Dreikönigstreffen in Stuttgart - Atomkraft: Die FDP macht das Fass wieder auf

Der Koalitionsstreit um die Zukunft der deutschen Kernkraftwerke ist nicht beendet. Denn die FDP will sich mit dem Laufzeitende im April nicht zufrieden geben. Das machten die Liberalen bei ihrem traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart deutlich.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai während seiner Rede auf dem Dreikönigstreffen seiner Partei / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Am 15. April sollen die drei letzten deutschen Kernkraftwerke endgültig vom Netz gehen. So hat es Bundeskanzler Olaf Scholz nach einem monatelangen Streit innerhalb der Ampelkoalition mittels seiner „Richtlinienkompetenz“ entschieden. Die Grünen wollten erst gar nicht vom 2011 beschlossenen Atomausstieg abrücken, dann stimmten sie einem Mini-„Streckbetrieb“ der beiden süddeutschen Anlagen zu. Die FDP wollte eigentlich deutlich längere Laufzeiten durchsetzen, musste aber enorm viel Kraft aufwenden, um wenigstens zu erreichen, dass auch das AKW Emsland in Niedersachsen ein paar Monate länger am Netz bleibt.

Danach war erstmal Ruhe. Doch jetzt setzen die Liberalen das Thema erneut auf die Tagesordnung. Den Aufschlag hat Verkehrsminister Volker Wissing gemacht. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung forderte er direkt nach Neujahr eine unabhängige Expertenkommission über eine weitere Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke entscheiden zu lassen. „Wir brauchen jetzt keinen politischen Streit und keine Rechthaberei, sondern wir brauchen eine fachliche Antwort auf die Frage, wie wir stabile und bezahlbare Energieversorgung sicherstellen können und gleichzeitig unsere Klimaschutzziele erreichen“, sagte er der Zeitung. „Wenn wir es politisch nicht diskutieren wollen, dann müssen wir es wissenschaftlich klären.“

Abgestimmter Vorstoß

Das war kein unüberlegter Schnellschuss, sondern muss innerhalb der Parteispitze abgestimmt gewesen sein. Denn wenige Tage darauf, am Freitag beim traditionellen Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart, stieß Generalsekretär Bijan Djir-Sarai in dasselbe Horn. Innerhalb der Partei ist der Wunsch, sich energiepolitisch von den Grünen zu emanzipieren, weit verbreitet. Das hat offenbar auch FDP-Chef Christian Lindner erkannt, der das Thema selbst zwar noch mit spitzen Fingern anpackt, dafür aber anderen freien Lauf lässt. 

Djir-Sarai sagte in seiner ersten Dreikönigsrede: „Vor allem die Frage der Energiepreise, der Energiesicherheit und -versorgung wird eine der zentralen Fragen des nächsten Jahres sein.“ Er warnte davor, dass Industrieunternehmen Deutschland verlassen und stattdessen etwa in Nordamerika produzieren würden. Was er dann forderte, war ein Frontalangriff gegen den grünen Koalitionspartner.

Frontalangriff gegen die Grünen 

Eine Volkswirtschaft wie Deutschland müsse ein Konzept für Energiesicherheit und Energieversorgung haben, so der aus dem Iran stammende FDP-Politiker, der in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen ist. „Ein Konzept, das im Einklang ist mit der Realität. Ein Konzept ohne Denkverbote und Ideologie. Ein Konzept, das vor allem technologieoffen ist und Techniken wie Schiefergasförderung aber auch die Frage der Laufzeitverlängerung nach April 2023 beinhaltet.“ Beide Punkte, die heimische Erdgasgewinnung mittels Fracking und den Weiterbetrieb der klimafreundlichen, voll funktionstüchtigen Atomkraftwerke, lehnen die Grünen strikt ab.

FDP-General Djir-Sarai bezeichnete die AKW-Laufzeitverlängerung auch als „Frage der europäischen Solidarität“. Die Länder der Europäischen Union hätten sich vorgenommen, in dieser schwierigen Situation bei Energieversorgung und -sicherheit zusammenzuarbeiten und sich gemeinsam von russischem Gas und Öl unabhängig zu machen. „Niemand in Europa kann verstehen, dass ein Land wie Deutschland von dem Instrument der Laufzeitverlängerung nach April keinen Gebrauch macht“, sagte er und erntete kräftigen Beifall.
 

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Zuvor hatte auch Christian Dürr, Chef der FDP-Fraktion im Bundestag, Volker Wissings Forderung nach einer Expertenkommission zur Laufzeitverlängerung bekräftigt. Am Morgen vor dem Dreikönigstreffen sagte Dürr im Deutschlandfunk: „Mir ist absolut bewusst, dass die Grünen beim Thema Kernenergie, dass sie da große Probleme haben.“ Und weiter: „Aber es geht am Ende des Tages darum, in Deutschland die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und dass wir Energie zu bezahlbaren Preisen haben.“ Außerdem könne es ja nicht sein, „dass wir sozusagen CO2-neutrale Kraftwerke durch beispielsweise ausschließlich Kohlestrom ersetzen“.

Elektroautos fahren mit Kohle 

Verkehrsminister Wissing hatte seinen Vorstoß vor allem mit diesem Argument begründet. „Wir können im Verkehrsbereich mit der Elektromobilität nichts für den Klimaschutz tun, wenn wir Kohlestrom zum Laden nutzen“, sagte Wissing der FAZ. „Wir organisieren gerade den Hochlauf der Elektromobilität. Wenn die Menschen erleben, dass die E-Autos nicht nur teuer sind, sondern schlecht für das Klima, wird die Transformation zum Fiasko.“

Parteichef Christian Lindner erwähnte das Thema Atomkraft bei seiner Dreikönigsrede zwar mit keinem Wort. Aber er sprach davon, dass die FDP innerhalb der Ampelkoalition „in fröhlicher Penetranz“ daran festhalten werde, Vorschläge zu machen, die zur Realität passten, nicht zu den Grünen. Das kann man im Zusammenhang mit den offenbar koordinierten AKW-Äußerungen anderer liberalen Spitzenpolitiker als sanften Wink verstehen.

Lindner ist für AKW-Kommission

Zumal sich Lindner in einem am Tag zuvor in der Stuttgarter Zeitung erschienenen Interview ebenfalls hinter Wissing gestellt hatte. Auf die Frage, ob er sich in der Koalition weiter aktiv für eine längere Laufzeit einsetzen werde, antwortete er: „Mich überzeugt der Vorschlag von Verkehrsminister Volker Wissing, eine unabhängige Expertenkommission zu befragen. Das kann helfen, parteipolitische Verkantungen zu überwinden.“

Ob das eine ernstgemeinte Hoffnung oder nur ein taktisches Manöver ist, um die eigene Anhängerschaft zu befriedigen, sei dahingestellt. Von SPD und Grünen kamen bislang jedenfalls keinerlei Signale, sich auf eine solche Expertenkommission einzulassen. Außerdem drängt die Zeit. Neue Brennelemente müssen bald bestellt werden, damit die Kernkraftwerke im kommenden Winter laufen. Zwölf Monate brauche deren Herstellung in der Regel, heißt es aus der Branche. Wenn es schnell gehen muss, klappe es womöglich auch in sechs Monaten.

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