Sanktionen gegen Russland: Öl-Embargo und -preisdeckel - „Das ist ein Experiment, das es so noch nie gegeben hat“

Die Europäische Union hat gemeinsam mit den G7 neue Sanktionen gegen Russland verhängt. Wie Öl-Embargo und Preisdeckel funktionieren, welche Folgen zu erwarten sind und woher Europa nun stattdessen Erdöl beziehen könnte, erklärt Rohstoff-Analyst Carsten Fritsch im Interview.

Förderpumpen auf dem russischen Ölfeld Yamashinskoye / dpa
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Robert Horvath hat Biochemie und Kommunikations-wissenschaften studiert. Derzeit absolviert er ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Carsten Fritsch ist Rohstoff-Analyst der Commerzbank. Sein Schwerpunkt liegt auf den Märkten für Rohöl und Ölprodukte.

Herr Fritsch, können Sie kurz erklären, was es mit den neuen Sanktionen gegen Russland auf sich hat? Beginnen wir mit dem Öl-Embargo.

Seit Montag kauft die Europäische Union kein Rohöl mehr aus Russland. Das betrifft hauptsächlich Erdöl, das mit Tankern über den Seeweg transportiert wird. Bei Ländern wie Ungarn, Tschechien und der Slowakei, die keinen direkten Meerzugang haben, wird eine Ausnahme gemacht. Diese drei Länder erhalten weiterhin russisches Öl über die Druschba-Pipeline, weil sie keine andere Möglichkeit haben an den Rohstoff zu kommen. Für Deutschland und Polen wären diese Ausnahmen auch denkbar gewesen, doch beide Staaten haben freiwillig darauf verzichtet. Bereits im Juni hat man sich auf das Embargo verständigt. Ab fünften Februar 2023 wird das Handelsverbot zusätzlich auf Ölprodukte ausgeweitet.

Was ist der Sinn dieser Sanktionen?

Der Hintergrund ist der, dass man versucht, die Einnahmen Russlands aus dem Verkauf von Erdöl massiv zu reduzieren. Damit will man Putin daran hindern, den Krieg in der Ukraine fortzuführen.

Warum hat man sechs Monate vom Beschluss zur Umsetzung verstreichen lassen? Zur eigenen Vorbereitung?

Genau. In der Zeit sollten entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Abnehmer russischen Öls hatten somit Zeit, sich alternative Lieferanten zu suchen.

Konnte diese Zeit sinnvoll genutzt werden?

Carsten Fritsch

Zumindest bis Oktober ist Reduzierung beim Einkauf russischen Öls nicht wirklich gelungen. Laut Zahlen der International Energy Agency (IEA) sind die Ölimporte aus Russland zwar im Vergleich zum Jahresbeginn zurückgegangen. Aber nicht so stark, wie man das möglicherweise hätte erwarten können, so kurz vor Beginn des Embargos. Ob die Umstellung jetzt so schnell und reibungslos gelingt, wie manche hoffen, wird man abwarten müssen.

Woher bekommen die Mitgliedsländer der EU Ersatz für den fehlenden Rohstoff?

Das Öl kann aus dem Mittleren Osten kommen: Saudi-Arabien, Irak, den Vereinigten Arabischen Emiraten. Aber auch Kasachstan, Aserbaidschan und Länder in Nord- und Westafrika oder Nordamerika kommen in Frage. Vor allem die USA sind hier ein möglicher Kandidat. Aber ob es gelingt die Menge zeitnah eins zu eins zu ersetzen, wird sich zeigen.

Könnte Deutschland notfalls auf die eigenen Ölreserven zurückgreifen?

Das würde nur vorübergehend helfen. Die Reserven wären bei einem zu überbrückenden täglichen Importbedarf von einer Millionen Barrel nach neun Monaten aufgebraucht.

 

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Kommen wir zum Ölpreisdeckel.

