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Syrienkonflikt - Deutschland fällt als diplomatischer Vermittler aus

Die angebliche Bereitschaft Syriens, seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen, hinterlässt einen faden Nachgeschmack, sagt Außenpolitik-Experte Josef Janning. Der deutschen Regierung fehle im Syrien-Konflikt die Strategie

Autoreninfo

Bachelor in Politik- und Kommunikationswissenschaft. Studiert Internationale Beziehungen im dänischen Aarhus.

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Das syrische Regime hat den Vorschlag Russlands begrüßt, seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen. Falls dies in der Tat geschieht: Was bedeutet das für Obamas Interventionspläne?
An dieser Entwicklung kann Obama nicht vorbeigehen, denn eine effektive Kontrolle der syrischen Chemiewaffen verspricht einen größeren Ertrag als eine begrenzte Militäroperation gegen Ziele der syrischen Armee. Es kann sich im Verlauf allerdings erweisen, dass Assad auf Zeit spielt und die USA vorführt – das Angebot hat einen faden Nachgeschmack. Dennoch: Es rundheraus und direkt abzulehnen, würde Obamas Chancen, eine Mehrheit im Kongress zu bekommen, erheblich schwächen und seine lockere internationale Koalition auseinandertreiben.

Deutschland hat am Wochenende nun doch der Syrien-Erklärung zugestimmt. Wie glaubwürdig ist es, wenn die Kanzlerin als Grund anführt, Deutschland habe nur eine gemeinsame europäische Haltung zu Syrien abwarten wollen?
Die Aussage stimmt. Diese gemeinsame Erklärung der EU-Staaten hat es dann ja gegeben. Auf der anderen Seite hat Deutschland natürlich auch im Kreis der großen EU-Staaten eine besondere Position und deckt sie mit der gemeinsamen Erklärung ein Stück weit zu. Die deutsche Position war frühzeitig, einen Militäreinsatz mit deutscher Beteiligung auszuschließen und Zweifel zu hegen, ob ein Bestrafungseinsatz gegen das Assad-Regime überhaupt sinnvoll sei. Die Position der USA, Frankreichs und Großbritanniens ist dagegen, dass alle Optionen auf dem Tisch liegen müssen, als Teil der Glaubwürdigkeits-Kulisse westlicher Politik. Deutschland ist nicht bereit, sich an dieser Kulisse zu beteiligen. Deshalb ist es in den Augen der anderen Großen ein Akteur zweiter Ordnung. Insofern hilft es Merkel, wenn sie sagt, dass sie eine gemeinsame Abstimmung mit allen EU-Staaten herbeiführen will.

Trotzdem: Die anderen europäischen Staaten hätten auch auf das Treffen in Vilnius warten können.
Ja. Dass sie es nicht getan haben, dafür gibt es unterschiedliche Motive. In Großbritannien und Frankreich wird der Abstimmungsprozess mit den kleinen EU-Staaten als zu mühsam angesehen. Dort ist man der Meinung, die kleineren Staaten sollten der Richtschnur der größeren Länder folgen, die in außenpolitischer Verantwortung stehen – so ist zumindest die Selbstwahrnehmung. Für Spanien und Italien gilt das nicht unbedingt. Sowohl der spanische als auch der italienische Ministerpräsident fühlten sich im Kreis der Großen aber ganz wohl.

Deutschland kann sich als Anwalt der kleineren EU-Staaten präsentieren?
Das ergibt sich daraus. Man kann aus dieser deutschen Zurückhaltung eben auch eine halbe Tugend machen. Auf der einen Seite ist es vernünftige EU-Politik. Andererseits kommt es Deutschland ganz gelegen, denn es hat im Kreis der Großen in der Tat eine abweichende Position.

Bedeutet die G-20-Erklärung nun, es ist ja von einer „starken internationalen Antwort“ die Rede, dass Deutschland ein militärisches Eingreifen in Syrien billigt?
Nein. Die Erklärung lässt mehrere Interpretationen zu. Das ist die Kunst der Diplomatie: Ein Text muss bei unterschiedlichen Positionen der beteiligten Staaten mehrere Lesarten erlauben. Fest steht, dass die Erklärung keine direkte Unterstützung eines Militäreinsatzes beinhaltet. Vielmehr bekräftigt sie, dass die Unterzeichner die USA und andere Staaten darin unterstützt, eine Lösung zu finden. Das können die Amerikaner als Positivsignal werten. Auf der anderen Seite spricht der Text auch die zentrale Rolle der Vereinten Nationen an. Hier kann Deutschland sagen, man habe die Bedeutung der UN unterstrichen. Die Amerikaner können wiederum einschränken: Die Vereinten Nationen sind ein Handlungsrahmen unter mehreren.

Die deutsche Regierung kann also weiterhin die Position vertreten, dass zunächst der Syrien-Bericht der UN-Inspektoren abgewartet werden soll?
Ja. Das steht ganz klar in der Erklärung der 28 EU-Außenminister vom Samstag. Daran haben vor allem auch die Franzosen mitgewirkt, denn auch Frankreich will auf den Bericht warten. Daraus ergibt sich dann der übernächste Schritt: Bevor gehandelt wird, soll sich noch einmal der UN-Sicherheitsrat mit dem Bericht befassen und auf dessen Grundlage eine Resolution verabschieden – oder eben nicht. Die Amerikaner wollen den Bericht und dessen diplomatische Verarbeitung allerdings nicht abwarten.

