Wohnungsmangel - Wer baut, ist der Dumme

Die Spitzenverbände der deutschen Wohnungswirtschaft schlagen auf ihrem heutigen Wohnungsbautag Alarm: In Deutschland entstehen viel zu wenige neue Wohnungen. Kein Wunder, denn es lohnt sich nicht mehr. Klimavorgaben und Baubürokratie hemmen Investoren.

Die Probleme beim Wohnungsbau sind alle hausgemacht / Lennart Gäbel
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Hans Martin Esser ist Diplom-Ökonom und Publizist. Im März 2023 erscheint sein Buch „Polemik. Ein philosophischer Beipackzettel“.

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Als der Immobilienkonzern Vonovia Ende Januar klarstellte, für das laufende Jahr keine Neubauprojekte in Angriff zu nehmen, gab es unterschiedliche Reaktionen. Einerseits wurden die Renditeziele des Konzerns kritisiert, dessen Aktionäre Gewinnausschüttungen erwarten. Andererseits beruhigten sich einige Betrachter damit, dass es zurzeit eine vorübergehende Ausnahmesituation mit gestiegenen Zinsen und zusätzlich hoher Inflation am Bau infolge von Lieferengpässen und Fachkräftemangel gebe. Vonovias Vorstandsmitglied Daniel Riedl gab der Westfalenpost ein Interview zu den Gründen des Neuprojektierungsstopps 2023. Kritisch äußerte er sich auch über die hohen gesetzlichen Anforderungen an Neubauten. Zwar sagte Riedl, man stehe parat, Projekte zu realisieren, sobald das Umfeld wieder günstiger sei.

Dennoch, so ist zu ergänzen, werden in Deutschland die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele von 400 000 Neubauwohnungen pro Jahr deutlich verfehlt. Ein Versäumnis im Wohnungsbau, das sich kumuliert und in Anbetracht von zusätzlichen Ukraineflüchtlingen umso schwerer wiegt. Öffentlich ging dies weitgehend unter, obwohl die Tragweite immens ist. Selbst in unattraktiven Lagen sind auch im Fall standardisierten Bauens die notwendigen Quadratmeterkaltmieten längst flächendeckend im zweistelligen Eurobereich angesiedelt – und damit jenseits des Erreichbaren.

Nur noch Fachkräfte können es sich leisten

Anfang Februar legte das Wohnungsbauministerium Nordrhein-Westfalens neue Zahlen für den sozialen Wohnungsbau vor. Auf ohnehin schon sehr niedrigem Niveau war 2022 die Zahl der Neubauten gegenüber dem Vorjahr in Nordrhein-Westfalen um rund 25 Prozent eingebrochen. In Anbetracht der größten Wohnungsknappheit seit den 1990er Jahren, als aus Osteuropa und den neuen Bundesländern sowie infolge des Jugoslawienkriegs besonders in westdeutschen Regionen Handlungsbedarf entstanden war, ist jedoch in diesem Jahrzehnt mit einer schnellen Beruhigung der Wohnsituation kaum zu rechnen, eher im Gegenteil sogar mit einer weiteren Verschärfung.

Die im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbarten strengeren Standards für Neubauten erlauben kein günstiges Bauen mehr. Eingedenk der Tatsache, dass sich Investments in Immobilien über Jahrzehnte rechnen müssen, erscheint gerade die ungünstige Demografie Deutschlands als fast unüberwindbare Hypothek. Wenn vom Jahr 2030 an die Babyboomer in Rente gehen werden, wechseln sie als oft Hochproduktive von der Position der Nettosteuer- und Beitragszahler in eine kaum verdaubare Empfängerposition. Die von ihnen angesammelten Rentenansprüche lasten auf den Schultern der jungen Generationen. Fachkräftemangel beschreibt allerdings heute bereits die Probleme, Positionen adäquat zu besetzen. Der Wegzug von rund 200 000 Hochqualifizierten jährlich, die Deutschland verlassen, verschärft das Problem.

Im Grunde können Mieten von flächendeckend weit mehr als 14 Euro pro Quadratmeter, wie im Neubau längst nötig, nur von hochproduktiven Beschäftigten bezahlt werden. Investoren in den Wohnungsbau müssen Planungssicherheit haben, auch über die erwarteten Einnahmen und die Produktivitätsentwicklung der Bevölkerung. Nichtfachkräfte erwirtschaften jedoch nicht einmal ihre eigenen Mieten, erst recht nicht im klimaneutralen Hochpreissegment.

