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Katalonien will Unabhängigkeit von Spanien - Attrappe mit Sprengkraft

Das katalanische Parlament hat den Bruch mit Spanien erklärt. Bis zur Unabhängigkeit der Region im Nordosten Spaniens ist es dennoch ein weiter Weg, der sich als Sackgasse entpuppen könnte

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Autoreninfo

Julia Macher lebt als Journalistin in Barcelona und berichtet seit vielen Jahren von der iberischen Halbinsel.

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Es ist ein seltsames Ding, das das katalanische Parlament am Montag in die Welt gesetzt hat: Die Deklaration über den „Beginn des Prozesses zur Bildung eines eigenen Staates“ ist je nach Standpunkt ein Rohrkrepierer, eine Bombe, die den spanischen Staat in die Luft sprengen wird, oder eine hübsch lackierte Attrappe. „Staatsstreich der Separatisten“ tönt die überwiegend in Madrid beheimatete konservative Presse, „Historischer Tag“ jubeln katalanische Pro-Unabhängigkeits-Blätter. Vielleicht ließe sich ein nonchalantes „So what?“ hinzufügen.

Aber der Reihe nach: Das katalanische Regionalparlament hat am Montag mit den Stimmen der beiden sezessionistischen Listen Junts pel Si und CUP eine Resolution verabschiedet. Binnen eines Monats sollen die Grundlagen für eine eigene Finanzbehörde, eine Sozialversicherung und ein Gesetz für den politischen Übergang geschaffen werden. Man wolle sich den spanischen Institutionen künftig nicht mehr unterordnen, betrachte das Verfassungsgericht als nicht legitim und seine Urteile als nicht bindend.

Das ist eine radikale Ansage. Überraschend ist sie nicht, schließlich steht sie im Programm der meistgewählten Liste: Erringe man gemeinsam mit der CUP eine Mehrheit, werde man das als Mandat zur Gründung eines eigenen Staates sehen – und zwar unabhängig davon, ob diese Mehrheit auf Stimmen oder nur auf parlamentarischen Sitzen beruhe. Tatsächlich haben sich Ende September mit 47,7 Prozent der Wähler etwas weniger als die Mehrheit für ein klares Ja zur Unabhängigkeit ausgesprochen.

Die Deklaration kann gar nicht umsetzt werden


Vielleicht ist die Deklaration einen Zacken schärfer geraten als ursprünglich geplant. Denn die Liste des Ministerpräsidenten Artur Mas hat bei den Wahlen weniger Stimmen errungen als erwartet – und braucht zur Regierungsbildung die linksalternative CUP. Die Systemkritiker goutieren revolutionäre Gesten, wollen den Mann, der für sie wie kein Zweiter Neoliberalimus und eine von Korruptionsskandalen geschüttelte Partei vertritt, dennoch nicht zum Präsidenten machen.

Revoluzzerrhetorik hin oder her. Anders gesagt: Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es in den nächsten Wochen keinen katalanischen Präsidenten geben – und somit auch keine Regierung, die die sezessionistische Deklaration umsetzen kann. Erst recht nicht innerhalb von 30 Tagen, was auch mit Exekutive schwierig wäre. So gesehen ist die Deklaration eine Attrappe, markiert sie doch lediglich die Sollbruchstelle mit Spanien.

Das Sondereinsatzkommando aus Madrid
 

Madrid jedoch, und das ist charakteristisch für die Dynamik im Armdrücken zwischen Provinz und Zentralstaat, rückte zur Deaktivierung quasi mit dem Sondereinsatzkommando an. Noch im Rathaus des Provinzstädtchens Béjar, Station im Vorwahlkampfbesuch, unterzeichnete Ministerpräsident Mariano Rajoy am Montag den Eilantrag fürs Verfassungsgericht, das die Deklaration automatisch für verfassungswidrig erklären wird. Für den Fall, dass sich das katalanische Parlament nicht an das Verbot halte – was es erklärtermaßen nicht tun wird – kündigte er weitere rechtsstaatliche Schritte an, bis zur Aufhebung der katalanischen Autonomie.

Oppositionsführer Pedro Sánchez assistierte aus Madrid, betonte ebenfalls das Primat des Rechts vor allem anderen. Die stets wohl frisierten Einserschüler von Ciutadans, der in Katalonien gegründeten pro-spanischen Partei, die zum Sprung in den Madrider Kongress ansetzt und dabei Umfragen zufolge die linke Podemos längst überholt hat, stimmten postwendend mit ein. Die Unionisten führen das Wort „Rechtsstaat“ so häufig im Mund wie die Separatisten „Plebiszit“ und „Wahlen“. Denn im Dauerkrach zwischen beiden geht es im Kern auch um ein unterschiedliches Verständnis von Demokratie. Die Unionisten halten die verfassungsrechtlich verbrieften Normen für unumstößlich, die Separatisten halten alles für wähl- oder eben abwählbar. Das Beharren auf beidem verhärtet die Fronten. Aufrichtig ist es nicht.

