Israel, Russland und Ukraine - Balanceakt auf dem Grenzzaun

Obwohl die Sympathie für die Ukraine in der israelischen Bevölkerung groß ist, verhält sich die Regierung neutral. Denn die Realität im Nahen Osten macht gute Beziehungen mit Moskau zur Notwendigkeit. Und doch gibt es Anzeichen, dass die Hilfe für die Ukraine verstärkt werden könnte.

Eli Cohen mit Dmytro Kuleba: Im Februar 2023 besuchte der Außenminister Israels erstmals seinen ukrainischen Amtskollegen / picture alliance
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Tal Leder ist als Producer für zahlreiche israelische und deutsche TV- und Dokumentarfilme tätig. Als freier Journalist und Autor schreibt er regelmäßig für verschiedene Medien.

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„Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft“, heißt es bei Immanuel Kant. Im mittlerweile einjährigen Ukrainekrieg arbeitete der damalige israelische Premierminister Naftali Bennett – auf Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – in den ersten Wochen nach der russischen Invasion intensiv an Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau. Ein Waffenstillstand soll damals – bei erheblichen Zugeständnissen von beiden Seiten – in greifbarer Nähe gewesen sein. Doch laut Bennett hätten vor allem Großbritannien und die USA den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt.

„Entscheidende Hindernisse für einen Waffenstillstand waren bereits aus dem Weg geräumt – durch Verzicht auf einen Nato-Beitritt der Ukraine, Regelungen zur Zukunft des Donbass und der Krim sowie die von Kiew geforderten Sicherheitsgarantien“, sagt Uri Avidan, ehemaliger Brigadegeneral der israelischen Streitkräfte (IDF) und Unterhändler bei den Friedensverhandlungen mit Ägypten. „Frankreich und Deutschland waren eher pragmatisch eingestellt, doch London und Washington vertraten aggressive Positionen.“

„Blutvergießen hätte längst gestoppt werden können“

Für den Ex-Militär hat der Westen eine Mitschuld an der Fortsetzung der Kampfhandlungen, selbst wenn natürlich Russland der Hauptaggressor des Krieges bleibt. Avidan erklärt, dass schon nach dem Sechstagekrieg 1967 – neben der Weigerung der Arabischen Liga, mit Israel zu verhandeln – es vor allem die USA waren, die sämtliche Nahost-Friedensvorschläge der Sowjetunion zurückwiesen. So verstrickte sich der Nahostkonflikt während des Kalten Krieges in die globale Rivalität zwischen Washington und Moskau.

„Unbegreiflich, dass die Nato-Staaten die Friedensinitiative Bennetts blockiert haben“, schimpft Avidan. „Das Blutvergießen hätte längst gestoppt werden können. Israel wird von den Kriegsparteien in Europa auf die Probe gestellt, da es weiterhin einen Balanceakt zwischen Russland und der Ukraine aufrechterhält.“

 

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Tatsächlich bewegt sich Jerusalem seit einem Jahr wie auf Zehenspitzen zwischen beiden Ländern. Zwar verurteilt Israel die russische Invasion, schloss sich jedoch nicht dem von den westlichen Ländern eingeführten Sanktionsregime an. Gleichzeitig versprach es auch Kiew, seine medizinische Hilfe fortzusetzen und eine verantwortungsvolle Kriegspolitik zu führen.

So wurde bereits Verteidigungsausrüstung – wie Helme und Schutzwesten – zur Verfügung gestellt, und demnächst sollen auch elektrische Generatoren und gepanzerte Krankenwagen geliefert werden. All dies unter Wahrung der eigenen geopolitischen Interessen und Aufrechterhaltung der strategischen Allianz mit den USA.

