Angela Merkel erhält Staatspreis von NRW  - Ein Mangel an Takt 

Die Ordenstour geht weiter: Nachdem Bundeskanzlerin a.D. Dr. Angela Merkel bereits im März vom Bundespräsidenten mit dem Großkreuz des Verdienstordens, dem höchsten deutschen Staatsorden, ausgezeichnet worden war, verlieh ihr heute auch noch das Land Nordrhein-Westfalen den dortigen Staatspreis. 

Lässt sich gerne mal feiern: Angela Merkel mit Christine Lagarde und Hendrik Wüst / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Eigentlich passt das alles nicht zu Angela Merkel. Aufgewachsen ist sie in einem Land, in dem die Menschen mit Auszeichnungen und Ehrungen überschüttet wurden, wenn sie sich denn systemkonform verhielten. Und Merkel bestand während ihrer Amtszeit im Unterschied zu ihrem Amtsvorgänger stets darauf, ganz unprätentiös aufzutreten. Auch das war einer der Gründe dafür, warum ihre Amtsführung stets als „verlässlich“ und „nicht aus dem Bauch heraus“ (Hendrik Wüst) galt: Die Sache stand im Vordergrund, nicht die Kanzlerin. 

Mit ihrem Abschied in den Ruhestand scheint sich das nun aber zu ändern. Ein bisschen eitel ist die Kanzlerin im Ruhestand dann eben doch. Aber es hat etwas Beklemmendes, ihr ausgerechnet in einer Zeit Orden ans Revers zu heften, in der ihre größten Fehler für alle offenbar werden. Es verweist auf beiden Seiten auf einen Mangel an Takt. 

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verkniff sich in seiner heutigen Rede denn auch jedes kritische Wort über Merkels Amtszeiten. Zwar dürfe die Verleihung des Staatspreises nicht mit einer „Heiligsprechung“ verwechselt werden. Aber was Wüst dann sagte, war natürlich genau: das. 

Lobeshymnen bis hin zur Wirklichkeitsverleugnung

Ausdrücklich lobte er ihre „herausragenden Leistungen“ zum Wohle Deutschlands und Europas. Ob Banken-, Euro-, Flüchtlings- oder Coronakrise: Immer war es nach Wüst Angela Merkel, die das Land „verlässlich“ und sicher in die Zukunft geführt hat. Das kann man aber nur behaupten, wenn man die Fakten ignoriert. 

Die Banken- und Eurokrise wurde im eigentlichen Sinne nicht „gelöst“, sondern mit Billionen an Euro überspült und dadurch verschleppt. Das Ergebnis: Erst bezahlten deutsche Sparer durch niedrige, teils Negativzinsen faktisch die Kapitalkosten südeuropäischer, hoch verschuldeter Länder, während heute durch galoppierende Inflation eine regelrechte Enteignungswelle durch das Land geht. Und das ist auch ein Ergebnis der europäischen Geld- und Fiskalpolitik. Dass ausgerechnet die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, heute die Laudatio auf Merkel halten durfte, scheint da folgerichtig. 

Bis hin zur Wirklichkeitsverleugnung deutlich wurde Ministerpräsident Wüst gar bei der Würdigung von Merkels Leistungen in der Flüchtlingskrise 2015/16. Merkel habe damals ein Telefonat mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) geführt: „Er berichtete: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán habe ihn vor die Entscheidung gestellt, Flüchtlinge an der ungarisch-österreichischen Grenze gewaltsam zu stoppen oder durchzulassen. Für die deutsche Kanzlerin und den österreichischen Kanzler war klar: Gewalt an innereuropäischen Grenzen durfte es nicht geben. Die Grenzen bleiben offen. (…) Es war eine Entscheidung aus Führung und Verantwortung – ein großer Akt der Humanität.“ 

 

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Wüst fällt dabei offenbar gar nicht mehr auf, was er da im Kern behauptet: Orbáns erfolgreiche politische Erpressung, die außerdem gegen geltendes europäisches Recht verstieß, wird nicht mehr als das bezeichnet, was sie in Wahrheit war – auf Seiten Merkels ein Moment der Schwäche mit Auswirkungen bis zum heutigen Tage. Die gelungene Erpressung wird sogar zum entscheidenden Akt zur Rettung der Idee Europas stilisiert. 

Aber man erinnere sich, dass es ganz anders war: Nicht nur, dass Merkel von führenden Juristen der Republik Rechtsbruch attestiert wurde – so durch den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. Sie pflanzte damit einen Spaltpilz in die Europäische Union. Die Folgen der Signalwirkung, die von Merkels Entscheidung für ganz Europa ausgingen, wollten viele europäische Partner nicht ertragen. Irgendwann winkte selbst Österreich bloß noch Züge voller Flüchtlinge nach Deutschland durch. Zu Merkels Erbe gehört damit auch die Wiederauferstehung der AfD. Bei einer anderen Politik hätte es das wahrscheinlich nicht gegeben. 

Und auch Merkels angebliche „Humanität“ entpuppte sich wenig später als das, was sie von Anfang an war: heiße, propagandistische Luft. Zwar lehnte Merkel bis zum Schluss „Obergrenzen“ für Flüchtlinge und einen „Zaun um Europa“ aus angeblichen Humanitätsgründen ab. Gleichzeitig verhandelte aber die EU unter ihrer tatkräftigen Mithilfe und gegen einen Milliardenbetrag darüber, dass der türkische Präsident die Routen nach Europa schließt. Oder anders gesagt: Um sich selbst weiterhin als „Angela die Humanitäre“ feiern lassen zu können, sollte Recep Tayyip Erdoğan für sie die Drecksarbeit erledigen. Selten klafften in der Geschichte der deutschen Politik öffentliche Selbstinszenierung und moralische Substanz so weit auseinander wie damals. 

Preisverleihung angesichts folgenschwerer Fehler geschmacklos

Auf Merkels Fehlentscheidungen in Sachen Energiewende und Russlandpolitik ging Wüst denn auch in seiner Rede vorsichtshalber lieber mit keinem einzigen Wort ein. Bis heute steht Merkel dazu, damals „keine Fehler“ begangen zu haben, während die Ukraine in Grund und Boden gebombt wird, die geopolitischen Verhältnisse auf eine neue Weltordnung zustreben, die Energiepreise explodieren, es zu Wohlstandsverlusten auf breiter Front kommt und die Zukunft ganzer deutscher Wirtschaftsbranchen auf dem Spiel steht.  

Man wird dabei nicht bestreiten können, dass Merkel auch etwas für das Land geleistet hat, dass sie im politischen Geschäft eine faire Partnerin war und die Aufgaben des Amtes stets für wichtiger hielt als ihr Ego. Aber genauso war es Merkel, unter deren Führung Deutschland aus Atom und Kohle gleichzeitig ausstieg und stattdessen die Energielücke mit billigem russischen Gas schließen wollte. Die Folgen davon sind bekannt. An dem Zustand, in dem sich Europa und die Welt heute befinden, hat sie einen gehörigen Anteil. 

Daher ist es zumindest takt-, wenn nicht gar geschmacklos, ihr auf dem Höhepunkt der Auswirkungen ihrer eigenen politischen Fehler auch noch Preise zu verleihen – oder sie anzunehmen. Jetzt, nach dem Ende der Karriere, scheint ihr doch ihr sonst untrüglicher Instinkt dafür abhandengekommen zu sein, wann man sich besser nicht im Licht der Öffentlichkeit sonnt. Wegen der vielen Wolken ist da im Moment sowieso nur Schatten. 

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