum Sturm auf die Immobilienwirtschaft gerufen. Ein von Spekulanten und Finanzhaien gelenkter Wohnungsmarkt, so die (Märchen-)Erzählung, mache Mietrechtseingriffe, Enteignungen und Zwangsmaßnahmen unumgänglich, ähnlich wie zur westdeutschen Nachkriegszeit oder während der ostdeutschen Mangelwirtschaft. Wie sich die DDR einst verhob und heute Deutschlands Hauptstadt an der Aufgabe scheitert, haben wir gesehen. Ein Markt versagt, wenn er Waren und Dienstleistungen erzeugt, die keiner möchte bzw. benötigt, oder Monopole Angebot und Preise diktieren.

Berlin weist mit zwei Millionen Wohnungen keinen Leerstand auf und wird nicht von fünf börsennotierten Wohnungsunternehmen mit 200.000 Einheiten (10% aller Wohnungen) regiert. Vielmehr bestimmen die 1,2 Millionen Wohnungen von landeseigenen (17,5%) und genossenschaftlichen Unternehmen (10%) sowie die Mietshäuser zumeist in der Hand von Einzeleigentümern (18,5%) und die selbstgenutzten oder vermieten Eigentumswohnungen (15%) die vom Mietspiegel flankierten Leitmieten.

Selbst die Durchschnittsmieten der Wohnungs-AG liegen auf diesem Niveau. Ein knappes Drittel (29%) der Mietwohnungen befindet sich schließlich im Eigentum von Fonds, Versicherungen, Pensionskassen, Vermögensverwaltungen, Projektentwicklern, privaten Wohnungsbaugesellschaften, Immobilien- und Familienunternehmen, kirchlichen Trägern, Stiftungen usw. Sie sind nach Größe, Finanzkraft, Anlagehorizont und Ausrichtung äußerst heterogen.

Jäger von Maximalrenditen sind eine absolute Minderheit, da die Eigentümer überwiegend langfristig investiert sind. Es geht ihnen primär um zuverlässige und stetige Mieteinnahmen. In den vergangenen 15 Jahren sind gleichwohl zwei neue Investorentypen hinzu gekommen, die andere Erwartungen hegen und nach anderen Regeln spielen. Ihre Zahl ist viel zu klein, um den Berliner Wohnungsmarkt zu beherrschen. Sie sorgen dafür umso mehr für Schlagzeilen und Unmut.

Zum einen sind es wohlhabende Personen und Gruppen aus dem Ausland, die von vergleichsweise niedrigen Immobilienpreisen angelockt werden. Man kann diesen Typus und sein Modell Oligarch nennen. Kredite benötigt er nicht, da er sein eigenes Vermögen in der Erwartung von Werterhalt oder Wertsteigerung einsetzt. Die Hauptstadt des Schwergewichts Deutschland scheint eine gute Wahl, um zu kaufen und abzuwarten. Der Oligarch kann fast jede Summe für eine Immobilie bezahlen und treibt damit die Preise der Immobilien kräftig nach oben, weniger die Mieten.

Der Bürgermeister droht den Oligarchen – für die Kulisse

Der zweite Typus folgt dem Modell Durchlauferhitzer und handelt genau entgegen gesetzt. Er ist hyperaktiv, spekuliert und agiert mit kurzem Anlagehorizont. In einem beispiellosen Negativzinsumfeld setzt er kein eigenes Geld ein, sondern nutzt Fremdkapital. Die Mieteinnahmen werden in den damit erworbenen Objekten rücksichtslos hochgetrieben, vor allem in drei Kiezen der Stadt, um die Immobilie rasch mit Gewinn wieder abzustoßen. Weil seit der Finanz- und Eurokrise kostenloses Geld um den Globus schwappte, Menschen in Scharen nach Berlin ziehen und Preise ungewöhnlich rasch steigen, gehen solche Wetten auf.

Was dagegen tun? Den Oligarchen drohte der einstige Regierende Bürgermeister Michael Müller einmal mit Kaufverbot. Eine Aktion für die Kulisse. Strenge Geldwäschekontrollen bei Immobilientransaktionen sind abschreckender. Der zweite Typ, der für die betroffenen Mieter eine Qual ist, verschwindet mit steigenden Zinsen selbst vom Markt. Sein Geschäftsmodell beruht vor allem auf billigem Geld. Zudem helfen ihm unterbewertete Objekte, besonders angesagte Quartiere und eine Mangellage, ohne den keine Spekulation möglich wäre. Umgekehrt bedeutet es: Wenn die Zinsen steigen und je entschlossener die Stadt Flächen entwickelt und Wohnungsbau durchsetzt, desto aussichtsloser werden die Bedingungen für den Durchlauferhitzer.

