Ampel geht in Sachen „Bürgergeld“ auf Union und Länder zu - Ein minimalinvasives Kompromissangebot

Mit einem Kompromisspapier, das Cicero vorliegt, versucht  die Ampel die Union zur Zustimmung zum „Bürgergeld“ zu bewegen. Doch was sich als Entgegenkommen ausgibt, ist tatsächlich höchstens eine Fehlerkorrektur. Im Kern bleibt es dabei, die Regierung will weniger Sanktionen und mehr „Vertrauen“. 

Wieviel darf das Jobcenter fordern, oder darf es nur fördern? /dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Rechtzeitig zur kommenden Sitzungswoche versucht die Ampelkoalition in Sachen Bürgergeld den Wind zu drehen, denn im Bundesrat ist sie auf die Zustimmung der Unions-Parteien angewiesen. Es handelt sich dabei um nicht weniger als das eigentliche Prestige-Projekt der Sozialdemokraten in dieser Legislatur. Sie wollen damit nach fast 20 Jahren die für sie auch schmachvolle Geschichte der Arbeitsmarktreform Hartz IV endlich hinter sich lassen.

Mehr „Respekt“ hatte Olaf Scholz (SPD) den Bürgern des Landes vor der letzten Bundestagswahl versprochen und wurde so schließlich Kanzler. Dabei ging es immer um zwei Dinge. Einerseits um den symbolischen Kotau des politisch Herrschenden gegenüber seinem Souverän. Schließlich ist er es, der darüber entscheidet, wie viele Stimmen eine Partei bei der Wahl erhält. Während Gerhard Schröder vor rund zwei Jahrzehnten die Menschen noch mittels Breitbeinigkeit auf seine Seite ziehen konnte, versuchte es Scholz mit mehr Demut. Er machte sich kleiner, um so größer zu wirken.

Die „Respekts-Projekte“ der Ampel

Andererseits ging es nie nur um diese Ranschmeichelei. Zwei konkrete „Respekts-Projekte“ wurden daher von der SPD im Koalitionsvertrag verankert: die inzwischen vollzogene Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro pro Stunde und die Einführung eines „Bürgergeldes“. Letzteres sollte nicht nur ganz schnöde das Niveau sozialer Absicherung verbessern, Bürokratie abbauen oder den Arbeitsmarkt in Bewegung bringen. Nein, es ging um das ganz große Rad, um die Wiederherstellung der „Würde des Einzelnen“, wie es im Koalitionsvertrag bedeutungsschwer heißt. Ganz so, als wäre die bisherige Grundsicherung so etwas wie eine Menschenrechtsverletzung gewesen.

Und in der Tat enthält der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung des Bürgergeldes sinnvolle Elemente: die Anhebung des Regelbedarfes aufgrund der galoppierenden Inflation um rund 10 Prozent, die künftig realitätsgerechte Dynamisierung der Regelsätze, den Abbau von Bürokratie oder die Aufhebung des Vorrangs der Vermittlung in Arbeit vor der Qualifikation der Leistungsempfänger. Gerade aufgrund des anhaltenden Fachkräftemangels macht Letzteres Sinn. Außerdem sollen Bürgergeld-Empfänger, wenn sie wenigstens einen Teil ihres Lebensunterhaltes selbst bestreiten, künftig einen größeren Teil ihres Lohnes behalten dürfen.

Mit „Vertrauenszeit“ gegen Ängste

Umstritten hingegen sind andere Elemente: Mit der Einführung einer „Vertrauenszeit“ blühen künftigen Leistungsempfängern in den ersten sechs Monaten keine gravierenden Sanktionen mehr. Mit einer gar zwei Jahre andauernden „Karenzzeit“ soll Bürgergeldempfängern außerdem der Verbleib in der eigenen Wohnung ermöglicht werden, auch wenn diese eigentlich „unangemessen“ groß oder teuer ist. Das soll Abstiegsängste mindern und Härtefälle vermeiden helfen. Und die Beträge für nicht zu berücksichtigendes „erhebliches Vermögen“ werden auf bis zu 60.000 Euro für die erste und jeweils 30.000 Euro für jede weitere Person in einer Bedarfsgemeinschaft aufgestockt. 

