Baerbock in China - Im Interesse der EU

Annalena Baerbock wird dafür kritisiert, gegenüber China eine „wertegeleitete Außenpolitik“ über die eigenen Interessen zu stellen. Dabei fallen, wenn es um den Konflikt um Taiwan geht, werte- und interessengeleitete Außenpolitik zusammen.  

Außenministerin Baerbock und ihr chinesischer Amtskollege Qin Gang bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Peking / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

So erreichen Sie Thomas Jäger:

Anzeige

Die Bundesregierung hatte sich vorgenommen, eine wertegeleitete Außenpolitik anzulegen. Immer wieder war in den vergangenen Jahren darüber gestritten worden, ob die deutsche Außenpolitik nicht eigentlich eher eine Außenwirtschaftspolitik sei. Und ob sich die Betonung von Menschenrechten nicht vor den wirtschaftlichen Interessen blamiere, ist eine Frage mit langer Tradition. Zum offenen Streit kam es beispielsweise gleich zu Beginn der Amtszeiten von Merkel, als sie den Dalai Lama empfing, worüber nicht nur China, sondern auch Außenminister Steinmeier schäumte. Des Empfangs wegen seien die deutsch-chinesischen Beziehungen jetzt in einer „schwierigen Phase“. Er nannte Merkels Vorgehen „Schaufensterpolitik für die schnelle Schlagzeile zu Hause“ und führte aus: „Man muss sehen, wie man das zerschlagene Porzellan wieder kitten und zu einem Normalmaß guter Kontakte kommen kann.“ Dass er sich dabei auf die Menschenrechtspolitik von Bundeskanzler Schröder bezog, ließ schon damals die eine oder andere Augenbraue nach oben schnellen. 

Ganz ähnliche Kritik muss sich derzeit Außenministerin Baerbock aus der SPD anhören. Noch während sie in China zu Besuch ist, versuchen Teile der SPD-Bundestagsfraktion, ihren Auftritt von Deutschland aus zu korrigieren. Stilfragen beiseite, hört es sich ganz ähnlich an, wenn über Baerbocks Vorgehen geurteilt wird. „Im Zentrum steht mehr die innenpolitische Symbolkraft getroffener Maßnahmen als eine weitsichtige Politik“, heißt es in einem Thesenpapier des Seeheimer Kreises. Die Betonung der Menschenrechte dürfe nicht zu Lasten des wirtschaftlichen Austauschs erfolgen, weshalb eine allzu konfrontative Haltung unangemessen sei. Dabei weist die Außenministerin selbst darauf hin, welch hohe Bedeutung der Handel und die Investitionen zwischen China und Deutschland haben, insbesondere, wenn sie auf die großen Gefahren eingeht, die aus dem militärischen Konflikt um Taiwan resultieren könnten. 

China will die Stellung der USA schwächen

Denn auch wenn Menschenrechts-, Außen- und Außenwirtschaftspolitik immer wieder in Zielkonflikte geraten können und eine ernste Diskussion über wertegeleitete Außenpolitik in Deutschland noch aussteht, so ist dies bei den Warnungen vor einem Krieg gegen Taiwan derzeit gerade nicht der Fall. So wie in der Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression werte- und interessengeleitete Außenpolitik deckungsgleich sind, ist es auch im Fall der Beziehungen zu China, wenn es um Taiwan geht. Wenn es um Taiwan geht, fallen werte- und interessengeleitete Außenpolitik zusammen.  

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

China strebt die Vereinigung mit der Insel an, um 2049 zum hundertsten Geburtstag der Volksrepublik die dominante Weltmacht zu sein. Um dies zu erreichen, muss China widerstreitende Ziele gleichzeitig verfolgen. Eines davon ist, die engen Beziehungen zwischen den USA und der EU zu zersetzen, indem die Autonomie der EU gefördert, die Weltpolitik der USA hingegen verdammt wird. Denn nur so können die USA international geschwächt werden. Nur so kann der intensive Handel mit den EU-Staaten aufrechterhalten bleiben, nur so können europäische Investitionen weiterhin so reichlich nach China fließen. Daran hat China, das seinen Aufstieg der liberalen internationalen Handelsordnung verdankt, großes Interesse. Die EU wiederum hat das Interesse, dass neben dem Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht noch ein Krieg Chinas gegen Taiwan geführt wird. Gemeinsame internationale Abschreckung soll dies erreichen. 

Die Weltwirtschaft wäre unter Schock, wenn China Taiwan angreift

Hierzu hat der französische Präsident Macron einen unglücklichen Beitrag geleistet, als der seine Chinareise mit den Einsichten beendete, dass die EU größere Eigenständigkeit anstreben müsste und sich dabei vom Konflikt um Taiwan nicht stören lassen sollte. Die EU sollte sich heraushalten „aus Krisen, die nicht die unseren sind“. Das ist zu Recht heftig kritisiert worden, denn die Annahme, dass ein Konflikt um Taiwan die EU nicht berühren würde, ist ziemlicher Unsinn. Nicht nur mit Blick auf die USA, die sich mehr Solidarität wünschen, da auch sie bei der Abwehr von Russlands Angriff engagiert sind. Und nicht nur mit Blick auf die deutschen und europäischen Interessen, Chinas demonstrierte militärische Gewaltbereitschaft gegenüber Taiwan gemeinsam mit den USA und pazifischen Staaten abzuschrecken. Sondern auch ganz unmittelbar. Durch die Straße von Taiwan wird ein Großteil des weltweiten Handels geführt, und aus Taiwan werden zwei Drittel aller Halbleiter in die Welt exportiert.

Kurz und knapp: Die Weltwirtschaft wäre unter Schock, wenn China Taiwan angreift. Der Schock würde die EU und Deutschland unmittelbar und heftig treffen. 

Diese Bedenken könnte China nutzen, um Druck zur Vereinigung mit Taiwan aufzubauen und internationale Unterstützung hierfür zu sichern. Deshalb gehört es zu einer Politik, die China von einer gewaltsamen Einnahme der Insel abschrecken möchte, ebenfalls die für China hohen Kosten aufzuzeigen. Macron hat dies unterlassen. Baerbock hat es formuliert. Dass sie dafür weniger diplomatische Zuneigung erfahren hat, ist der Preis dafür, die eigenen Interessen zu vertreten. Denn es liegt im deutschen Interesse, einen Krieg Chinas gegen Taiwan zu verhindern. Angesichts der Kenntnisse, dass Präsident Xi die Vereinigung notfalls gewaltsam erzwingen lassen will, erfordert dies eine internationale Koordinierung derjenigen Staaten, die China davon abschrecken möchten und können. Dass sich Deutschland nicht einfach heraushält, obwohl es nur wenig beitragen kann, wird die Position der EU mitprägen.

Anzeige