Ist eine diplomatische Lösung des Konflikts trotzdem weiterhin möglich?
Ja, die diplomatische Tür bleibt offen. Ich unterstelle den Amerikanern nicht, dass sie sich einer diplomatischen Lösung verweigern würden, wenn sie sich denn abzeichnen würde. Wenn Obama einen Weg sieht, sich die Risiken und Kosten eines Militärschlages zu ersparen, dann wird er ihn gehen.

Könnte Deutschland hier nicht eine konstruktive Rolle einnehmen und versuchen, in der Syrien-Frage zwischen den USA und Russland zu vermitteln?
Im Prinzip ja. Zwei Faktoren stehen der Wirksamkeit einer solchen Initiative entgegen: Zum einen hat das deutsche Gewicht in Washington unter der frühen Festlegung auf ein militärisches Nichtengagement Deutschlands und dem Zweifeln an der Sinnhaftigkeit eines Militärschlags gelitten. In dieser Situation kann Deutschland keine Forderungen, etwa nach neuen Verhandlungen mit Moskau, an die USA stellen. Auf der anderen Seite wissen Merkel und Putin kaum etwas miteinander anzufangen. Die deutsche Russlandpolitik, wenn es sie derzeit überhaupt gibt, hat noch keine Antwort darauf gefunden, wie sie mit dem gesteigerten Bedürfnis Moskaus nach Anerkennung umgehen soll. Merkel hat mit Putin,wie andere Regierungschefs auch, telefoniert, ohne dass sich aus einer deutsch-russischen Verbindung heraus etwas ergeben hätte. Mit Blick auf Washington und Moskau hat die deutsche Regierung deshalb nicht die stärksten Karten in der Hand.

Ist diese Schwäche symptomatisch für die deutsche Außenpolitik?
Das ist schwer zu sagen. Wir konnten in den letzten vier Jahren beobachten, wie wenig wichtig Außenpolitik im Gesamtkontext deutscher Politik gewesen ist. Der Außenminister hat sein Amt erst in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode als Gestaltungsfeld entdeckt. Die Kanzlerin hat sich auf das Euro-Krisenmanagement und die Wirtschaftsinteressen Deutschlands im Ausland konzentriert. Eine kraftvolle, engagierte, konsistente deutsche Außenpolitik habe ich in der Zeit der schwarz-gelben Koalition nicht entdecken können.

Wo fehlt der deutsche Außenpolitik der Biss?
Wenn Deutschland so tief davon überzeugt ist, die EU-Staaten müssten in der Außenpolitik gemeinsam handeln, dann wäre es konsequent gewesen, von Anfang an dieses neue Instrument des Lissabonvertrages mit Kräften zu unterstützen. Dazu hat es sehr wenig gegeben. Westerwelle hat erst im vergangenen Jahr eine Reflexion darüber angestoßen, wie es mit der EU weitergehen könnte.

Wünschen sich andere Staaten dabei nicht gerade eine stärkere außenpolitische Rolle Deutschlands?
Ja. US-Präsident Obama hat zum Beispiel zahlreiche Avancen in diese Richtung gemacht. Merkel hat die meisten davon überhört – wahrscheinlich mit Absicht. Obama hat Merkel auch ganz persönlich versucht, zu gewinnen, etwa durch die Auszeichnung mit der „Medal of Freedom“. Merkel hat diese recht geschickt auf sich persönlich bezogen – als eine Ostdeutsche, die die Freiheit entdeckt hat. Sie hat es aber eben nicht als Signal für eine größere Führungsrolle Deutschlands im westlichen Kontext aufgenommen. Auch weil sie diese Führungsrolle mit ihren neuen Verpflichtungen scheut. Hier liest sie die Grundstimmung in der deutschen Bevölkerung auch ganz gut ab. Die Deutschen wollen immer noch Friedensdividende genießen. Ein Regierungschef bekommt nicht unbedingt Bonuspunkte dafür, dass er Deutschland in internationale Verpflichtungen hineintreibt.

Kann Deutschland zumindest in der Frage über die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen Einfluss auf die europäischen Partner nehmen? Die UN haben Deutschland gestern als Positivbeispiel angeführt.
Ja, das ist schon erklärte Politik. Innenminister Friedrich sagte, man brauche dazu eine europäische Entscheidung. Man muss das allerdings perspektivisch sehen: Im Kosovokrieg hat Deutschland um die 200.000 Flüchtlinge aufgenommen, von denen ein Großteil wieder zurückgekehrt ist. Da sind die 5.000 Syrer, die jetzt aufgenommen werden sollen, eine bescheidene Größenordnung. Das ist das Grundproblem deutscher Außenpolitik: Die Konsequenz aus einer Ablehnung von Militäreinsätzen kann nicht sein, sich zurückzulehnen. Die Politik müsste vielmehr ein starkes Instrument zur Vorbeugung von Konflikten und zur humanitären Unterstützung entwickeln. Deutschland müsste sichtbar demonstrieren, dass es bereit ist, jedem Syrer, der es schafft, aus der Hölle Assads zu entkommen, Hilfe anzubieten. Das wäre immerhin eine Strategie, auch wenn sie bei den Partnern und in der eigenen Bevölkerung nicht besonders beliebt wäre.

Der Bundesregierung fehlt also in der Syrien-Frage die Strategie?
Ja, weil ihr die Konsequenz fehlt. Es ist eher eine „Ohne mich“-Position, die aber versucht, nicht ganz so kneiferisch auszusehen.

Josef Janning ist Mercator Fellow am Alfred von Oppenheim-Zentrum für europäische Zukunftsfragen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Er ist Experte für deutsche Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik.

 

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