Friedenstreffen von Sant’Egidio in Berlin  - Putins Papst?

Der Vorwurf gegen Franziskus ist ungeheuerlich: Er sei nicht solidarisch genug mit der Ukraine. Seine Äußerungen seien zu russlandfreundlich. In Wahrheit hat das Vorgehen des Kirchenoberhauptes ein zutiefst humanitäres Ziel – und auch eine solche Wirkung. Das zeigt sich auch derzeit beim Internationalen Friedenstreffen von Sant’Egidio in Berlin. 

Papst Franziskus hat im vergangenen Jahr mit Patriarch Kirill I. per Video gesprochen. Doch er verurteilt dessen Kriegsverteidigung /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Es ist leicht, den Papst zu kritisieren. Die ganze Welt ist entsetzt angesichts des brutalen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Und was macht das katholische Kirchenoberhaupt? Jüngst gab es wieder einmal einen sprachlichen Fauxpas. Der Papst schwärmte bei einem Videogespräch mit russischen Jugendlichen ausgerechnet von einem „großen Russland“, dessen Erbe sie bewahren sollten. Besonders für Unmut sorgte der Verweis von Franziskus auf die Zaren Peter den Großen und Katharina II. Beide brachten zwar auch europäische Ideen nach Russland, aber sie dienen mit ihrer damaligen erfolgreichen kriegerischen Expansion heute als Vorbild für Putins Aggression.

Was wollte Franziskus also den Jugendlichen mitgeben? Hat er nicht gesehen, dass er von der Moskauer Propaganda instrumentalisiert wird? Irrlichtert der Papst mit seiner Friedensrhetorik? Das ist eine zu simple Schlussfolgerung!

Heute geht in Berlin das Internationale Friedenstreffen der katholischen Laiengemeinschaft Sant’Egidio mit einer Videobotschaft des Papstes und einem Gebet vor dem Brandenburger Tor zu Ende. Teilnehmer aus 33 Ländern mit Vertretern aller Weltreligionen, die sich teilweise auch feindlich gegenüberstehen, kamen in Berlin zusammen. Von der deutschen Öffentlichkeit wurde die Versammlung weitgehend ignoriert. Nur Friedenspalaver? 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat bei der Eröffnung die Unterstützung des Kriegs gegen die Ukraine durch die russisch-orthodoxe Kirche scharf verurteilt. „Religion darf niemals Rechtfertigung von Hass und Gewalt sein“, sagte er. Natürlich hat Steinmeier recht mit seiner Verurteilung, daran besteht kein Zweifel. Aber ist er der richtige Absender für diese Erkenntnis? 

Die schärfste Waffe des Papstes ist seine politische Neutralität

Was macht die katholische Weltkirche: Sie redet dennoch weiter mit den Russen. Auch inoffiziell mit Patriarch Kyrill, der in unsäglicher Weise den Krieg religiös gerechtfertigt hat. Sogar bei dem Friedenstreffen in Berlin durfte ein russisch-orthodoxer Bischof ans Mikrophon treten. Ist das falsch? Vor allem ist es sicher gefährlicher, als nur wohlfeile Worte und Bekenntnisse zu sprechen. Vor allem aber ist es genau der Weg des Papstes.

Seit Beginn des Krieges wird Franziskus vorgeworfen, sich nicht klar genug zur Ukraine zu bekennen und das Unrecht des russischen Angriffskrieges nicht deutlich genug zum Ausdruck zu bringen. Auch nenne er den Aggressor Putin nicht beim Namen. Doch diese Kritik läuft in die Irre. Die schärfste Waffe des Papstes im Kampf gegen die Brutalität, das Unrecht, gegen schlicht das Böse, ist seine politische Neutralität und zugleich seine unbedingte Solidarität allen Menschen und Völkern gegenüber. 

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Andrea Riccardi,
Gründer von Sant'Egidio (l.)  /dpa

Es ist richtig, dass er seine Autorität ins Feld führt, wenn es gilt, daran zu erinnern, dass die Opfer immer auch auf beiden Seiten zu finden sind, dass noch lange vor dem Ende der Kampfhandlungen Versöhnung und Frieden beginnen muss. Natürlich ist es keine Neutralität dem Bösen gegenüber, keine Neutralität Putin gegenüber, auch keine Naivität, sondern eine Entschiedenheit und Parteilosigkeit, die dem Frieden und der Gerechtigkeit dient – allen Zynikern zum Trotz. Das müsste doch gerade uns Deutschen klar sein.

Aber stattdessen verfallen insbesondere in Deutschland manche schon wieder in die Rolle des moralischen Lehrmeisters. Der Papst sei kein Diplomat, verstehe die Welt nicht, sympathisiere mit Diktatoren. Als ob es irgendwie denkbar wäre, dass der Papst nicht im Herzen und ganz und gar auf der Seite der überfallenen Ukraine stünde. Für seine missverständliche Äußerung hat der Papst um Entschuldigung gebeten; er habe auf den kulturellen Reichtum Russlands verweisen wollen. In dieser Woche hat er sich in Rom mit 50 ukrainischen Bischöfen getroffen. Jeden Abend bete er vor einer Ikone für das ukrainische Volk, erklärte er. 

Pius’ moralische Verurteilung erscheint heute als große Hybris der deutschen Nachkriegsgesellschaft

Aber manche wollen dem Papst offenbar das Falsche unterstellen. Doch seine Mission geht über bloße Worte, Beteuerungen und Bekundungen hinaus. Woran erinnert das? Es ist so eine eigentümliche Denkungsart: Wenn sogar der Papst sich nicht richtig verhält, entschuldigt das nicht auch unsere eigenen kleinen persönlichen Verfehlungen? 