An diesem Punkt befindet sich gerade der Markt. Die Zinsen sind innerhalb eines Jahres um das dreifache gestiegen und klettern weiter. Hinzu kommen eine galoppierende Inflation der Baupreise (durchschnittlich 17% im November 2022), Material- und Lieferkettenprobleme sowie fehlende Fachkräfte. Obendrein hat der Überfall Russlands auf die Ukraine den Markt in eine Art Schockstarre versetzt. Zusammengenommen sind aktuell die Voraussetzungen für Bauinvestitionen so miserabel und unsicher wie zuletzt vor über einem halben Jahrhundert, zu Beginn der 1960er Jahre, zu Zeiten von Mauerbau und Kubakrise.

Es vertreibt allerdings nicht nur den Durchlauferhitzer. Reihenweise werden Projekte zurückgestellt oder storniert, was sämtliche Marktteilnehmer einschließlich der landeseigenen Wohnungsgesellschaften und Baugenossenschaften betrifft. Das Umfeld ist für alle gleich (schlecht). Sollte das die Anhänger von Enteignungen mit ihrer schlichten Einteilung in gute und böse Investoren nachdenklich machen?

Deckeln – Enteignen – Zuweisen

Mit dem politischen Feldzug gegen private Wohnungsunternehmen, der selbst vor Wohnungsgenossenschaften und der kirchlichen Hilfswerk-Siedlung keinen Halt machte, hat der letzte Senat einen historischen Flurschaden angerichtet. Dazu drohte die Linke dem Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) im Sowjetstil mit dem Rückzug der landeseigenen Gesellschaften aus der Dachorganisation, wenn dieser nicht stramm auf Senatslinie einschwenkt. Hätte der Senat auf den BBU und andere gehört, wäre der mit Ansage gescheiterte Versuch, Berlin einen rechtswidrigen Mietendeckel überzustülpen, vereitelt worden. Die Regierung, die auf Kosten der Mieter ein bizarres Rechtsexperiment riskierte, kann am Ende noch froh sein, dass sie nicht vor Gericht den Sinn und Zweck ihres Gesetzes darlegen musste.

Entscheidende Begründungen und Fakten zur Rechtfertigung des Mietendeckels waren glattweg konstruiert, wie die Daten des letzten Mikrozensus zeigen. Die durchschnittlichen Haushaltseinkommen in Berlin legten im Vergleich zur Vorperiode deutlich zu, die Netto-Mietbelastungsquoten nahmen ab. Gemessen an sechs deutschen Großstädten liegt Berlin bei den Mieten geringfügig über, insgesamt aber unter dem deutschen Landesdurchschnitt. Wenig amüsiert hätte sich das Gericht auch über die Methode ermittelter Angebotsmieten von Online-Portalen gezeigt, welche die Bestände der großen, preissetzenden Vermietergruppen gar nicht enthielten und damit auch keine Realmieten spiegelten.
 

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Man stelle sich vor, die Lebensmittelpreise von Delikatessenläden würden kurzerhand zu Marktpreisen erklärt, ohne Berücksichtigung des Lebensmitteleinzelhandels, von Aldi bis Rewe. So wurde die erhebliche Differenz zwischen hohen Preisen für Erst- und Neuvermietungen im Verhältnis zu den günstigen Bestandsmieten absichtsvoll verwischt, die einer Zwei-Klassen-Gesellschaft gleicht. Nicht die Besitzer alter Mietverträge, sondern die Wohnungssuchenden haben ein Problem.

Die jetzt auf Basis des Volksentscheids geführten Bestrebungen zur Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Einheiten werden dem Schicksal des Mietendeckels folgen. Mit einiger Sicherheit steht schon die Berliner Landesverfassung einer Vergesellschaftung im Weg. Sodann wären die hohen Hürden des mit ihr konkurrierenden Grundgesetzes zu nehmen. In seiner fast 75-jährigen Geschichte diente es nie als Quelle willkürlicher Enteignung und staatswirtschaftlicher Transformation. Eingriffe in das Eigentum von Grund und Boden beziehen sich auf den Bergbau, Militärflächen sowie auf Infrastrukturmaßnahmen von übergeordneter Bedeutung für Sicherheit und Allgemeinwohl, nicht auf Marktumverteilung. Sollte das Thema in der Sache vor Gericht verhandelt werden, droht ähnliches Ungemach wie beim Mietendeckel.

Berlins Wohnungslage ist vor allem durch städtisches Unterlassen prekär. Im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten, ganz zu schweigen von der Situation nach dem Krieg, spricht nichts für eine Vergesellschaftung. Die angebliche Preismacht der börsennotierten Immobilien AG ist Fiktion, die Setzung der Schwelle von 3.000 Wohnungen beliebig. Dass die Enteigner gesetzlich geregelte Entschädigungsverfahren ignorieren, ist tollkühn.