Russland ist wichtiger Partner in Nahost

„Israels Politik balanciert auf dem Grenzzaun“, sagt Dina Lisnyansky, Nahost- und Russlandexpertin an der Tel-Aviv-Universität. „Zwar solidarisiert sie sich mit der Ukraine. Aber die Realität im Nahen Osten diktiert, dass man auch mit Ländern zusammenarbeiten muss, die anders denken, und Russland ist eben einer der wichtigsten Partner.“

Jerusalem und Moskau operieren beide in Syrien, was eine enge militärische Zusammenarbeit erfordert. Für die IDF ist die ihr von Russland gewährte Operationsfreiheit im Nachbarstaat entscheidend im Kampf gegen den iranischen Einfluss. Da jegliche Spannungen mit dem Kreml seine Missionen einschränken könnten, hat Israel seit Beginn des Krieges Anfragen der Ukraine nach Waffen, wie etwa Luftverteidigungstechnologien, abgelehnt. „Russland würde dies als Provokation ansehen“, sagt Lisnyansky. „Es ist eine sehr heikle Situation, und deshalb ist Israel vorsichtig.“

Netanjahu vollzog einen Richtungswechsel

Mittlerweile gibt es Anzeichen, dass sich die Dinge ändern. Nach der Wiederwahl von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der gute Beziehungen zu Putin pflegt, war ein Telefongespräch mit Selenskyj einer seiner ersten Amtshandlungen. Ein Signal, das seine neue Regierung eine stärker ukrainisch orientierte Haltung einnimmt. Doch schon vor dem Waffengang war das Verhältnis beider Staaten sehr eng. Der entscheidende Richtungswechsel ist vor allem das im Kriege gefestigte russisch-iranische Militärbündnis. Die im Mullahstaat hergestellten Drohnen (UAV) sind zu einem unverzichtbaren Werkzeug in der russischen Offensive in der Ukraine geworden.

„Je mehr der Iran involviert ist, desto mehr wird Israel auf der Seite sein, die sich ihm entgegenstellen“, sagt Yonatan Freeman vom Institut für Politikwissenschaft der Hebräischen Universität Jerusalem. „Israel gibt öffentlich nicht viel preis. Aber hinter den Kulissen hat es seine Hilfe für die Ukraine verstärkt.“ Während in dem seit über einem Jahrzehnt stattfindenden Schattenkrieg zwischen Jerusalem und Teheran der jüdische Staat bereits Ziel von UAV-Angriffen gewesen war, beriefen sich zuletzt verschiedenen Medien auf ukrainische Geheimdienstberichte, wonach Israel höchstwahrscheinlich seine Erfahrungen in der Drohnenabwehr mit der Ukraine geteilt hat.

„Israel sollte auf der richtigen Seite stehen“

Ein weiterer Faktor sind die 150.000 Juden, die in der Russischen Föderation leben. „Diese werden im Wesentlichen als Verhandlungsmasse gegenüber Israel gehalten“, erklärt Freeman. „Putin mag für westliche Ohren irrational klingen, aber selbst die kleinste Drohung, die er ausspricht, könnte leicht verwirklicht werden.“ Der im Exil lebende Oberrabbiner von Moskau hat seine Glaubensbrüder aufgefordert, das Land zu verlassen, da er befürchtet, dass politische Instabilität die jüdische Minderheit zu einem leichten Ziel machen könnte. So hat der Kreml das Büro der Jewish Agency for Israel bereits im eigenen Land geschlossen.

„Russland kennt das Dilemma Israels und versucht diesen Druck zu nutzen“, erklärt der Politikspezialist. „Jerusalem steht jetzt vor der Wahl, seine prekäre Position aufrechterhalten oder endlich Partei zu ergreifen.“ Freeman glaubt, das die Entwicklungen im Krieg die Entscheidung der israelischen Regierung beeinflussen wird.

„Israel sollte auf der richtigen Seite stehen“, fordert Ex-IDF Brigadegeneral Uri Avidan. „Die Geschichte wird ihm Recht geben.“ Der Militärexperte fordert von seinem Land, moralisch Stellung zu beziehen und die Ukraine zu unterstützen. Dazu müsste Israel sich in dieser Frage mit den westlichen Mächten abstimmen. Avidan ist sich aber auch bewusst, dass das einen schwierigen und gefährlichen Balanceakt erfordert. „Frieden ist das höchste Gut“, zitiert Avidan das Motto des Westfälischen Friedens. „Doch um dieses zu bewahren, muss die gesamte freie Welt sich dem Aggressor entgegenstellen.“

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