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Erster Weltkrieg - Erinnert euch!

Jetzt jährt sich der Erste Weltkrieg wirklich zum hundertsen Mal. Er begann als Regionalkonflikt und auch darüber hinaus sind die Parallelen zur aktuellen Lage in der Ostukraine unheimlich. Doch warum erinnert in den Medien niemand an den tatsächlichen Kriegsbeginn?

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht, dass derzeit inflationär erinnert werde an den Krieg vor einhundert Jahren. Die Bestsellerlisten sind seit Monaten voll mit Erster Weltkrieg-Literatur, somit auch die Rezensionsseiten. Ein Gedenken könnte nun dem nächsten  folgen. Sarajevo, Juli-Krise, Kriegsausbruch, das liegt nun schon hinter uns. Schlieffen-Plan, Belgien-Durchmarsch, Kriegskredite sind in den kommenden Tagen dran, bis dann in zwei Jahren hoch und runter Verdun gedacht wird, in drei Jahren Brest-Litowsk und der Oktober- sowie in vier Jahren der November-Revolution.

Da fragen sich viele: Muss das wirklich alles sein? Haben wir nicht mehr als genug Kämpfe, Flammen und Flucht in der Gegenwart, die wichtiger sind für die aktuelle Berichterstattung? Die Zeitungen und Nachrichtensendungen scheinen damit längst überfrachtet: Bomben auf Gaza und Israel; Flüchtlingsströme aus Syrien; Bürgerkrieg in Libyen – und bei alledem der immer härter geführte Krieg in der Ukraine.

In Redaktionen wird daher schon abgewinkt. Zu diesem Heute bräuchten wir nicht auch noch ständig das furchtbare Gestern. Und die Planer dort haben durchaus gute Argumente, wenn sie auf die Themenmischung ihrer Blätter und Programme verweisen, die passen müsse. Es darf nie zu einseitig gewichtet sein. Wirken Blei und Tod überdosiert, schreckt das ab. Weltkriegsrückblicke taugen wohl tatsächlich nicht für Eskapismus. Sie bieten keine Abwechslung und können daher nicht die bunte Insel sein im blutigen Nachrichtenmeer.

Die Folge jedoch war eben erst überdeutlich sichtbar und zwar am 28. Juli. An diesem Montag fiel ein Gedenkthema fast überall in Deutschland weitgehend unter den Nachrichtentisch. Am 28. Juli 1914 hatte der Erste Weltkrieg begonnen. Doch nun, im großen Gedenkjahr 2014 und auf den Tag genau einhundert Jahre später, war das keine Meldung wert.

Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts
 

Gehört es vielleicht nicht zwangsläufig in die Zeitung oder die Fernsehnachrichten? Sondern in die Volkshochschule? Nein, es hätte in den Medien Thema sein sollen. Denn wohl nur wenige Deutsche wüssten die richtige Antwort, wenn sie auf der Straße die schlichte Frage gestellt bekämen: Wie genau begann der Erste Weltkrieg? Was exakt war am 28. Juli 1914 geschehen? Das Attentat von Sarajevo war ja schon einen Monat zuvor gewesen.

Zum Allgemeinwissen gehört, wie der Zweite Weltkrieg begann. „Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen…“ Dieser Propaganda-Satz aus Hitlers Kriegsrede gegen Polen ist weitgehend bekannt. Er zählt zur größten Lüge der Geschichte, die den Einmarsch in Polen rechtfertigen sollte. Immer wieder wird an einem 1. September in den Nachrichten daran erinnert, und gewiss wird das auch wieder in wenigen Wochen so sein, 75 Jahre danach.

Der Beginn des Ersten Weltkriegs erscheint dagegen weniger wichtig. Obwohl er doch landläufig als „die große Urkatastrophe dieses Jahrhunderts“ gilt, wie der berühmte Historiker und Diplomat George F. Kennan 1981 so prägend formulierte. Ohne diesen Ersten Weltkrieg mit all seinen Verwerfungen wäre es zu Hitler und dem Zweiten Weltkrieg wahrscheinlich nie gekommen.

Wie also begann nun dieser Große Krieg, wie er bis 1939 noch hieß? Er begann als ein Regional-Konflikt. Eben das hätte es gerechtfertigt, daran am Montag noch einmal zu erinnern. Denn die strukturellen Parallelen zum gegenwärtigen Regional-Konflikt in der Ost-Ukraine sind augenscheinlich.

Das Königreich Serbien war über Wochen von der Nachbar-Monarchie Österreich-Ungarn gedrängt worden, ein Untersuchungsteam ins Land zu lassen. Das sollte klären, wie es zu dem Attentat von Sarajevo gekommen war. Die Wiener warfen der serbischen Regierung eine Mitschuld am Mord ihres Thronfolgers vor. Sie forderten ultimativ von Serbien, sich vom Nationalismus der südslawischen Union loszusagen und anti-österreichische Propaganda zu unterlassen.

Regionales Hickhack
 

Serbien hatte auf das Ultimatum Österreich-Ungarns in letzter Minute reagiert – im Ton verbindlich, fast unterwürfig; aber in den wesentlichen Punkten unnachgiebig: Belgrad wollte die Wiener Experten nicht einreisen lassen. Und man vertraute dabei auf die benachbarte Großmacht Russland. Also keine Einigung. Am 28. Juli 1914 erklärte Österreich-Ungarn dem Königreich Serbien den Krieg.

Nun könnte man sagen, und mancher Historiker macht das auch: Der eigentliche Weltkrieg begann erst Anfang August mit den Mobilmachungen und Kriegserklärungen der Großen. Doch eben diese Unterscheidung zieht nachträglich Flammengräben, die damals fehlten.

Das mythologische Wort „Weltenbrand“, das schon in der isländischen Edda-Saga auftauchte, ist ein ziemlich treffendes Bild für das in Stunden und Tagen ausufernde Feuer namens Erster Weltkrieg. Wir sollten wissen, dass alles mit regionalem Hickhack begann, mit Schuldzuweisungen, Aufklärungsverweigerung, Hinhaltetaktik und feierlichen Friedensmahnungen.

Es mag stimmen, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Aber die Lehren daraus sollten gezogen und an die Ursprünge erinnert werden - auch hundert Jahre später noch und das in Aufmachern wie zur prime time.

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