Impeachment-Verfahren gegen Joe Biden - Bagatellisierung eines Verfassungsinstruments

Das vom Sprecher des US-Repräsentantenhauses Kevin McCarthy angestrebte Ermittlungsverfahren zu einer möglichen Amtsenthebung von Joe Biden steht legal auf schwachen Füßen. Beide Parteien nutzen Impeachment-Verfahren zunehmend als politisches Instrument.

Sprecher des US-Repräsentantenhauses Kevin McCarthy / picture alliance
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Ronald D. Gerste ist Historiker, Publizist und Augenarzt. Er lebt in der Nähe von Washington, D.C.

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„Falsch und irreführend“, „substanzlose Anschuldigungen“ und dergleichen mehr – die ersten an die Öffentlichkeit gelangten Aussagen von Beamten des FBI und der Steuerbehörde IRS vor dem House Judiciary Commitee scheinen wenig Unterstützung für die Bemühungen von Kevin McCarthy, Sprecher des US-Repräsentantenhauses, zu liefern, der drei derartige Ausschüsse – neben dem Justizausschuss das Oversight Committee (Ausschuss für Aufsicht und Rechenschaft) und das Ways and Means Committee (Finanz- und Haushaltskommittee) – mit der Einleitung von Untersuchungen über angebliche Korruption von Präsident Joe Biden beauftragt hat.

Vorwurf der Korruption 

Die Republikaner werfen Biden eine nicht wirklich detailliert skizzierte Verstrickung in die in der Tat nicht restlos durchsichtigen Geschäftsbeziehungen seines Sohnes Hunter Biden vor. Dieser hat bei seinen Unternehmungen Geschäftspartner wiederholt auf die Position seines Vaters als Vizepräsident (von 2009 bis 2017) hingewiesen und nach den Worten eines ehemaligen Vertrauten die „Illusion des Zugangs“ zu seinem Vater als Katalysator seiner erhofften Profite eingesetzt.

Hunter Biden ist in der vergangenen Woche ganz offiziell mit dem Gesetz in Konflikt geraten: Gegen ihn wurde Anklage erhoben, da er 2018 beim Erwerb der Lizenz für den Besitz eines Revolvers über seine damals bestehende Drogensucht gelogen hatte – in Delaware, dem Heimatstaat der Bidens, ein strafwürdiges Vergehen.

Kommentatoren resümierten am Wochenende mit nur einem leichten Hauch von Ironie, dass die Bemühungen von McCarthy und seinen Verbündeten, ein Impeachment des Präsidenten auf den Weg zu bringen, bei weitem nicht die schlechteste Nachricht in einer weithin verkorksten Woche gewesen sei.  

 

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Die den eingeleiteten Untersuchungen über des Präsidenten Geschäfte und deren mögliche Assoziationen mit denen des Juniors offenbar nicht immer korrekt versteuerten Projekten zugrunde liegenden Artikel waren im Juni von der Kongressabgeordneten Lauren Boebert aus Colorado verfasst worden.

Duplizität der Ereignisse: Auch die christlich-fundamentalistische, traditionelle Familienwerte beschwörende Abgeordnete und Aktivistin des Schusswaffenlobby, über rund zehn Jahre Besitzerin eines Restaurants mit dem beziehungsreichen Namen „Shooter’s Alley“, hatte eine alles andere als optimale Woche. Sie und ein nicht näher identifizierter männlicher Begleiter wurden aus einem Theater in Denver verwiesen: Sie hatte eine E-Zigarette gedampft, sich von ihrem Begleiter die Brüste streicheln lassen und ihm dafür dankbar im vollbesetzten Auditorium in den Schritt gegriffen. Auf der Bühne gab man übrigens „Beetlejuice“. 

Revanche für die beiden Amtsenthebungsverfahren gegen Trump

Das Stück, das in Washington inszeniert werden könnte – ob es wirklich zu einer Anklage kommt, ist angesichts der bislang offenbar sehr kümmerlichen Beweislage gegen Biden sr. ungewiss –, hätte mit „Payback“ den würdigen Titel. Dass es sich um eine Revanche für die beiden von den Demokraten eingeleiteten Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump handelt, ist recht evident und wurde auch von Letzterem deutlich verbalisiert.

