Österreichischer Innenminister Gerhard Karner - Wiener Wachhund

In Österreich galt der ÖVP-Politiker Gerhard Karner einst als Mann fürs Gröbste. Nun zieht er im Amt des Innenministers die Asylbremse – dafür ist ihm fast jedes Mittel recht.

Gerhard Karner bekommt Kritik von links, aber auch von kirchlichen Organisationen / dpa
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Rainer Nowak ist Journalist und war zuletzt Chefredakteur der österreichischen Tageszeitung Die Presse. Foto: Launchy (Nowak)

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Am Schluss musste er seinen Widerstand aufgeben. Sein Kabinett hatte sich gegen ihn gestellt. Gerhard Karner, neuer Innenminister Österreichs, willigte nach langer Diskussion ein. Er ließ sich ein Smartphone aushändigen und verzichtete ab sofort auf sein altes Nokia. Nun hatte er nicht nur Zugang zum Netz mit allen seinen Möglichkeiten, sondern auch zu den sozialen Medien. Genau deswegen hatte Karner sein vorsintflutliches Handy so geliebt: kein Facebook, Twitter & Co. Dafür hat er nämlich nichts übrig.

Was Hundertschaften an mehr oder weniger journalistisch oder politisch tätigen Usern vor allem auf der Plattform X, vormals bekannt als Twitter, schreiben und meinen, interessiert Karner nicht. Diese Blase sei vom echten Leben Lichtjahre entfernt. Sie dürfe seine Tätigkeit niemals beeinflussen – auch mit Smartphone nicht.

Die „Asylbremse“

Karner ist der überraschendste Minister der Regierung des Kanzlers Karl Nehammer. Kein anderer hat eine derartige Wandlung durchgemacht. Der 55-jährige Ökonom war einst als Landespolitiker in Niederösterreich und zuvor als Pressesprecher des später skandalträchtigen ÖVP-Innenministers Ernst Strasser nicht nur Mann fürs Grobe, sondern fürs Gröbste. Rhetorisch setzte er aus Prinzip auf das schwere Schwert, machtpolitisch nahm er keine Gefangenen. Inhaltlich wirkte er stramm konservativ, gab den „Sozifresser“, wie in Österreich dogmatische ÖVP-Politiker genannt werden.

Diese Rollen und Positionen holten Karner zu Beginn seiner Amtszeit ein. Er hätte als Bürgermeister des kleinen Texingtals dem bekanntesten Dorfsohn Engelbert Dollfuß, austrofaschistischer Ständestaat-Kanzler vor dem NS-Anschluss, im ortseigenen Schmalspur-Museum unkritisch gehuldigt. Und dann fand man in den digitalen Archiven ein „Ostküste“-Zitat im Zusammenhang mit einem jüdischen Wahlkampfberater der Sozialdemokraten vor Jahren. Es hagelte Rücktrittsaufforderungen. Karner rang sich zu einer Entschuldigung durch, versprach Aufarbeitung und gelobte Besserung. Dann schwieg er und beschäftigte sich leise.

So wurde aus dem politischen Rabauken ein technokratisch wirkender Sachpolitiker. Was vom alten Karner geblieben ist: Er formuliert griffig und beinhart. So verspricht er, die „Asylbremse“ zu ziehen. Oder vielleicht besser: zu treten. Und wie es aussieht, scheint ihm dies zu gelingen. „Minister Knallhart“ lobt ihn die Bild-Zeitung.

Steigende Zahl von Abschiebungen

Die Zahl der Asylanträge ist in Österreich stark rückläufig. Von Januar bis Juni dieses Jahres beantragten 22.990 Menschen Asyl. Im ersten Halbjahr 2022 waren es noch 32.351 – ein Rückgang um 29 Prozent. Zum Vergleich Deutschland: In den ersten sechs Monaten des Jahres seien 150.166 Erstanträge auf Asyl eingegangen, teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg in seiner Asylstatistik mit. Im ersten Halbjahr 2022 waren es 84.583 gewesen. Ein Anstieg um 77,5 Prozent.

Karner verweist auch auf die steigende Zahl von Abschiebungen, euphemistisch „Außerlandesbringungen“ genannt: 5900 freiwillige und zwangsweise Abschiede aus Österreich hat es im ersten Halbjahr in Österreich gegeben; eine Steigerung von 20 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Und: „Im ersten Halbjahr haben mehr Asylantragsteller Österreich verlassen, als neue Asylanträge gestellt wurden“, formuliert es Karner. Neben den Außerlandesbringungen haben sich rund 18.500 Personen bis Ende Juni dem Asylverfahren entzogen, indem sie das Land wieder verließen. Soll heißen: Sie reisten in andere EU-Staaten wie Deutschland weiter.

 

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Karner räumt ein, dass ohne echte gemeinsame EU-Asylpolitik und vollständigen Grenzschutz genau dies Problem und Lösung zugleich sei: Indem er mit intensiven Grenzkontrollen und umstrittener Zusammenarbeit österreichischer Grenzschützer an der ungarischen Außengrenze die Schlepper in ihrem Geschäft stört und angreift, verlagern sich deren Routen einfach in andere Länder. 

Je mehr Kritik, desto besser

Andere EU-Länder verzeichnen deshalb steigende Asylzahlen. In Österreich kennt man das als Floriani-Prinzip: „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an!“ 

Scharfe Kritik an Karner gibt es von links, aber auch von kirchlichen Organisationen: Er verantworte, dass österreichische Polizisten in Ungarn an illegalen Pushbacks an der Grenze beteiligt seien. Karner spricht von „normalen Zurückweisungen“. Vergangenes Jahr ließ er Asylbewerber mangels fester Quartiere in Zelten unterbringen. Seine Gegner warfen ihm vor, abschreckende Bilder für potenzielle neue Asylbewerber schaffen zu wollen. 

Genau das könnte auch ein Grund für den Rückgang sein. Das aber stört Karner nicht im Geringsten. Für ihn zählt nur die Mission. Je mehr er kritisiert wird, desto sicherer scheint er sich ihrer zu sein.

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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