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Frau Fried fragt sich - Wie eine egoistische Gesellschaft funktionieren soll

Wo kommt eine Gesellschaft hin, wenn jeder nur für die eigenen Belange streitet? Beim Thema Energiewende kann man das deutlich sehen, vor allem, wenn es um Windkraft geht

Autoreninfo

Amelie Fried ist Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin. Für Cicero schreibt sie über Männer, Frauen und was das Leben sonst noch an Fragen aufwirft

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Mein Roman „Eine windige Affäre“ handelt von einer Bauingenieurin, die einen Windpark in Litauen errichten soll. Sie kämpft dabei auch gegen militante Windkraftgegner, die kein Mittel scheuen, das Vorhaben zu torpedieren. Die Protestler behaupten eine angeblich gesundheitsschädliche Infraschall-Belastung, legen (von ihnen) getötete Fledermäuse unter bestehende Windräder und gehen bei Versammlungen verbal und mit Stühlen aufeinander los.

Das alles habe ich mir ausgedacht und hatte Sorge, ob man es mir nicht als völlig übertrieben vorhalten würde. Inzwischen spielen sich ähnliche Szenen in meinem oberbayerischen Wohnort ab. Unterschriften werden gesammelt, Gutachten in Auftrag gegeben, an vielen Wohnhäusern hängen Protestbanner gegen die Errichtung von Windrädern, das Infraschall-Märchen wird auch erzählt, und nun hat sich – nach langem Suchen – sogar eine seltene Vogelart gefunden, die durch die Anlagen bedroht sein könnte: der Schwarzstorch.

Andere Meinung = Verräter


Natürlich sei auch der Tourismus in der Gegend gefährdet, sorgen sich die angeblichen Kämpfer fürs Gemeinwohl. Obgleich der Ort genau genommen etwas abseits der bedeutenden Touristenregionen Bayerns liegt und sich eher durch einen Mangel an touristischer Infrastruktur auszeichnet. Bei den Versammlungen der Windkraftgegner geht es hoch her, und wer es wagt, anderer Meinung zu sein, ist schnell als Verräter gebrandmarkt. Die Kritiker versäumen übrigens nicht, immer wieder zu betonen, dass sie die Energiewende ganz großartig finden – nur eben bitte nicht in ihrer Gegend.

Ich frage mich, wie in diesem Land noch irgendein Vorhaben umgesetzt werden soll, wenn sich bei den Bürgern immer mehr der Egoismus durchsetzt. „Heiliger St. Florian, verschon’ mein Haus, zünd’ andere an.“ Wo kommt ein Gemeinwesen hin, wenn jeder nur für die eigenen Belange streitet? Eine – von einer überwältigenden Mehrheit der Bürger gewünschte – Wende in der Energiepolitik muss auch von dieser überwältigenden Mehrheit mitgetragen werden. Das kann im Einzelfall Verzicht bedeuten. Aber wie soll es anders gehen?

Egoismus als Sorge ums Gemeinwohl verkauft


Die meisten der Erzürnten sehen untätig zu, wenn um sie her schlimmes Unrecht geschieht, das sie nicht persönlich betrifft. Da werden Menschen aufgrund ihrer Religion oder Hautfarbe diskriminiert, da werden Kinder vernachlässigt und misshandelt – kein Grund zur Aufregung.

Kaum aber besteht die Gefahr, dass ein Windrad (wahlweise Solaranlage oder Biogasanlage) in der Nachbarschaft den Wert des Eigenheims mindern könnte, läuft der Wutbürger zu großer Form auf. Und gibt vor, sich um das Gemeinwohl zu sorgen. In Wahrheit geht’s um nicht mehr als seine private Idylle. 

 

 

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