Sie meinen, die Entschädigungshöhe selbst festzusetzen, die Wohnungsbestände ohne deren Hypotheken übernehmen zu können und mit freihändigen Ertragswertberechnungen Abschläge auf den Marktwert von zwei Dritteln zu erreichen. Von all diesen Sandkastenspielen weiß der Senat und verzichtet bewusst beim Thema Enteignung auf gespielte Zuversicht oder lässige Siegesgewissheit – selbst die Vertreter der Linken. Für den Fall des erneuten Scheiterns haben sie den dritten Versuch einer quasi-Enteignung schon parat.

Mit der Linken zurück in die 50er Jahre?

Während die Bundespartei vorsichtig davon spricht „die Immobilienwirtschaft gemeinnützig [zu] machen“, erspart sich der Berliner Landesverband der Linken Katzenpfoten-Prosa. Er will nicht nur enteignen, sondern fordert ein umfassendes „Wohnraumwirtschaftsgesetz“, wie für eine Stadt in Trümmern. Ein Blick in das beinahe wortgleiche „Wohnraumbewirtschaftungsgesetz“ der Bundesrepublik von 1953 enthüllt die Absicht. Dort heißt es unter §1:

„(1) Wohnraum unterliegt im Hinblick auf den Wohnraummangel der öffentlichen Bewirtschaftung […] Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird insoweit vorübergehend eingeschränkt. (2) Die Wohnraumbewirtschaftung ist eine staatliche Aufgabe. Sie wird durch Wohnraumbehörden ausgeübt.“

Darauf beruhte eben jene Zwangsbewirtschaftung, als Millionen von Landsleuten in Ruinen lebten oder vertrieben und geflüchtet in den Westen zogen. Nach dem Willen der Linken ist Berlin reif für Listen von Wohnungen und Verfügungsberechtigten (Wohnungssuchenden), Ermittlung von überschüssigen Räumen und unterbelegten Wohnungen, Zuweisung von Bewohnern durch die örtlichen Wohnungsämter, Mietverfügungen (Zwangsmietverträge) usw. In einem Interview sagte vor kurzem die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen Klara Geywitz (SPD), der Staat könne niemandem vorschreiben, auf wie vielen Quadratmetern man zu wohnen hat. Berliner Koalitionspartner wollen es sehr wohl und dazu noch mit wem und wie vielen.

Das Gesetz von 1953, das die Unterschriften von Theodor Heuss, Konrad Adenauer und Thomas Dehler trägt, blieb eine befristete Ausnahmeregelung. Am 23. Juni 1960 stieg die Bundesregierung mit dem „Gesetz über den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und über ein soziales Miet- und Wohnrecht“ wieder aus. Auf Grundlage der Marktwirtschaft und mit Eingriff des Staates war es gelungen, die schlimmste Wohnungsnot erstaunlich schnell und ohne tiefe Verwerfungen zu überwinden. Der soziale Wohnungsbau half dabei und feierte seinen größten Triumph.

Korruption und Veruntreuung

Zwei Jahrzehnte darauf ereilte ihn mit dem Zusammenbruch der „Neuen Heimat“ seine Katastrophe. Der unter diesem Namen geführte größte europäische soziale Wohnungsbaukonzern mit 400.000 Wohnungen brach durch Korruption und Veruntreuung wie ein Kartenhaus zusammen. Von Funktionären des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Eigennutz geführt, diskreditierte dieser Skandal allein schon das Wort sozialer Wohnungsbau für lange Zeit. Neben entspannten Wohnungsmärkten und der Abkehr von Großsiedlungen führte es zu seinem Niedergang und 1990 zur Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit.

Das hoch verschuldete Berlin trennte sich von Teilen seiner landeseigenen Wohnungsgesellschaften, um den Haushalt zu entlasten, aber auch in der Gewissheit einer schrumpfenden Stadt. Noch 2015 sagte die 13. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts Deutschland im Jahr 2030 keine 80 Millionen Einwohner mehr voraus. Die Demografie-Experten der Bertelsmann-Stiftung kamen im selben Jahr zu gleichen Ergebnissen.

Tatsächlich lief es in die entgegengesetzte Richtung. Angesichts explodierender Zuwanderung und galoppierender Neubaupreise benötigt die Wohnungsbauförderung einen echten Neustart. Das Wohngeld als Hilfe für jene, die Mieten nicht alleine tragen können (Subjektförderung) braucht eine zeitgemäße, staatlich bezuschusste Objektfinanzierung. Aber was hilft das alles, wenn Berlins Landesregierungen statt zu bauen auf rechtswidrige Maßnahmen setzen.

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