Die Politik verschärft das Problem noch

Wer im Jahr 2023 die Planung eines Mehrfamilienhauses beginnt, kann von einer Fertigstellung nicht vor 2027 ausgehen. Allein die Verweildauer beim Bauamt nimmt den Hauptteil der Zeit in Anspruch, oft mit erheblichen Komplikationen und Verteuerungen des Investments verbunden, bevor der erste Spatenstich erfolgt.

Ferner sind die Auflagen auf höchste energetische Standards festgesetzt worden. Während man in den 1990er Jahren die Engpässe am Wohnungsmarkt schnell in den Griff bekam, indem Freiflächen in den Städten und Stadtrandgebieten mit Häusern, die der heutigen Energieeffizienzkategorie C bis D entsprechen, bebaut wurden, ist eine solche Vorgehensweise politisch nicht mehr erwünscht.

 

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Dass jetzt flankierend zwei weitere politische Initiativen von EU-Parlament und Bundesregierung zeitgleich noch einen erheblichen Teil der 41 Millionen Bestandswohnungen im Lande zur Sanierung drängen – einerseits der vom Europäischen Parlament geforderte Zwang, sämtliche Immobilien bis 2033 in die mittlere Effizienzkategorie D aufwendig zu modernisieren, andererseits das im Bundeswirtschaftsministerium gewünschte Aus für den Einbau fossiler Heizthermen zum Jahr 2024 –, verfestigt das Fachkräfteproblem auf zehn Jahre. Es wird dann die Logik des Bieterwettbewerbs um Baufacharbeiter gelten, was sowohl Sanierung als auch Neubau weiterhin belasten wird.

Energieeffizientes Bauen lohnt sich nicht

Die Baustandards sind seit 1990 kontinuierlich gestiegen. Während bei Neubauten von Mitte der 1990er Jahre noch rund 110 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter beim Energieverbrauch erlaubt waren, was Quadratmeterpreisen (in schlechten Wohnlagen) von rund vier bis fünf Euro Kostenmiete entsprach, wurden während der 2000er Jahre die energetischen Anforderungen auf rund 70 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter verschärft, was Kostenmieten von rund 6 bis 6,50 Euro zur Folge hatte. Klimaneutralität im Hausbau hat extrem steigende Grenzkosten, je effizienter eine Immobilie werden soll. 

Während die Inflation des standardisierten Warenkorbs von 2010 bis 2020 bei insgesamt rund 20 Prozent über das komplette Jahrzehnt lag, erhöhten sich Baukosten wesentlich rascher. Bereits vor dem Ausbruch von Covid-19 waren Neubauten so teuer, dass allein das Segment der Luxuseigentumswohnungen im Bestand stark anstieg.

Das Argument, man spare durch höchste Energieeffizienzstandards die variablen Kosten fürs Heizen, war spätestens seit Mitte der 2000er Jahre falsch. Ein Sechsparteienhaus mit Gasheizung Baujahr 2004 und heutiger Effizienzklasse B oder C (rund 70 Kilowattstunden pro Jahr und Quadratmeter) konnte mit monatlichen Abschlägen von unter 60 Cent pro Quadratmeter beheizt werden und wird heute immer noch mit unter 1,50 Euro pro Quadratmeter auf die gleiche Temperatur erwärmt. Die Baukosten pro Quadratmeter sind aber um einige Euro pro Quadratmeter von 2004 bis 2020 angeschwollen, haben sich ungefähr verdoppelt. Hinzu kommen immer noch die variablen Heizkosten.

Das Kapital geht woanders hin

Inzwischen ist die Grenze der Nichtrentabilität überschritten worden; Bauherren stellen Projekte ein. Man kann hier bereits ein Ende der Machbarkeit von Klimaneutralität in der Immobilienwirtschaft sehen. Die Investoren stoppen den Kapitalzufluss und leiten ihre Investitionen in andere Branchen und Kontinente.

Gemäß einer Berechnung der Unternehmensberatung Ernst & Young kostet der klimaneutrale Umbau des deutschen Immobilienbestands rund drei Billionen Euro, was fast der Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres entspräche. Dabei wird der Kapitalstock aber nicht wirklich erweitert. Wohnen kann man auch, indem man fossile Brennstoffe zum Heizen nutzt. Wo liegt also der Mehrwert für Mieter in der Nutzung? Durch Ordnungsrecht versuchen EU-Parlament und Bundeskabinett marktwirtschaftliche Bewertungskategorien wie mangelnden Mehrwert auszuklammern.

