Nato-Verteidigungsministertreffen - Kurzfristig schwierig

In Brüssel tagten die Nato-Verteidigungsminister. Alles drehte sich um die Frage, wie sowohl die eigene Verteidigungsfähigkeit als auch die Hilfe für die Ukraine gewährleistet werden könne. Aber allein bei der Munitionsbeschaffung gibt es schon Probleme.

Wo sollen sie bloß herkommen, die Waffen, fragt sich Verteidigungsminister Boris Pistorius im Gespräch mit Jens Stoltenberg / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

So erreichen Sie Thomas Jäger:

Anzeige

Die Nato-Verteidigungsminister tagten während der letzten zwei Tage in unterschiedlichen Formaten, in der Ramstein-Kontaktgruppe, dem Nato-Verteidigungsrat. Alle Themen kreisten um dieselbe Frage: Wie können die Streitkräfte der Nato-Mitgliedstaaten in den Zustand versetzt werden, selbst verteidigungsfähig zu sein und gleichzeitig in der Lage sein, die Streitkräfte der Ukraine mit den erforderlichen Waffen und der notwendigen Munition zu versorgen? Die kurze Antwort lautet für viele Mitgliedstaaten: Das wird schwierig. Jedenfalls in sehr kurzer Frist. Mittelfristig sieht die Lage besser, aber auch nicht umfassend gut aus. Bis die Streitkräfte der europäischen Nato-Staaten in der Lage sind, sich selbst gegen eine Aggression zu verteidigen, reicht der Zeithorizont weit über die Amtszeit dieser Bundesregierung hinaus. Konkret: Verteidigungsminister Pistorius feiert nächsten Monat seinen 63.Geburtstag. Er müsste schon 85 Jahre alt werden, um einen umfassend ertüchtigten Zustand der Bundeswehr noch zu erleben. 

Pistorius hatte am ersten Tag den schwierigen Part. Denn neue Zusagen an Waffenlieferungen der Ramstein-Gruppe wurden nicht verkündet. Insbesondere die kurz zuvor anhebende Diskussion um Kampfflugzeuge, konkret um die amerikanische F-16, wurde für die Öffentlichkeit ausgetreten. Verteidigungsminister Austin hatte dazu nichts zu sagen, und aus Washington ist bekannt, dass Präsident Biden das Thema eigentlich gar nicht anpacken möchte. Deshalb stellte sich die Frage, ob wenigstens das, was zugesagt wurde, auf den Weg gebracht werden kann. Munition für den Flugabwehrpanzer Gebhard wird nun in Deutschland neu produziert und kann wohl ab Jahresmitte geliefert werden. Der Zeitverzug entsteht, weil sowohl die Schweiz als auch Brasilien Munitionsbestände nicht liefern wollen, wohlgemerkt: Munition zur Flugabwehr, die gar nicht eingesetzt werden müsste, wenn Russland die Ukraine nicht mit Drohnen und Raketen angreifen würde. Neutralität macht auch vor dem zivilen Leben nicht halt. 

In zwei bis drei Tagen ist die Munition verschossen

Schwieriger sieht es bei den zugesagten Kampfpanzern Leopard aus. Dieses Kapitel offenbart nicht nur eine militärtechnische, sondern auch eine politische Konstellation, die ernste Fragen aufwirft. Die erste ist, warum Rheinmetall nicht schon im Frühjahr 2022 den Auftrag erhielt, die eingelagerten Panzer instand zu setzen. Das Unternehmen hatte dies angeboten. Denn schon damals war absehbar, dass das Gerät, wenn schon nicht für die Ukraine, dann für die Bundeswehr benötigt wird. Die zweite ist, warum Bundeskanzler Scholz verkündet, Deutschland werde der Lieferung von Leoparden zustimmen, nachdem eine Koalition in der Allianz zustande kam, insbesondere unter Einbeziehungen der USA. Scholz wörtlich: „Wir handeln international eng abgestimmt und koordiniert.“ Außer Portugal will davon aber niemand mehr etwas wissen. Hat sich die Bundesregierung auf irgendwelche mündlichen Hinweise verlassen und das nicht handwerklich sauber mit Polen, den Niederlanden und Finnland vereinbart? Bemerkenswerterweise schein dies niemanden besonders zu interessieren. 

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Außer den Verteidigungsminister, der nun sehen müsste, wie er nun die Bestände für die zugesagten zwei Bataillone zusammenbekommt. Das Ergebnis: Er schafft es nicht. Für ein halbes Bataillon bekommt Deutschland die Panzer zusammen; für ein ganzes gelingt es Polen. Der politische Schaden ist jetzt schon höher als der militärische Nutzen, wenn die Zahl so gering bleibt. Mit geringen Zahlen an Munitionsbeständen kämpfen inzwischen ebenfalls alle Nato-Streitkräfte. Eine Inventur wurde veranlasst, die freilich, weil es sich um sensible Informationen handelt, nicht veröffentlicht wird. Termingerecht orderten die USA für 500 Millionen US-Dollar Artillerie-Munition. Die anderen Staaten werden dies ebenfalls vollziehen, denn es gibt immer wieder Berichte, dass Mitgliedstaaten der Nato die mit der Allianz vereinbarten Bestände für mehrere Wochen Kampf nicht vorhalten. Von zwei bis drei Tagen ist die Rede, dann sei die Munition verschossen.

Zweieinhalb Jahre von der Bestellung bis zur Lieferung

Diesem kurzen Zeitraum steht der lange gegenüber, den die Produzenten gerade nennen, um neue Munition liefern zu können. Laut CNN muss inzwischen mit einer Zeitspanne von zweieinhalb Jahren von Bestellung bis Lieferung kalkuliert werden. Das Problem ist nicht neu. In Deutschland hatte der Wehrbeauftragte 2016 die Munitionsbestände als symbolisch bezeichnet. Dies scheint aber weder die Führung der BMVg noch die militärische Führung der Bundeswehr und schon gar nicht die Abgeordneten des Deutschen Bundestags – die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee – in irgendeiner Weise stärker interessiert zu haben. Denn Munition zu bestellen ist ja kein Hexenwerk. Und scheint nun ja auch rasch zu gelingen. Aber mit der Bestellung ist es jetzt nicht getan. Die Lieferung müsste rascher gelingen. 

Das ist nötig, wenn die Unterstützer der Ukraine sie weiterhin befähigen wollen, die Verteidigung auf dem Niveau zu führen, wie dies in den letzten zwölf Monaten entwickelt wurde. Denn Russland verstärkt die Angriffe an unterschiedlichen Abschnitten der Front und zieht nach mehreren Quellen nun auch die Luftstreitkräfte zur stärkeren Unterstützung heran. Flugabwehr und Artilleriemunition sind für die ukrainische Verteidigung bedeutsam. Die Frage ist, ob sie zeitnah und in ausreichender Anzahl zur Verfügung stehen, dass die ukrainischen Streitkräfte den russischen Angriffen standhalten können. Im Rückblick wird dann die Frage gestellt werden, warum das im Jahr 2022 versäumt wurde.      

Anzeige