Trumpf-Chefin im Gespräch - „Dieser Staat lähmt uns Unternehmer“

Nicola Leibinger-Kammüller führt den schwäbischen Maschinenbaukonzern Trumpf seit 18 Jahren. Im ausführlichen Interview erklärt sie, was ihr im heutigen Deutschland fehlt: Wille zur Leistung und Mut zur Freiheit.

Nicola Leibinger-Kammüller / Foto: Verena Müller
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Nicola Leibinger-Kammüller ist Vorstandsvorsitzende des Maschinenbauunternehmens Trumpf mit Sitz in Ditzingen bei Stuttgart. Sie studierte Germanistik, Anglistik und Japanologie in Freiburg, Vermont und Zürich. Ihr Vater übergab ihr die Führung des weltweit tätigen Familienunternehmens 2005.

Frau Leibinger-Kammüller, die Ampelkoalition wollte einen radikalen Umbau der deutschen Industrie zur Klimaneutralität, stößt aber zunehmend auf Probleme und Widerstand. Was halten Sie als politisch denkende Unternehmerin von der Idee, dass der Staat so stark in die Wirtschaft eingreift?

Der Versuch eines radikalen Umbaus in so kurzer Zeit ist ein Fehler. Er kann nicht gelingen, ohne dass wir die Innovationsfähigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit, den sozialen Frieden im Land gefährden. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, neu nachzudenken. 

Worüber müsste man neu nachdenken? 

Wir müssen priorisieren. Was können wir uns leisten? Und was können wir uns nicht leisten? Ich bin nicht grundsätzlich für ein striktes Einhalten der Schuldenbremse. Es kann gute Gründe geben, sie für gewisse Dinge zu lockern. Aber man muss dergleichen restriktiv handhaben und zeitlich begrenzen. Und man muss, so wie es auch ein guter Unternehmer machen würde, alle Ausgaben durchgehen: Was geht? Was geht nicht? Wo müssen wir streichen?

Dass Sie die Schuldenbremse lockern wollen, verwundert uns. Wir dachten, Sie kämpfen eisern für das Prinzip der schwäbischen Hausfrau, die mit dem auszukommen versteht, was vorhanden ist.

Wenn die schwäbische Hausfrau erkennt, dass es zum Dach reinregnet, kann sie kein neues Sofa kaufen. Sie sagt sich: Der alte Kühlschrank tut es auch noch, und jetzt gibt es erst mal keine Sauna im Keller. Aber das Dach müssen wir reparieren. Und wenn das Dach ist, dass wir massiv in Digitalisierung, Straßen, Brücken, Schulen, Bundeswehr investieren müssen, dann kann es temporär richtig sein, Schulden aufzunehmen. Das findet auch die schwäbische Hausfrau löblich.

Aber wir machen Schulden, damit wir uns Sofa, Sauna und Dach leisten können. 

Deshalb habe ich die Priorisierung betont. In unserer Firma haben wir in Krisenzeiten an allem gespart. Es stand kein Blumenstrauß mehr auf meinem Tisch. Ich habe mein Auto zur Verfügung gestellt, zum Carsharing. Aber wir haben nie, selbst in den schlimmsten Krisen nicht, an Forschung und Entwicklung gespart. Weil wir wussten: Wenn wir beides stoppen, haben wir in Zukunft nicht mehr die richtigen Produkte.

Der deutsche Staat will zehn Milliarden Euro für eine Chipfabrik in Magdeburg ausgeben. Ist das sinnvoll investiert?

Nein. Das sind künstliche Anreize. Wir müssen uns die Frage stellen, warum diese Unternehmen nur kommen, wenn sie massiv subventioniert werden. Die Antwort ist: Weil andere Länder Steuervorteile gewähren und die Bedingungen im eigenen Land nicht gut genug sind. Die Infrastruktur ist veraltet, die Genehmigungsverfahren dauern viel zu lange, die Bürokratie erstickt unternehmerischen Geist. Das sind die eigentlichen Ursachen, daran müssen wir etwas ändern. Mit Subventionen lassen sich diese Probleme nicht lösen.

Aber andere Länder, ob USA oder Frankreich, machen doch auch massive Industriepolitik. 

