Frankreich - Der Macronierer

Ob in China, gegen Putin oder bei der Rentenreform im eigenen Land: Emmanuel Macron hat oft den richtigen Ansatz, wird aber durch das jeweils gleiche Problem verhindert. Das Problem ist er selbst.

Macron schafft es nicht mehr, seine Landsleute für seine Ideen zu gewinnen / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Die Ukrainer haben, wie man hört, ein neues Verb: „macronieren“. Es bedeutet etwa so viel wie „reden, ohne viel zu sagen“. Damit meinen die Selenskyi-Berater unter anderem den Umstand, dass die französische Regierung schon viele Waffen bis zu Leclerc-Panzern liefern wollte, aber bis heute nicht dazu gekommen ist.

Auch in Peking „macronierte“ der französische Präsident an einer Pressekonferenz jüngst so lange, bis Gastgeber Xi Jinping das Gesicht verzog. Der russische Amtskollege Wladimir Putin ließ Macron bei den vielen Telefongesprächen, die der Franzose hoffnungsvoll initiiert hatte, ohne Wimpernzucken abblitzen.

Es wäre allerdings unfair, das Macronieren als Marotte des Namensgebers zu belächeln. Bei Macron lohnt es sich zuzuhören. Meist hat er Recht. Mit einem notorischen Lügner wie Putin in Kontakt zu bleiben, ist mitten im Krieg nie falsch. Und der Welt zu erklären, warum die Europäer gegenüber China andere Interessen verfolgen als die Amerikaner, ist im Taiwan-Konflikt von Bedeutung. Macron hat auch Argumente für die Erhöhung des Rentenalters in Frankreich von 62 auf 64 Jahre – steigende Kassendefizite und Lebenserwartung, dazu der europäische Vergleich.

„ChatGPT-Präsidenten“

Bloß schafft es Macron nicht, seine Landsleute für seine hehren Ideen und Projekte zu gewinnen. Mitte März trat er vors Fernsehpublikum, um ihm wieder einmal den Sinn der Rentenreform zu erklären. Das tat er einigermaßen verständlich – und doch war der Auftritt ein Desaster. Die Chefin der radikalen Gewerkschaft CGT, Sophie Binet, brachte es auf den Punkt, als sie Macron als „ChatGPT-Präsidenten“ bezeichnete. Anders gesagt, als Mann der künstlichen Intelligenz. Mit einem versöhnlichen, ausgleichenden, ja gefühlten Auftritt hätte er viele Zweifler umstimmen können. Allein, seine Argumente klingen technokratisch kalt, rechthaberisch – und brachten den Funken des Widerstands erst richtig zum Zünden: Tagelang gab es in der Folge nächtliche Krawalle mit zahllosen Verletzten.

Inzwischen hat der Verfassungshof Macron in der Sache Recht gegeben. Am Montag trat der Präsident erneut vor die Kameras. Diesmal wollte er es besser machen. Bemüht, einen Schlussstrich unter die Rentenreform zu ziehen, kündigte er „in 100 Tagen“ eine Reihe neuer Projekte an, vom Ausbau der Notfallstationen bis zur Bekämpfung der illegalen Immigration, als hätte jemand danach gefragt. Die „100 Tage“ sollten wohl an die gleichnamige Ära Napoleons erinnern. Die Linkspolitikerin Clémentine Autain erinnerte sarkastisch daran, dass die 100 Tage des Kaisers mit der Schlacht (und Niederlage) von Waterloo geendet hatten.

 

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So wirkt der vermeintliche Sieger des Rentenkonflikts wie ein Verlierer. Er hat eine notwenige Reform lanciert, ist aber unpopulär wie nie und vor allem politisch isoliert. Sogar langjährige „Macronisten“ wie Jacques Attali, Thierry Breton oder Daniel Cohn-Bendit sind auf Distanz gegangen. Wie alle Narzissten hat Macron nie daran gedacht, starke Sekundanten aufzubauen. Die Partei des Präsidenten, Renaissance genannt, ist nicht mehr als eine leere Hülle. In der Nationalversammlung hat sie seit letztem Jahr keine Mehrheit mehr. Macron, der Strahlemann und Glückspilz, dem der Einzug ins Elysée bei den Präsidentschaftswahlen 2017 quasi in den Schoß gefallen war, hat heute graue Schläfen, nichts will ihm mehr gelingen.

Seine Hauptfeindin, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, ist dagegen im Vormarsch. Während Macron bei den nächsten Elysée-Wahlen nicht mehr antreten kann, ist sie seit der Rentenreform die stille Favoritin. Ausgerechnet er, der flammende Europäer, muss sich fragen, ob er es nicht selber ist, der Le Pens Aufkommen – natürlich ungewollt – unterstützt, indem er landesweit Aversionen weckt. Seine Landsleute erinnern sich durchaus, wie ihnen Macron bei seiner ersten Wahl in Buchform eine „Révolution“ versprochen hatte. Einmal im Amt, verwandelte er sich aber, wenn man das Anagramm von „Macron“ benützt, in einen „Monarc“.

Der selbstgefällige, oft selbstherrliche Wahlmonarch („Ich mache, was ich will“) versteht nicht, warum seine Charme-Nummer nicht mehr zieht. Er hat doch gute Argumente, bisweilen sogar Überzeugungen, und zwar nicht nur von rechts, wie die Linke moniert: Nur der starke Staat habe Frankreich über die Covidzeit gebracht, erklärt er; Rassismus verabscheut er so aufrichtig wie jede Gewalt. „Pfannendeckel haben uns noch nie weitergebracht“, sagte er diese Woche den Reformgegnern, die ihn mit Lärmkaskaden übertönen wollen. Macron mag oft macronieren und lavieren, aber er glaubt an die Macht des zivilisierten Wortes, nicht der brachialen Pflastersteine.

Macrons Auswege scheinen allesamt verbaut

Politauguren wie Frédéric Dabi orten allerdings bereits die Stimmung eines „fin de règne“, eine Regimeendes. Le Pen sagt, Macron habe drei Möglichkeiten: Neuwahlen, eine Volksabstimmung über das Rentenalter 64 oder Rücktritt. Macron würde in jedem Fall verlieren. Er könnte auch noch seine Premierministerin auswechseln, doch damit entstünde nur der Eindruck, sie müsse für den Präsidenten den Kopf hinhalten. Denkbar wäre eine Allianz mit den Konservativen, um in der Nationalversammlung auf eine Regierungsmehrheit zu kommen. Die Republikaner wollen allerdings nicht.

Kurz: Macrons Auswege scheinen allesamt verbaut. Anders seine Gegner: Ihr hartnäckiger Straßenprotest geht weiter, am 1. Mai steht ein neuer Höhepunkt bevor. Im Juni will die kleine Mittefraktion Liot im Parlament zudem eine neue Rentendebatte durchsetzen. Ein Druckmittel werden vielleicht auch die Olympischen Spiele von Paris im Sommer 2024. Auf Twitter droht bereits ein Hashtag: „Kein Rückzug (der Reform), keine Spiele“. Macron ist sich der Gefahr bewusst, nachdem der britische König Charles III. seine Paris-Visite wegen der Rentenproteste verschoben hat. Der französische König, er, hält bis auf weiteres die Stellung.

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