Boebert ist ebenso ein Mitglied der allerengsten Verbündeten des 45. Präsidenten im Kongress wie die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene aus Georgia, die aufgrund ihrer unverblümten „Far-right“-Positionen zum Lieblingsfeindbild der mehrheitlich linksliberalen amerikanischen Mainstreammedien wurde.

Greene brachte nur wenige Tage nach Bidens Amtsantritt im Januar 2021 einen Antrag auf Amtsenthebung des neuen Präsidenten ein. Aus dem konservativen republikanischen Zirkel namens House Freedom Caucus wurde sie im Juni herausgeworfen, nachdem sie die ihr ideologisch so nahe stehende, jedoch jüngere und mehr Aufmerksamkeit generierende Boebert in weiblich-kollegialer Solidarität als „little bitch“ bezeichnet hatte. 

Inflationäre Verwendung des Impeachment

Die Begleitumstände und die involvierten Charaktere beim angestrebten Biden-Impeachment könnte man noch als humoristisch und von gediegenem Unterhaltungswert würdigen; der Schaden, den die konstitutionelle Substanz der USA durch die inzwischen fast inflationäre Verwendung des Impeachment nimmt, ist indes alles andere als lustig. Dafür tragen freilich beide große Parteien Verantwortung.

Die Verfassungsväter wollten das Entstehen einer Tyrannei – als solche empfand man die im Unabhängigkeitskrieg abgestreifte Regierung durch den fernen englischen König und das Parlament in London – verhindern und dem Kongress nicht nur die Möglichkeit geben, gegen Gesetze verstoßende Mitglieder der beiden Kammern, sondern auch gegen einen Präsidenten vorzugehen.

Um eine Amtsenthebung zu beantragen, genügt eine einfache Mehrheit im Repräsentantenhaus; für eine Verurteilung und damit den erzwungenen Auszug aus der 1600 Pennsylvania Avenue ist eine Zweidrittelmehrheit im Senat erforderlich. Von dieser sind die Republikaner weit entfernt – was auch für alle Vorgänger gilt, die ein Impeachment angesteuert haben. 

Zweimal klagte die Mehrheit der Demokraten Trump an

Beim ersten derartigen Verfahren ging es noch denkbar knapp zu: Eine einzige Stimme verhinderte im März 1868 die Absetzung von Präsident Andrew Johnson, dem die Entlassung des einflussreichen Kriegsministers Edwin McMasters Stanton beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Im Zuge der Ermittlungen wegen der Watergate-Affäre schien im Sommer 1974 ein Amtsenthebungsverfahren gegen Richard Nixon unausweichlich; der Republikaner kam dem mit seinem Rücktritt (bis heute als einziger Präsident) am 8. August zuvor.

Es vergingen nach dem Verfahren gegen Andrew Johnson 130 Jahre, bis erneut eine solche Anklage erhoben wurde: auf Betreiben der Republikaner im Herbst 1998 gegen Bill Clinton wegen einer privaten Verfehlung und in Zusammenhang damit geäußerten Unwahrheiten („I never had sex with that woman, Miss Lewinsky ...“).

Seither häuft es sich: Zweimal klagte die Mehrheit der Demokraten Donald Trump an - ohne eine wirklich reale Chance auf Verurteilung und im zweiten Fall nur wenige Tage vor seinem Ausscheiden aus dem Amt. Und nun Joe Biden – es scheint, als machte sich bei der jeweiligen Mehrheit im Repräsentantenhaus schnell der Drang breit, zu einer eigentlich nur für das Äußerste gedachten Waffe zu greifen. Das Impeachment könnte, so nannte es am Wochenende der Journalist James Antle, in Gefahr geraten, nicht mehr Bedeutung als ein böser Tweet zu haben. 

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