Ein Jahr vor der Wahl in Bayern - Warum so nervös, Markus Söder?

Ein Jahr vor der bayerischen Landtagswahl lässt Markus Söder, der noch vor anderthalb Jahren am liebsten alle Menschen in Quarantäne gesteckt hätte, kaum einen öffentlichen Termin aus und tingelt dabei ohne Maske vom einem dampfenden Bierzelt zum nächsten. Eine Imagekampagne, die nötig ist. Denn womöglich hat sich der bayerische Ministerpräsident zuletzt einen Salto zu viel geleistet.

Aus „Team Vorsicht“ ist „Team Volksfest“ geworden: CSU-Chef Markus Söder / dpa
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Autoreninfo

Der promovierte Politikwissenschaftler Ulrich Berls ist Fernsehjournalist und Autor. Von 2005 bis 2015 leitete er das ZDF-Studio München. Bei Knaur erschien sein Buch „Bayern weg, alles weg. Warum die CSU zum Regieren verdammt ist“.

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Das passiert Markus Söder nur selten. Der stets peinlich genau auf seine Außenwirkung bedachte bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende verliert vor Zeugen die Contenance. Am Rande der Herbstklausur der Landtagsfraktion im Kloster Banz knöpfte er sich kürzlich einen altgedienten Fernsehreporter vor und maßregelte ihn sichtlich erregt wegen eines kleinen Berichts im Frühstücksfernsehen. In dem Beitrag hatte es nur einige zart-kritische Äußerungen am Söder-Kurs aus der CSU gegeben, was den Parteichef bereits auf die Palme brachte.

Warum liegen die Nerven blank? 

In einem Jahr wird in Bayern gewählt. Landtagswahlen sind immer Schicksalswahlen für die CSU, denn nur, wenn sie die Macht im Freistaat verteidigt, kann sie ihre Sonderrolle im deutschen Parteiensystem halten. Die Zeiten von automatischen „50-plus-X“-Triumphen der CSU sind zwar längst dahin, aber nichts spricht im Moment dafür, dass ab Herbst 2023 an den Christsozialen vorbei regiert werden könnte.

In allen Umfragen wäre eine Regierung in Bayern in der Zusammensetzung der Berliner Ampel chancenlos. Die bayerischen Sozialdemokraten müssen bangen, überhaupt ein zweistelliges Ergebnis zu erzielen, die traditionell schwache bayerische FDP kann froh sein, wenn sie die 5-Prozent-Hürde schafft, einzig die Grünen sind im Freistaat demoskopisch knapp auf Bundesniveau. Und die Freien Wähler, die derzeit der CSU als Koalitionspartner in Bayern die Macht sichern, werden kaum von der Fahne gehen.
 

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Selbst ein theoretisch denkbares Viererbündnis aus SPD, FDP, Grünen und Freien Wählern wäre arithmetisch immer noch schwachbrüstig, vor allem aber politisch-inhaltlich so gut wie undenkbar. Außerdem blockiert die AfD circa zehn Prozent der Gesamtstimmen. Kurzum, der Chefsessel in der Bayerischen Staatskanzlei wird, wenn der Partei nicht der weiß-blaue Himmel noch auf den Kopf fallen sollte, auch in Zukunft von der CSU besetzt werden. 

Ein weiterer Lichtblick für die Partei: Zeiten, in denen die Christsozialen im Bund nicht mitregierten, waren immer Hochphasen für die CSU zuhause. Nie hatte sie bessere Ergebnisse als während der sozialliberalen Koalition (1969–82) und der rot-grünen Bundesregierung (1998–2005). Angesichts der wenig mitreißenden Vorstellung, die die Ampelkoalition in Berlin bietet, dürfte diese Gesetzmäßigkeit auch jetzt wieder greifen. Warum liegen Söders Nerven also blank?

Ein Salto nach dem anderen

Sein Vorgänger, Horst Seehofer, galt bereits als so wendig, dass ihm der Spitzname „Horst Drehhofer“ angehängt wurde. Doch gemessen an den Salti, die Markus Söder pausenlos schlägt, war Seehofer geradezu eine Prinzipienfestung. Als CSU-Generalsekretär und in seinen Anfängen als bayerischer Umweltminister war Söder immer vorneweg, wenn es darum ging, die Nuklearenergie zu verteidigen. Nach dem Reaktorunfall von Fukushima wurde er über Nacht der erste Energiewender und Atomkraftgegner in der CSU. In der derzeitigen Rohstoffkrise betont er freilich wieder, wie schwachsinnig es sei, sichere deutsche AKW abzuschalten.
 

