
- „Da kann man schon eine Psychose bekommen“
Entlang der Grenze zu Belarus hat die polnische Regierung wegen der Migrationskrise den Notstand verhängt. Für die einheimische Bevölkerung ist es ein Leben in einer abgesperrten Region, in der Polizeikontrollen, Militärpräsenz und hilfsbedürftige Migranten zum Alltag gehören. Sławomir Droń ist Mitgründer einer Initiative, die Flüchtlingen Hilfe leistet.
Sławomir Droń ist studierter Biologe und lebt seit zehn Jahren wieder in seinem Heimatort Białowieża, das am Rande des weltweitbekannten Białowieża-Nationalparks liegt. Als Reaktion auf die Migrationskrise an der polnisch-belarussischen Grenze erklärte die polnische Regierung am 2. September einen drei Kilometer breiten Streifen entlang der Grenze zu Belarus zum Notstandsgebiet. Die 1.800 Einwohner-Ortschaft Białowieża liegt in dieser Sperrzone, welche nur noch Einheimische und Sicherheitskräfte betreten dürfen. Zusammen mit weiteren Einheimischen gründete Droń nun die „Humanitäre Aktion von Białowieża“, die Migranten Hilfe leistet.
Herr Droń, sie leben in Białowieża, das im Notstandsgebiet liegt. Wie muss man sich das alltägliche Leben in so einer Sperrzone vorstellen?
Zuerst muss man sagen, dass wir auf diese Situation von der Regierung gar nicht vorbereitet wurden. Wir haben erst drei Tage zuvor erfahren, dass wir zum Notstandsgebiet werden. Nun gibt es Checkpoints, an denen die Polizei mit Blaulicht steht. Wenn man Glück hat, trifft man auf einen netten Polizisten. Wenn man Pech hat, auf einen mit schlechter Laune. An diesen Checkpoints muss man sich ausweisen. Es wird geprüft, wer einen begleitet. Auch die Autos werden kontrolliert. So muss man immer seinen Kofferraum öffnen. Die Sicherheitskräfte gucken, ob man nicht einen Flüchtling aus der Sperrzone rausschmuggelt. Wir Einheimischen sprechen übrigens bewusst von Flüchtlingen. Und es werden keine Touristen mehr reingelassen. Am Anfang standen an den Checkpoints noch Angehörige des Grenzschutzes. Aber da sich die Situation direkt an der Grenze verschärft hat und die Beamten dort gebraucht werden, steht an den Checkpoints nur noch die Polizei. Und natürlich ist die Präsenz des Militärs und der hierhin aus anderen Teilen des Landes verlegten Polizei unübersehbar. So haben wir in unserem Ort ein kleines Stadion, auf dessen Spielfeld nun seit Wochen Zelte stehen, in denen die Soldaten untergebracht sind. Was für die Soldaten sicherlich auch eine Tragödie ist bei den immer kälter werdenden Temperaturen, obwohl die Zelte angeblich beheizbar sind. Da haben es die Polizisten besser, die in Pensionen und Hotels untergebracht wurden. Und wenn man in den Laden geht, trifft man da jetzt auch mal fünf mit Gewehren bewaffnete Soldaten. Da kann man schon eine Psychose bekommen.

Dürfen Familienangehörige und Freunde zu Besuch kommen?
Freunde und Bekannte dürfen uns überhaupt nicht mehr besuchen. Sie kommen in die Sperrzone nicht rein. Und von den Familienangehörigen nur die engste Verwandtschaft. Hat also jemand zum Beispiel Kinder, die außerhalb des Notstandsgebietes leben, dürfen diese zu Besuch kommen. Cousinen aber nicht mehr. Eine Ausnahme gab es nur vor einigen Wochen, als Allerheiligen war. Das ist ein Feiertag, der in Polen von besonderer Bedeutung ist. Deshalb durften an diesem Tag auch entferntere Verwandte in das Notstandsgebiet kommen, um dort die Gräber ihrer Familienangehörigen besuchen zu können.
Sie haben vorhin kurz von Touristen gesprochen. Hat der Notstand auch wirtschaftliche Folgen?