Ahmad Mansour - Islamismuskritiker unter Beschuss

Ein britisch-muslimisches Online-Magazin bezichtigt den Psychologen Ahmad Mansour, seine Lebensgeschichte gefälscht zu haben. Ein FAZ-Redakteur verbreitet den Artikel auf Twitter weiter. Sieht man sich die Sache genauer an, bleibt von den Vorwürfen nichts übrig.

Ahmad Mansour bei einem Vortrag in Hanau / dpa
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Angriffe auf Ahmad Mansour sind nicht neu. Seit Jahren wird dem deutsch-israelischen Psychologen vor allem von Linken und von Muslimen Islamfeindlichkeit vorgeworfen, weil er sich gegen Salafismus und islamischen Radikalismus einsetzt, im Rahmen der Extremismusprävention mit muslimischen Jugendlichen zusammenarbeitet und immer wieder öffentlich seine Stimme erhebt, wenn es etwa um Antisemitismus unter Muslimen geht. Auch für Cicero hat er mehrere Beiträge verfasst. 2018 hat er die Initiative „Säkularer Islam“ mitgegründet. Ein rotes Tuch also für Antisemiten und Islamismusverharmloser.

Besonderes Gewicht erhält Mansours Stimme dadurch, dass er in seiner Jugend selbst dem Islamismus nahestand. In seinen Büchern und in mehreren Artikeln und Interviews hat er erzählt, wie er als fußballbegeisterter Junge in seinem Heimatort Tira, einer arabischen Kleinstadt in der Nähe von Tel Aviv, von einem Imam und Religionslehrer angesprochen wurde, der der Muslimbruderschaft nahestand und die Befreiung Palästinas von den Juden sowie die islamische Welteroberung predigte. Erst sein Psychologiestudium in Tel Aviv habe ihn, Mansour, vom Pfad des Islamismus abgebracht.

Eine neue Qualität erreichten die Angriffe auf Mansour jetzt mit einem Artikel, den man wohl nur mit einem englischsprachigen Ausdruck als „hatchet job“ bezeichnen kann, also dem Versuch, jemanden mit persönlichen Angriffen, Unterstellungen und raunenden Andeutungen fertigzumachen. In dem obskuren britischen Online-Magazin Hyphen, dessen Schwerpunkt nach eigenen Angaben auf Themen liegt, „die für Muslime im Vereinigten Königreich und in Europa wichtig sind“, behauptet ein gewisser James Jackson, Mansours „wahre Geschichte“ aufgedeckt zu haben. Jackson wirft ihm vor, Teile seiner Lebensgeschichte gefälscht zu haben, vor allem, was seine Jugend in Tira betrifft.

Neunzig Prozent der Menschen beten nicht

Vollmundig kündigt Jackson auf Twitter seinen Artikel an: „Ich verbrachte Monate damit, mich mit Ahmad Mansour auseinanderzusetzen, besuchte Tira, sprach mit Klassenkameraden, seiner Familie und seinem College. Ein Großteil seiner Hintergrundgeschichte ist übertrieben oder erfunden. Er war nie ein Muslimbruder, der Imam war kein Imam, er hat nicht Psychologie an der Universität Tel Aviv studiert.“ Sieht man sich seinen Artikel genauer an, bleibt von diesen Behauptungen wenig übrig.

„Als ich jedoch Tira besuchte, den Ort, an dem er 1976 geboren wurde und die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens verbrachte, erzählten einige seiner Bekannten und Zeitgenossen eine andere Geschichte“, beginnt Jackson seine „Recherche“. „Raffi Massrawa, ein in Singapur ansässiger Techniker, der nach Tira zurückgekommen war, um seine Familie zu besuchen, beschrieb die Stadt in den 1990er Jahren als friedliebend und wirtschaftlich von ihren jüdisch-israelischen Nachbarn abhängig“, schreibt Jackson und zitiert den Techniker aus Singapur folgendermaßen: „Tira ist kein religiöser Ort. Es ist liberal und gemäßigt. Die meisten Menschen sind nicht wirklich religiös. Neunzig Prozent der Menschen beten nicht wirklich.“ Was das alles mit Mansour und dessen Lebensgeschichte zu tun hat, ja, ob dieser Techniker Mansour überhaupt kannte – das erfährt der Leser nicht.

Jackson will auch herausgefunden haben, dass der Religionslehrer aus Mansours Erzählungen gar nicht so islamistisch gewesen sei. „Drei Personen behaupteten, es handele sich um Mahmoud Mansour Abu Khaled, einen Lehrer für Religionswissenschaft und Arabisch an der örtlichen Schule, der vor einigen Jahren verstorben sei. Khaled war Mitglied der Islamischen Bewegung, einer etablierten politischen Partei in Israel und der ersten arabischen Partei, die es in die Regierung des Landes schaffte und offenbar nur schwache Verbindungen zur Muslimbruderschaft hatte.“

In der Tat wurde die 1971 gegründete Islamische Bewegung als Teil der Vereinigten Arabischen Liste im Juni 2021 Koalitionspartner in der kurzlebigen Regierung Bennett/Lapid. Die Regierungsbeteiligung der Liste war von Anfang an umstritten, da sie die Definition Israels als jüdischer Staat dezidiert ablehnt, gleichzeitig aber für einen rein arabischen Staat Palästina mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt eintritt. Die Islamische Bewegung selbst, Teil dieser Liste, war von Anfang an eine islamistische Organisation, die sich in den 90er Jahren in zwei Fraktionen aufspaltete: in die gemäßigtere Süd-Fraktion (die Teil der Vereinigten Arabischen Liste wurde) und die radikalere Nord-Fraktion, die 2015 wegen ihrer Verbindungen zur Hamas und zur Muslimbruderschaft von der israelischen Regierung verboten wurde. Tira, Mansours Geburtsort, liegt im nördlicheren Teil Israels.