Das haben die Amerikaner schon immer gemacht und die Franzosen auch – aus ihrem zentralistischen Denken heraus. Wir sind als Volkswirtschaft aber vollkommen anders strukturiert, haben Zehntausende mittelständische Familienbetriebe und könnten uns eher die Schweiz zum Vorbild nehmen: niedrige Steuern, kaum Subventionen. Das ist der bessere, freiere Ansatz. Der Staat sollte sagen: Ja, wir unterstützen die Schwachen, das machen die Schweizer auch. Aber ansonsten lassen wir euch die Freiheit zu gestalten. Ihr zahlt weniger Steuern, dafür bekommt ihr weniger Zuschüsse.
 

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Kommen wir auf das Haus mit dem kaputten Dach zurück. Wie wollen Sie es reparieren? Wofür sollte Deutschland jetzt Geld ausgeben?

Es geht nicht nur darum, Geld auszugeben. Natürlich müssen wir in die Digitalisierung des Landes investieren. Damit die Bürger schnell ihre Personalausweise und ihre Kfz-Zulassungen bekommen, damit auch im Wirtschaftsleben alle Dinge schneller und einfacher funktionieren. Vor allem müssen wir aber daran arbeiten, die Bürokratie abzubauen, anstatt zusätzlich neue zu schaffen, etwa bei den Lieferketten oder Werkstoffen. Dies lähmt uns Unternehmer. Oder in der Forschung: Hören Sie sich mal an den Universitäten um, welche Auflagen dort inzwischen befolgt werden müssen, wie aufwendig es ist, Förderanträge zu stellen. Die Forschungsfreiheit ist auch dadurch geknebelt.

Geredet wird über Bürokratieabbau viel, aber es geschieht das Gegenteil. Was braucht es, damit er gelingt?

Vertrauen, das ist das Wichtigste. Vertrauen in die Bürger und Unternehmen, dass die allermeisten ihre Sache gut machen und in Freiheit vieles entwickeln. Aber in diesem Land herrscht mittlerweile ein Regulierungswahn, der Ausdruck eines tiefsitzenden Misstrauens in den Einzelnen ist, und damit eines schleichenden Wandels hin zur Staatsgläubigkeit. Man geht davon aus, dass die Bürger von allein nicht die richtigen Akzente setzen oder schlimmstenfalls sogar betrügen wollen. Dem versucht man durch immer mehr Gesetze und immer kompliziertere Regeln zu begegnen. So verstricken wir uns in Paragrafen und verlieren an Geschwindigkeit. 

Vielleicht sind die Deutschen einfach nicht so freiheitsliebend. 

Wir Schwaben sind es jedenfalls. Wir sind mutig, denken unternehmerisch. Und dass es diesen Freiheitswillen nicht nur bei uns im Südwesten gibt, sehen Sie aktuell auch an den bundesweiten Bauernprotesten. Ich glaube, da geht es nicht nur um den Agrardiesel. Es geht um einen übergriffigen Staat, der seine Bürger, die sich mühen, die etwas leisten wollen, immer weiter mit Vorgaben gängelt. 

Trumpf-Stammsitz in Ditzingen / Foto: Verena Müller

Stichwort Leistungsbereitschaft. Sie haben sich vehement gegen die Viertagewoche ausgesprochen. Wären kürzere Arbeitszeiten wirklich das Ende der deutschen Industrie? 

Die 32-Stunden-Woche wäre nicht das Ende. Aber sie würde bei vollem Lohnausgleich und inmitten des Fachkräftemangels die Produktivität schwächen und es Unternehmen noch schwerer machen, hier am Standort zu bleiben. Dann werden auch wir als Firma noch stärker in den USA, in China, in Polen investieren. Wir haben eine fantastische Elektroniksparte in Polen mit knapp 1600 Mitarbeitern. Die sind mit Elan und Verve bei der Sache. Die wollen ihr Land vorwärtsbringen und sind stolz auf das, was sie leisten. Diese Freude, sich anzustrengen, ist uns in Deutschland zumindest in Teilen der Gesellschaft irgendwie abhandengekommen. Gerade in der jüngeren Generation.

Ging es uns zu lange zu gut? 