Hier geht es darum, es für Russland schwierig zu machen, alternative Abnehmer für die wegfallenden Mengen aus der EU zu finden. Die Europäische Union hat den Preis für russisches Öl gemeinsam mit den G7 auf 60 Dollar (57 Euro) pro Barrel (159 Liter) gedeckelt. Bleibt der russische Erdölpreis unter den 60 Dollar, dann ändert sich nichts. Steigt der Preis aber über die 60 Dollar, dann sieht das ganz anders aus. Dann dürfen sich europäische Versicherer, andere Finanzdienstleister und Reedereien nicht mehr am Transport der Ladung beteiligen. Dazu muss man wissen, dass für den Transport vielfach auf Reedereien und Versicherer aus Europa zurückgegriffen wird. Das heißt, wenn Russland das Öl zu mehr als 60 Dollar verkauft, werden die Transportoptionen für ebendieses Erdöl erheblich eingeschränkt, weil dann nicht mehr auf die europäische und besonders griechische Tankerflotte zurückgegriffen werden kann.

Aber andere Staaten können prinzipiell weiterhin russisches Erdöl kaufen? Auch, wenn der Preis für Putins Öl über 60 Dollar liegt?

Viele Staaten außerhalb der EU und der G7 haben sich nicht den westlichen Sanktionen angeschlossen. China, Indien und die Türkei haben beispielsweise schon recht früh deutlich mehr Öl aus Russland abgenommen und sind da gewissermaßen in die Bresche gesprungen, um die Lücke zu füllen, die durch den Wegfall der Käufe im Westen entstanden ist. Und wir dürfen nicht vergessen, dass das im Vergleich zu anderen Sorten deutlich günstigere russische Öl China und Indien große Anreize gegeben hat, dieses zu kaufen.

Also werden China und Indien durch den Preisdeckel nicht davon abgehalten, russisches Erdöl zu kaufen?

Die interessiert Embargo und Preisdeckel nicht sonderlich. China und Indien haben es die letzten Monate gekauft und es deutet sich an, dass sie auch daran festhalten werden. In welchem Ausmaß, wird sich zeigen. Nur wird das unter Umständen – wenn der Preis für russisches Öl über 60 Dollar pro Barrel liegt – eben ohne europäische Reedereien und Versicherer ablaufen müssen. Dann ist die Frage, ob es gelingt, alternative Vertragspartner zu finden beziehungsweise den Transport mit genügend eigenen Kapazitäten selbst zu stemmen.

Und wenn das nicht gelingt?

Wenn Russland keine Abnehmer in ausreichender Menge finden kann, wird es die Erdölförderung drosseln.

Mit welchen Folgen?

Das hätte wahrscheinlich zur Folge, dass der Ölpreis deutlich steigen würde. Mit entsprechenden wirtschaftlichen Auswirkungen. Und daran besteht auch im Westen kein Interesse. Vor einigen Wochen hat US-Finanzministerin Yellen Indien freigestellt, so viel russisches Öl zu kaufen, wie sie wollen. Allerdings ohne die Hilfe westlicher Dienstleister. Man will also vermeiden, dass das russische Erdöl komplett aus dem Markt verdrängt wird.

Können Sie Prognosen für die Entwicklungen von Ölmarkt und –Preis abgeben?

Dass sich der Markt aufgrund der im Rahmen des Embargos wegfallenden Liefermenge anspannen wird, ist klar. Die Nachfrage wird schließlich nicht schlagartig zurückgehen, sondern muss durch andere Anbieter bedient werden. Macht Russland seine Drohungen wahr und drosselt als Reaktion seine Ölproduktion, würde sich die Verknappung weiter zuspitzen. Der sich einengende Markt spricht per se für einen steigenden Ölpreis, auch wenn der Preis in den letzten Tagen stark gefallen ist. Wir gehen davon aus, dass der Brentölpreis in den kommenden Wochen wieder auf 95 Euro pro Barrel ansteigen wird.

Eine Verknappung bei gleichzeitig noch nicht ausreichendem Ersatz klingt, als bestünde die Möglichkeit, dass die Sanktionen nach hinten losgehen.

Man wird abwarten müssen, wie es am Ende ausgeht und ob es Europa gelingt, die Ölmengen, die zuvor aus Russland bezogen wurden, innerhalb weniger Wochen vollständig zu ersetzen. Das ist natürlich ein Experiment, das es so noch nie gegeben hat. Und der Ausgang ist unsicher. Deshalb hat man vereinbart, dass man sich innerhalb der Europäischen Union alle zwei Monate zusammensetzt, um zu überprüfen, ob der Ölpreisdeckel wie geplant wirkt. Oder ob nachjustiert werden muss.

Das Gespräch führte Robert Horvath.

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