Ausgerechnet in Deutschland war in der Nachkriegszeit die Kritik an Papst Pius XII. besonders laut. Er habe nicht deutlich genug den Holocaust verurteilt, hieß und heißt es. Mindestens seit dem Bühnenstück „Der Stellvertreter“ aus dem Jahr 1963 von Rolf Hochhuth war endlich ein großer Mitschuldiger für die unfassbaren Nazi-Gräuel gefunden worden. Es hatte eine großartige Entlastungswirkung für die eigene übergroße Schuld des Tätervolkes, dass selbst der Stellvertreter Gottes auf Erden nun vermeintlich nicht unschuldig aus der Menschheitskatastrophe hervorgegangen ist. Neuste Forschungen belegen, dass mit Wissen und Billigung des Papstes tausende verfolgte Juden gerettet wurden. Seine moralische Verurteilung erscheint heute als große Hybris der deutschen Nachkriegsgesellschaft. 

 

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Das Archiv der Bittschreiben an den Vatikan, das jetzt gehoben wird, ist größer als die Datei der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Trotz berechtigter Kritik, trotz auch anfechtbarer Vorgehensweisen in schwerster Zeit schrieb die israelische Außenministerin Golda Meir zum Tod von Papst Pius XII. 1958: „Als während der zehn Jahre des nationalsozialistischen Terrors das furchtbarste Martyrium unser Volk traf, hat sich die Stimme des Papstes zugunsten der Opfer erhoben.“ Er sei ein „großer Diener des Friedens“, schreibt die spätere israelische Premierministerin. Einige wollen ihn nun gar selig sprechen oder zu einem „Gerechten unter den Völkern“ machen, angesichts der großen Rettungsaktion und der Hilfen für Juden, die der Papst teilweise persönlich anordnete. Pius wird umstritten bleiben, aber Einseitigkeit im Urteil hilft eben nicht. 

So wie Pius XII. als „Hitlers Papst“ diskreditiert wurde, schicken sich einige nun an, von scheinbar sicherer Warte herab in dem amtierenden Kirchenoberhaupt so etwas wie „Putins Papst“ zu erkennen. Das ist auch diesmal gerade aus deutscher Perspektive betrachtet anmaßend und absurd. Das europäische Land, das sich auf das Engste auf Putin eingelassen hat, dessen politische und wirtschaftliche Eliten sich in die größte Abhängigkeit begeben hat, will nun Lehren erteilen, wie mit Russland umzugehen sei, das unter diesem auch vom Westen lange stark gemachten, bislang vielleicht größten Verbrecher des 21. Jahrhunderts doch gewiss auch selber leidet.  

Manche wünschen sich, dass nun auch der Papst Waffenlieferungen segnet

Der Papst hat den Erzbischof von Bologna, Kardinal Matteo Zuppi, zum Friedensgesandten ernannt. Dieser hat bereits in Kiew, in Moskau und auch in den USA Gespräche geführt. In diesen Tagen ist er aus Anlass des internationalen Friedenstreffens in Berlin. Aussichtslos sei seine Mission, ist am Rande der dreitägigen Veranstaltung in der deutschen Hauptstadt zu hören. Geradezu naiv oder blauäugig, sagen die moralischen Besserwisser. Manche wünschen sich, dass nun auch der Papst Waffenlieferungen an die Ukraine segnet, die doch sonst eben jenes Segnen in der Vergangenheit gebrandmarkt haben. Vielleicht sei die „Pendeldiplomatie“ sogar gefährlich, ist zu hören. Unterdessen haben weder Zuppi noch der Vatikan die Ambitionen so hoch gehängt. Keinesfalls wurden etwa westliche Waffenlieferungen als falsch bezeichnet. 

Aber es scheint nicht unwahrscheinlich, dass in einigen Jahrzehnten in irgendwelchen Archiven die Listen auftauchen von Kindern und Jugendlichen, die mit Hilfe von Kardinal Zuppi und dem Vatikan gerettet werden konnten. Es werden die Schicksale bekannt werden von entführten Kindern, kranken Kindern, hoffnungslosen Geschöpfen zwischen den Fronten der Weltgeschichte, gewiss vor allem die Geschichten von ukrainischen Kindern, die in die zynischen Fänge des russischen Regimes gerieten. Sie zu retten, ist immer und zu allen Zeiten wichtiger, als die Worte, die man sagt oder nicht sagt.  

Der Gründer von Sant’Egidio, der italienische Historiker Andrea Riccardi, hat bei seiner Eröffnungsrede in Berlin das Paradox dieser Friedensaktivismus erklärt. Keineswegs sei er von einer „pazifistischen Romantik inspiriert“. Aber doch von der Erfahrung, dass „die Menschheit nicht vom Krieg befreit werden“ könne, weder in der Ukraine, noch in Afrika und in so vielen anderen Teilen der Welt. Kriege und Gewaltkrisen nähmen zu, so Riccardi.

„Kriege sind wie Brände: Es gibt diejenigen, die sie in unverantwortlicher Weise entfachen, aber am Ende hat sie niemand unter Kontrolle, und sie entwickeln sich aus eigener Kraft und zerstören manchmal die Angreifer und die Angegriffenen, aber auch Drittländer.“ Den schamlosen Aggressoren sei das dann egal. Es sei also eine Illusion zu meinen, eine Seite könne schnell gewinnen, dann sei alles Leid vorbei. Frieden ist eben ein viel langfristigeres Projekt – und gewiss nicht nur ein militärisches.

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