Armin Laschet im Podcast:


Als die Zahlen der Grünen in Bayern immer besser wurden und das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ als erfolgreichstes Referendum in die Geschichte Bayerns einging, forderte er mehr Tempo beim Kohleausstieg und gründete ein „Klimakabinett“. Höhepunkt war ein Foto, das selbst eingefleischten Söderianern zu viel war: Es zeigte, wie der Ministerpräsident zärtlich einen Baum umarmte. Mittlerweile sind die Grünen wieder seine politischen Lieblingsgegner geworden; wo er kann, prügelt er in alter Manier auf sie ein.

Kein Blatt mehr zwischen Söder und Merkel

Im Asylstreit mit Angela Merkel suchte er den maximalen Affront. Er lud die CDU-Vorsitzende zur traditionellen Abschlusskundgebung vor der Landtagswahl aus und tönte laut, zu seiner wichtigsten Kundgebung komme keine Kanzlerin, sondern ein Kanzler. Er hatte ausgerechnet Merkels Intimfeind, den damaligen österreichischen Bundeskanzler Kurz, eingeladen. Doch nur anderthalb Jahre später, während der Corona-Krise, passte kein Blatt mehr zwischen ihn und Merkel. Und er nannte sie hingebungsvoll seine persönliche Mutmacherin.

Als Corona-Manager war es ihm gelungen, nicht nur in Bayern Punkte zu sammeln. Die verängstigten Pandemie-Deutschen sehnten sich nach Führung. Der energische Hüne aus Bayern mutierte in den Umfragen ganz plötzlich vom unbeliebtesten Ministerpräsidenten der Republik zum beliebtesten. Doch das Zwischenhoch hielt nicht lange, spätestens als die Deutschen halbwegs gelernt hatten, mit Corona zu leben, sanken Söders Zahlen wieder. 

Vom Team Vorsicht zum Team Volksfest

Heute lässt Söder, der noch vor anderthalb Jahren am liebsten alle Menschen in Quarantäne gesteckt hätte und ständig von Bayern als „Team Vorsicht“ sprach, kein Volksfest aus, tingelt ohne Maske vom einen dampfenden Bierzelt zum nächsten und erweckt den Eindruck, als würde er am liebsten mit jedermann aus dem selben Maßkrug trinken. Aus „Team Vorsicht“ ist „Team Volksfest“ geworden. Denn der bayerische Ministerpräsident weiß, dass diese Imagekampagne an der Basis bitter nötig ist. Womöglich hat er sich einen Salto zu viel geleistet.

Jahrelang hatte Söder, wenn er auf eventuelle bundespolitische Ambitionen angesprochen wurde, geantwortet, das interessiere ihn nicht: „Mein Platz ist in Bayern.“ Dieses hundertfach wiederholte Versprechen galt im Sommer 2021 schlagartig nicht mehr. Euphorisiert durch seine bundesweit guten Werte der Meinungsforschungsinstitute, trat er bei der Frage der Kanzlerkandidatur gegen den damaligen CDU-Chef Armin Laschet an.

Nicht dass er den Kampf gegen Laschet verlor, ist sein Problem, sondern die raubeinige Art des Konflikts, die jedermann zeigte, dass der neue weichgespülte Konsenspolitiker Markus Söder vielleicht doch nur Fassade ist. Noch negativer wiegt jedoch die gebrochene Zusage gegenüber seinen Wählern, dass seine politische Zukunft in Bayern und nirgendwo sonst liege.

Mehrheit der Wähler mit Söder unzufrieden

Söders Ochsentour durch die Provinz zeigt erste Wirkung, wobei jedoch die Werte seiner Partei stärker steigen als seine persönlichen. Während die CSU auf die 40-Prozent-Marke zusteuert, ist eine deutliche Mehrheit der Wähler in den Umfragen mit Söders Arbeit derzeit immer noch unzufrieden.

In die bisherige Ära Söder fallen die für CSU-Verhältnisse desaströsen Ergebnisse der Landtagswahl von 2018 (37,2 Prozent) und der Bundestagswahl von 2021 (31,7 Prozent). Selbst wenn ab Herbst nächsten Jahres weiterhin ohne die CSU Bayern nicht regiert werden kann, ist er geliefert, wenn er dieses Mal nicht liefert. Deshalb ist Markus Söder nervös, deshalb erträgt er nicht das kleinste Grummeln in der Partei. Wenn die CSU etwas nicht mag, dann sind es Zugpferde, die nicht ziehen. Davon können sämtliche Ministerpräsidenten nach Franz Josef Strauß ein Lied singen. Und keiner ging freiwillig aus dem Amt.


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