Dass politische Zielvorgaben von 400 000 zusätzlichen Wohnungen heute trotz vorhandener Nachfrage am Markt nicht mehr erreicht werden – im Gegensatz zu den 1970er Jahren, die übrigens ein Zinsniveau von weit mehr als 4 Prozent kannten, oft mehr als 10 Prozent bei Immobilienkrediten –, weist darauf hin, dass die Summen für die angestrebte Klimaneutralität des Landes nicht mehr durch Investoren bereitgestellt werden. Baukosten und erwartete Mieteinnahmen klaffen zu weit auseinander.

Alles wird verboten

Wenn sich klimaneutrales Bauen allein auf Niedrigstzinsen stützt und ein Anstieg auf 3 bis 4 Prozent das Geschäft zum Erliegen bringt, kann das Modell als morsch gelten. Lieferketten waren 2021 bis 2022 ein Problem und sind es heute nicht mehr.
In Anbetracht der Überalterung großer Bevölkerungsteile und eines vergleichsweise geringer qualifizierten Nachwuchses entstehen Finanzierungsvorbehalte. Investoren rechnen nicht mehr damit, dass Mieten von Mietern in der notwendigen Höhe gezahlt werden können. Der Sozialstaat kann auch nicht all­umfassend einspringen, ohne sich zu übernehmen, auch nicht in Form von Bausubventionen.

Zu erratisch wurden zudem Technologien erst angepriesen und dann verworfen. Im Fall der Holzpelletheizung gilt inzwischen Feinstaub als möglicher Verbotsgrund, bei Gas wird die bekannte Mangellage zum Hemmnis. Kohle und Öl sind als Heizungstechniken zu klimaschädigend, Atomstrom zum Wärmepumpenbetrieb politisch unerwünscht, Wind und Sonne haben Launen, und für Wasserstoff fehlt die Infrastruktur. Bei allen Heizungsarten ist also mit Behördenvorbehalten und Verzögerungen zu rechnen.

Die Ausweitung von Naturschutz- und Windanlagengebieten geht aufgrund der faktischen Nichtvermehrbarkeit des Faktors Boden mit Verknappung von Bauland und einem weiteren Preisanstieg bei Grundstücken einher, was Neubauten weiter verteuern wird. Verdichtung treibt auch hier die Preise. 

Der Wohnungsbauknick

Standardisierte Baustoffe aus großen Modulwerken im Wohnungsbau mögen zwar Klimaziele etwas preissparender erreichen. Man kennt aber dergleichen noch unter den Begriffen Plattenbau, Banlieue, Brutalismus, Wohnregal und Trabantenstadt. Soziale Unruhen entzünden sich traditionell in solchen Siedlungen. Investments in perspektivlose Hässlichimmobilien erscheinen unattraktiv.

Als Bauherren kommen überdies für Mehrfamilienhäuser neben Wohnungsbaukonzernen nur wenige Akteure in Betracht. Fachkenntnis durch Erfahrung in der Branche, Risikobereitschaft, Frustrationstoleranz, unternehmerische Findigkeit sowie das nötige Eigenkapital (bei einem Mehrfamilienhaus mindestens eine Million Euro) müssen vorhanden sein. Außerdem braucht es die Bereitschaft, sich mit seinem Investment auf ein Land festzulegen, denn nichts anderes heißt Immobilie.
Diskussionen über Mietendeckel, Enteignung, Einführung neuer Substanzsteuern und Beschneidung von Verträgen sowie Kappungsgrenzen fördern kein Klima, in dem große Mittel aufgetrieben werden, um ein Ziel zu erreichen, das dem Kunden (Mieter) keinen Mehrwert bietet.

Staatlichen Bauherren hingegen fehlt es an Unternehmertum und Risikobereitschaft. Sie sind bereits heute wesentlicher Teil des Problems und werden nichts lösen. Erinnert sei an die Hamburger Elbphilharmonie, den Berliner Flughafen BER und den Tiefbahnhof Stuttgart 21: sprichwörtlich gewordene Ineffizienzprojekte.
So erlebt Deutschland Jahrzehnte nach dem Pillenknick den Wohnungsbauknick. Die mangelnde Bereitschaft von Investoren, Geschäftsmodelle an die Klimaneutralität zu binden, kann als Anfang vom Ende des Vorhabens gesehen werden – Renditeziele schlagen im Konfliktfall Klimaziele.

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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