Ein Hausmeister mittleren Alters

Jackson hat auch die Moschee besucht, in der der junge Ahmad Mansour radikalisiert wurde: „Heute wirkt die Abu-Bakr-Moschee in Tira mit ihren sich wiegenden Palmen und dem türkisfarbenen, mit kunstvoller Kalligraphie geschmückten Innenraum nicht mehr (!) wie eine Brutstätte der Radikalisierung. Während ein einsamer Gläubiger betete, war ein Hausmeister mittleren Alters, der seit Jahrzehnten in dem Gebäude arbeitet, schockiert, als er Mansours Anschuldigungen hörte, und lehnte jeden Hinweis auf Radikalität ab. Gläubige jeden Alters ,haben nie etwas Extremistisches gehört, keinen Hass, sagte er über die Lehren der Moschee.“ Aber was soll er auch sonst sagen? Etwa: „Jawohl, wir sind und waren eine Brutstätte des Extremismus, schreiben Sie das bitte für Ihre Leser so auf!“ Unwahrscheinlich.

 

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Bis jetzt hat Jackson noch mit niemandem gesprochen, der Mansour persönlich kannte, weder mit Freunden noch mit Familienmitgliedern. In Tira hat er offenbar niemanden gefunden, der ihm erzählte, was er hören wollte. In London wurde er dann immerhin fündig: „Nimer Sultany, heute Dozent für Rechtswissenschaften an der SOAS University of London, kannte Mansour in der Grundschule und später als Fußball-Teamkollege. Sultany kann sich nicht erinnern, dass Mansour in der Zeit, in der er sich radikalisiert hatte, besonders religiös oder politisch gewesen sei. Andere ehemalige Nachbarn von Mansour erinnern sich an die Abu-Bakr-Moschee als einen Ort, an dem junge Leute Tischtennis spielten und beteten.“ Tischtennis spielen, beten und Hass predigen schließen einander nun nicht notgedrungen aus. Und die Islamische Bewegung hat unter anderem auch eine islamische Fußball-Liga gegründet.

Verteidigung der BDS-Bewegung

Bislang ist Mansour nicht der Lüge überführt, was seine jugendliche Radikalisierung betrifft. Das scheint wohl auch Jackson geahnt zu haben, weswegen er versucht, wenigstens an Mansours akademischer Qualifikation zu kratzen. So soll er nicht etwa an der Universität Tel Aviv sondern lediglich am privaten Academic College von Tel Aviv-Yafo studiert haben. Selbst Mansours Abschluss als Diplom-Psychologe an der Humboldt-Universität Berlin zweifelt Jackson an. Tatsache ist allerdings, dass Mansour an einem akademischen Programm teilgenommen hat, das in Kooperation zwischen dem Academic College und der Universität Tel Aviv stattgefunden hat. Und sein Diplom-Zeugnis der Humboldt-Universität hat Mansour als Reaktion auf den Artikel auf Twitter selbst öffentlich gemacht. Auch hier fallen die Vorwürfe des Hyphen-Magazins wie ein Stück indisches Batura-Brot in sich zusammen.

Die Passagen über Mansours Vergangenheit nehmen ohnehin nur einen kleinen Teil von Jacksons länglichem Artikel ein. Der größere Teil beschäftigt sich zum einen mit Mansours vermeintlicher Islamfeindlichkeit und seiner Rolle bei der Aufarbeitung antisemitischer Vorfälle bei der Deutschen Welle, zum anderen mit der Diskriminierung, der Palästinenser in Europa angeblich ausgesetzt sind. Der Rest besteht in einer flammenden Verteidigung der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions), die zum Totalboykott Israels aufruft und die der Bundestag in einem Beschluss vom 17. Mai 2019 als antisemitisch verurteilt hat. Dem Hyphen-Autor passt also die ganze Richtung nicht, für die Ahmad Mansour steht, und wenn er auch in dessen Vergangenheit keinen Dreck gefunden hat, so kann er doch mit dem selbst mitgebrachten werfen, in der Hoffnung, dass schon etwas hängenbleibe.

Dieser Artikel hätte in Deutschland wohl kaum Beachtung gefunden, hätte nicht der FAZ-Redakteur Reinhard Bingener, der sich schon zuvor mit Nickeligkeiten gegen Mansour hervorgetan hatte (so bezeichnete er ihn etwa als „Aktivist mit Geschäftsmodell“, als er sich zu den Krawallen in Frankreich äußerte), auf seinem Twitter-Account für dessen Verbreitung gesorgt – anmoderiert mit den treuherzigen Worten: „Diese Recherche wirft Fragen auf. Es wäre hilfreich, wenn sich @AhmadMansour an der Beantwortung der genannten Punkte beteiligt.“ Eine Aufforderung, so infam wie die berühmte Frage des Richters: „Haben Sie aufgehört, Ihre Frau zu schlagen?“

Die Recherche wirft keine Fragen auf, da der Autor gar nicht herausgefunden hat, was er herausgefunden zu haben behauptet. Und daher besteht auch kein Grund, an Mansours Angaben über seine Lebensgeschichte und seine Qualifikationen zu zweifeln.

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