Ich wehre mich gegen diesen Satz. Eine soziale Marktwirtschaft sollte alles dafür tun, dass es vielen Menschen und immer noch mehr Menschen gut geht. Das muss unser Ziel sein. Aber vielleicht ist uns dieser Kampfgeist früherer Jahrzehnte nicht mehr geläufig. Dieses: Dafür muss man etwas tun, und es kann sogar Freude machen. 

Was sagen denn Ihre Kinder dazu? 

Natürlich stellen auch sie unser Leistungsethos bisweilen infrage und sagen: „Mama, du schaffst dich kaputt. Du musst auch mal Abstand nehmen zur Firma.“ Aber ich bin nun mal vorne dran. Wir haben fast 19.000 Mitarbeiter. Da kann ich nicht Abstand nehmen. Da gibt es eine erfüllende Verantwortung. 

Sie tragen diese Verantwortung seit 18 Jahren. Ihr Familienunternehmen feierte vergangenes Jahr 100. Jubiläum. Woraus schöpfen Sie die Zuversicht, dass es hier am Standort trotz aller Probleme gut weitergeht? 

Das liegt an den Menschen. Es gibt fantastische Mitarbeiter, mit denen man etwas bewegen kann, die fleißig sind und gut ausgebildet und die so denken wie wir. Man muss sie nur finden, motivieren und halten. Außerdem bin ich gläubig und grundoptimistisch. Ich denke immer: Uns wird schon etwas einfallen, wir werden Wege finden. Vielleicht schlägt das Pendel auch mal wieder zurück. Vielleicht finden mehr Menschen wieder mehr Freude an der Arbeit und merken, dass diese eine große Befriedigung sein kann. Und ich denke: Es lohnt sich, für dieses Land zu kämpfen. Wir haben doch eigentlich alles, was es braucht, um es gut zu gestalten. Oder mit dem Schwaben Schiller gesprochen: Wir könnten viel, wenn wir wirklich zusammenstünden.

Trumpf ist auch in China aktiv. Sie verkaufen dort Maschinen für die aufstrebende Automobilindustrie. Politisch werden die Geschäfte der deutschen Industrie in der Volksrepublik zunehmend kritisch gesehen.

Wenn wir nur noch Geschäfte mit Freunden machen würden, könnten wir dichtmachen. China ist ein Riesenmarkt. Es gibt dort erstklassige Ingenieure, die viel arbeiten, die etwas werden wollen. Ohne China kann es auch keinen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz geben, idealerweise mit deutscher Technologie. Natürlich unterstützt der chinesische Staat seine heimischen Unternehmen massiv. Der freie Wettbewerb ist in keiner Weise gewährleistet. Wir haben es dort sehr schwer. Aber wir müssen in der Höhle des Löwen präsent sein, weil wir hier hohe Margen etwa mit Lasern oder der Elektronik erwirtschaften. Sonst können wir uns den teuren Standort Deutschland nicht mehr leisten. 

Im Westen gab es die Idee: Wandel durch Handel; dass wachsender Wohlstand zu Freiheit und Demokratie führt. Aber China ist immer noch eine Diktatur. Waren wir naiv? 

Ich glaube an diese Idee. Keine Diktatur der Welt hält sich ewig. Die Chinesen kommen aus dem materiellen Elend. Natürlich wurden sie durch dieses Wohlstandsversprechen erst mal satt gehalten, aber jetzt bröckelt es. Sie haben eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, die 30 Prozent beträgt und schon gar nicht mehr gemessen wird. Wenn nun noch die Immobilienblase platzt, ist der Teufel los. Ich weiß nicht, ob es implodiert oder explodiert. Aber auf lange Sicht kann man kein Volk kleinhalten. Das ist mein unerschütterlicher Glaube an die Überlegenheit freier Gesellschaften. 

Wie erleben Sie die politische Stimmung, wenn Sie dort sind? 

Politik ist kein Thema, darüber wird nicht gesprochen. Die Mitarbeiter kommen morgens zur Arbeit, wollen entwickeln und uns zeigen, dass sie das schneller können als die Kollegen in Ditzingen. Deshalb ist Folgendes für die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes entscheidend: Wir müssen den innovativen Vorsprung wahren. Das ist unsere einzige Chance als Nation, global mitzuhalten. 