Denn dass sich Spaniens Verfassung mit dem entsprechenden politischen Willen reformieren lässt, zeigte sich im Sommer 2011: Damals einigten sich die großen Parteien auf Druck aus Brüssel und Berlin darauf, der Abbezahlung von Schulden Vorrang vor Sozialausgaben einzuräumen. Sie verankerten das sogar in der Verfassung. Und auch die Separatisten interpretieren das demokratische Prinzip nach Gutdünken, wenn sie die Wahlen zwar als Plebiszit definieren, dabei aber nicht die Stimmen, sondern die Sitze zählen.

Dann lasst uns eben ein echtes Referendum machen, rechtlich bindend und unter internationaler Aufsicht“, antworten Unabhängigkeitsbefürworter auf diesen Einwand reflexartig. Tatsächlich wäre ein Referendum wie in Schottland oder Québec, bindend oder nicht, politisch das Sinnvollste. Im Programm hat es nur die linke Podemos, der Umfragen noch knapp elf Prozent der Wählerstimmen prognostizieren. Anfang letzten Jahres waren es mehr als doppelt so viele.

Probleme sind auch ohne Kataloniens Unabhängigkeit lösbar
 

Das meinen die Separatisten, wenn sie von der „Unreformierbarkeit“ des spanischen Staates sprechen. Tatsächlich ist die Situation einigermaßen absurd. Die Probleme zwischen Katalonien und Spanien sind lösbar. Zumindest theoretisch. In seiner Rede vor dem Parlament sprach Präsidentschaftskandidat Artur Mas von fehlenden Investitionen in die Infrastruktur, mangelnder Kompetenz bei den Regelungen zum Ladenschluss, einer fehlenden Anerkennung als Nation: nichts, was per se eine Sezession, die aufwändige Gründung eines neuen Staates, rechtfertigen würde.

Theoretisch, ja, theoretisch ließen sich die Probleme mit einer Föderalismusreform lösen, mit der Schaffung einer zweiten territorialen Kammer, paritätisch besetzten, vermittelnden Organen, Festschreibung der Zuständigkeiten, Abschaffung von Doppelkompetenzen. Doch dazu bräuchte es Föderalisten, und davon gibt es bei den Linken wenige, bei den Rechten so gut wie keine. Immerhin haben alle Parteien Vorschläge für eine Verfassungsreform im Gepäck, selbst die konservative Volkspartei PP verschließt sich der Idee nicht mehr.

Wahltaktik ist den Parteien wichtiger als Problemlösung
 

Doch der große Wurf ist nicht in Sicht: ein bisschen Anerkennung nationaler Eigenheiten bei der PSOE; Gleichbehandlung aller autonomen Regionen und ein klarer Kompetenzenkatalog bei Ciudadanos. Mariano Rajoy hat die Anführer der großen Parteien auf einen Rettet-das-Vaterland-Kurs eingeschworen. Damit sind Katalonien  bzw. eine vernünftige Auseinandersetzung über das Thema aus dem Wahlkampf verbannt worden. Stimmen wird es der konservativen Volkspartei vermutlich dennoch bringen.

Die anti-katalanischen Ressentiments im restlichen Spanien sind beträchtlich und durch das bewusst provokante katalanische Manöver eher gestiegen. Und vielleicht rettet das die ebenfalls korruptionsgeplagte Volkspartei vor dem Fiasko. Natürlich profitieren auch die Separatisten von der Totalblockade, beweist sie doch, dass der einzige Ausweg aus der Sackgasse der Weg durch die Wand ist, in die Unabhängigkeit. Das wahltaktische Kalkül war und ist auf beiden Seiten größer als das Interesse an einer Lösung des Problems.

Rechnung mit vielen Unbekannten
 

Gut möglich, dass sich die Unabhängigkeitsbewegung dabei eine dicke Beule holt. Was, wenn Madrid tatsächlich die Autonomie aufhebt? Was, wenn daraufhin keine „Internationalisierung des Konflikts“ erfolgt, wie manche Sezessionisten hoffen? Wenn die Europäische Union eben nicht aufschreit ob der vermeintlich hässlichen Fratze des spanischen Zentralstaats? Wenn sie die Angelegenheit weiter als eine rein innerspanische betrachtet?

Das spanisch-katalanische Problem ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Und da ist es vielleicht gar nicht schlecht, dass in ihr – neben den spanischen Wahlen vom Dezember - noch ein zweites verzögerndes Moment eingebaut ist. Können sich die beiden Unabhängigkeitslisten nicht auf einen Präsidenten einigen, muss im März erneut gewählt werden. Die politischen Vorzeichen in Madrid wären neue, der Ministerpräsident höchstwahrscheinlich ein anderer. Gelöst wäre die Gleichung damit nicht. Aber das Szenario birgt zumindest die Chance dazu.

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