CDU-Generalsekretär Mario Czaja kündigte indes bei unveränderter Gesetzesvorlage eine Blockade des Vorhabens im Bundesrat an: „Das Bürgergeld ist der schleichende Einstieg in ein bedingungsloses Grundeinkommen, das wir als Union aus triftigen Gründen ablehnen. Anreize, sich um Arbeit zu bemühen, werden immer weiter abgebaut.“ Auch von Vertretern der Wirtschaft ist seit Monaten Vergleichbares zu hören. Insbesondere die weitgehend sanktionsfreie „Vertrauenszeit“ setze die falschen Anreize.

Kein wirklicher Kompromiss

Damit das Vorzeigeprojekt nicht scheitert, hat die Ampel nun ein Kompromisspapier entwickelt, das in der nächsten Woche in den Fraktionen und am Donnerstag im Bundestag abgesegnet werden soll und das Cicero vorliegt. „Wir haben schnell auf die Forderungen des Bundesrats reagiert und werden im Bundestag noch zahlreiche Änderungen vornehmen, die auch den Wünschen der Länder entsprechen“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Auch seien für die Jobcenter nun „stärkere Möglichkeiten gegen Leistungsmissbrauch“ vorgesehen.

Bessere „Möglichkeiten gegen Leistungsmissbrauch“ finden sich in dem Kompromisspapier dabei in Wahrheit nicht. Und das wäre ja auch nicht der Sinn des Bürgergeldes. Es sei denn, man hält es bereits für bedeutsam, dass die Leistungsempfänger der Erklärung, nicht über „erhebliches Vermögen“ zu verfügen, nun doch eine Selbstauskunft beifügen müssen. Das scharfe Schwert des angebotenen Kompromisses liest sich dabei so: „Der Erklärung ist eine Selbstauskunft beizufügen; Nachweise zum vorhandenen Vermögen sind nur auf Aufforderung des Jobcenters vorzulegen.“ - und zwar auch nur dann, wenn die Selbstauskunft unplausibel klingt.

Heil bietet nur Fehlerkorrektur an

Als eigentliches Kompromissangebot gegenüber Ländern, Gemeinden und Unions-Fraktionen gilt daher auch ein ganz anderer Punkt. Der Gesetzentwurf von Heil sah bisher vor, dass in der Karenzzeit vom Jobcenter für zwei Jahre die „tatsächlichen Aufwendungen“ für Unterkunft und Heizung akzeptiert und bezahlt werden sollten. Mitten in der Gaskrise und bei explodierenden Gaspreisen hätte also eine erkleckliche Anzahl von Leistungsempfängern ab Januar 2023 auf Kosten der Allgemeinheit die Thermostate ganz ohne Folgen bis auf Anschlag aufdrehen können. Das zu korrigieren ist kein politisches Entgegenkommen gegenüber den Unionsparteien, sondern die Korrektur eines schweren und selbst produzierten Fehlers im Gesetzestext.

Aber vermutlich wird das dennoch ausreichen, um CDU und CSU zum Einlenken zu bewegen. Denn tun sie es nicht, wird das Gesetz voraussichtlich nicht zum 1. Januar 2023 in Kraft treten können. Während für alle anderen mit Gas- und Energiepreisdeckel schon ab Dezember 2022 Hilfe in Aussicht steht, würden ausgerechnet die Ärmsten der Armen in die Röhre gucken. Auch eine konservative Volkspartei wird sich das nicht leisten wollen - oder zumindest nicht leisten können. 

SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil erhöhte auf einer Parteiveranstaltung am Wochenende daher merklich den Druck auf die Unionsparteien. Er warf Markus Söder (CSU) und Friedrich Merz (CDU) vor, über das geplante Bürgergeld gezielt „Lügen“ zu verbreiten, um die Gesellschaft zu spalten. „Wer sich so verhält,“, so Klingbeil unter tosendem Applaus seiner Genossen, „hat nichts mehr in der politischen Mitte dieses Landes verloren.“

 

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