Wo sehen Sie die Zukunftschancen in Deutschland? Die Autoindustrie hat Probleme, die Chemieindustrie hat Probleme. Das dritte wichtige Standbein ist Ihre Branche, der Maschinenbau. 

Wir haben Ideen. Wenn uns aus Brüssel und Berlin nicht noch mehr Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, werden wir reüssieren. Und geben Sie die Automobilbranche nicht zu früh auf. Die starken deutschen Unternehmen werden das hinbekommen. Fraglos werden sie Federn lassen müssen, aber sie werden nicht verschwinden.

Nicola Leibinger-Kammüller / Foto: Verena Müller

Halten Sie das europäische Verbrennerverbot für richtig? 

Nein. Das Verbot ist mit Blick auf die über Jahrzehnte aufgebauten Wertschöpfungsverbünde wirtschaftlich so wenig sinnvoll, wie die Kernenergie zu verbieten, während wir Atomstrom importieren und unsere europäischen Partner wie Frankreich hier verstärkt investieren. Man muss die Balance halten und den Verbrenner so lange erlauben, bis wir andere Technologien auf dem Niveau haben, dass wir wettbewerbsfähig sind. Zumal der Verbrennungsmotor, so wie wir ihn perfektioniert haben, Stand heute, das Sauberste ist, was unter Einbeziehung aller Faktoren existiert.

Wenn Sie nach Berlin schauen: Woran hapert es in der Politik? Warum läuft es dort nicht rund?

Wie wäre es mit mehr Sachverstand und Pragmatismus, dem Betrachten der Wirklichkeit, die der Anfang aller Politik sein sollte? Bei dieser Regierung drängt sich der Eindruck auf, dass nicht das Verständnis der Märkte und der Bedürfnisse der arbeitenden Menschen im Vordergrund steht, sondern Parteiprogrammatik. Zudem wäre es förderlich, wenn dort Fachleute tätig wären, die vielleicht einmal ein Unternehmen geführt haben oder in der Unternehmensberatung waren. 

Würden Sie ein Jobangebot als Wirtschaftsministerin annehmen?

Nein, aber nicht wegen des geringeren Verdiensts. Mein Problem wäre vor allem: Man kann Dinge nicht mit derselben Entschlossenheit umsetzen wie im Unternehmen. Alles ist zäher, es gibt eine Lehmschicht nach unten. Aber die Parteien wollen Quereinsteiger, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auch nicht. In Amerika geht das viel besser. Da kommen Leute, die waren Topanwälte oder haben Betriebe geführt, und sagen dann: Für mein Land gehe ich jetzt in die Politik und versuche zumindest mal durchzugreifen. 

Damit muss in Deutschland ja mal jemand anfangen.

Olaf Scholz könnte es machen. Er könnte ein neues Kabinett zusammenstellen, das mutige Reformen angeht, ohne die Bürger aus den Augen zu verlieren. Sein Vorbild müsste Gerhard Schröder sein, der letzte Bundeskanzler, der sich in der Wirtschafts- und Sozialpolitik von parteipolitischen Zwängen befreite. Ein neues Team ohne Proporz, die besten Berater, Profis aus Unternehmen, die hervorragend laufen. Der Kanzler könnte sagen: Wir konzentrieren uns auf vier, fünf wesentliche Themen, und jetzt marschieren wir los.

Aber wahrscheinlich ist das alles in der Politik nicht, oder? 

Ich spreche natürlich aus der Eigentümerperspektive, als Chefin. Wir haben als Vorstand immer das gemeinsame Ziel vor Augen, dass die Stärke der Firma erhalten werden muss, anstatt sie durch überbordende Vorgaben oder gar Ideologie zu schwächen. Das ist zugegebenermaßen viel einfacher als in der Politik. Aber trotzdem muss dieser Geist in Deutschland endlich zum Durchbruch kommen, bevor es zu spät ist. Jetzt, ich wiederhole mich, ist die Zeit gekommen, um innezuhalten und zu sagen: So geht es nicht weiter.

Das Gespräch führten Daniel Gräber und Volker Resing. 

 

 

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