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(dpa, Montage)

Promis zum Kapitalismus - „Finanzielle Massenvernichtungswaffen“

Wie bedrohlich ist die Finanzkrise für unsere Demokratie? Für die Oktober-Ausgabe fragte das Magazin CICERO 50 Prominente aus Politik, Kultur und Wirtschaft. Lesen Sie im fünften Teil der Umfrage, wie Jean Ziegler, Sarah Wagenknecht und Ines Pohl die Finanzkrise kommentieren.

„Sind Sie der Auffassung, dass die immer noch weitgehend unregulierten Finanzmärkte den Wohlstand und die Demokratie bedrohen? Falls ja, welche konkrete Forderung würden Sie an die Politik stellen, um diese Entwicklung zu stoppen?“

 

Ulrich Pallas, Finanzvorstand Jung von Matt AG

Fragwürdiges Flickwerk

Die Schuldenkrise bedroht den Wohlstand der Demokratien und wenn man sich in einer komplexen Welt jetzt nach einfachen Lösungen sehnt, bieten die Exzesse des Finanzsystems sicher ein dankbares Feld für Aktionismus. Wie das System nun mit Notmaßnahmen im Handstreich geflickt werden soll, ist aber unter demokratischen Regeln fragwürdig. Was Politik hier jetzt auch immer tut und tun muss, sie laboriert nicht zuletzt an Symptomen der Versäumnisse statt nachhaltigen Wirtschaftens immer nur neues Geld in die Märkte gepumpt zu haben, was heute der Treibstoff global agierenden Kapitals ist. „Der Staatshaushalt muss ausgeglichen sein. Öffentliche Schulden müssen verringert werden. Die Arroganz der Behörden muss gemäßigt und kontrolliert werden. Zahlungen an ausländische Regierungen müssen reduziert werden, wenn der Staat nicht bankrottgehen will.“ Nicht neu und von einem gewissen Cicero.

Gerd Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbandes

Mehr Transparenz

Eine überzogene Spekulation an den Finanzmärkten wie auch an den Rohstoffmärkten kann uns bedrohen, ein Auf und Ab gehört aber in einer gesunden Marktwirtschaft dazu. Aus Sicht der Landwirtschaft werden angesichts volatilerer Agrarmärkte die Terminmärkte zur Preisabsicherung und auch zur Schaffung von Markttransparenz immer wichtiger.

Wichtig ist, dass auch neue Finanzprodukte stets mit einer soliden Eigenverantwortung gehandelt werden. Dazu gehört eine hinreichende Haftungsübernahme über den Einsatz von Eigenkapital, wie dies für jeden Bankkredit und für jedes Warentermingeschäft international üblich ist.

Wichtig ist die Transparenz der Märkte. Sowohl für die Finanz- als auch Warenterminmärkte müssen wir wissen, wer was handelt, ähnlich wie es in den USA bereits zur Regel geworden ist. Dies gilt auch für außerbörsliche Geschäfte (Zertifikate und OTC), wo Transaktionsregister und Clearingstellen eingerichtet werden sollten. Die in diesem Jahr in der EU anstehende Regulierung der Spekulationsgeschäfte sollte soweit wie möglich global mit den G20-Staaten abgestimmt werden.

Michael Spreng, Politikberater

Dreifache Bedrohung

Die westlichen Demokratien stehen vor einer existenziellen Herausforderung: Können Sie die ohnehin schon abgesenkten Sozialstandards und die Chancengerechtigkeit ihrer Bürger angesichts einer unkontrollierten internationalen Finanzindustrie noch garantieren? Sie leiden unter einer dreifachen Bedrohung: der politisch zu verantwortenden Überschuldung, der massiven Spekulation gegen einzelne Länder in einer gemeinsamen Währungszone und der Vergesellschaftung der Risiken der Banken. So wird die Leistungsfähigkeit der Staaten und das Vertrauen der Bürger in die Entscheidungsmacht der Demokratien zerstört. Gelingt es nicht, die Finanzindustrie durch strenge Regulierung ihrer Produkte, durch deutlich höhere Anforderungen an das Eigenkapital und durch eine Finanztransaktionssteuer zu domestizieren, werden die Bürger auch in Ländern wie Deutschland auf die Barrikaden gehen.

Gabor Steingart, Journalist und Buchautor

Schluss mit Spielgeld

Schon der große Nationalökonom Wilhelm Röpke wusste: Die Marktwirtschaft kann die Bedingungen, die sie zu ihrem Funktionieren braucht, nicht selbst hervorbringen. Sie braucht den Staat, der den Rahmen setzt, der befördert und begrenzt. Auch den Staat, der verbietet.

Monopole und Kartelle beispielsweise sind verboten, weil sie den Wettbewerb zerstören würden. Die heutige Art Bankgeschäfte zu betreiben ist nicht minder zerstörerisch. Die Geldhäuser übernehmen Risiken, die sie im Schadensfall nicht tragen.

Die Staaten haben nun zwei Möglichkeiten. Erstens:  Sie schaffen im globalen Maßstab den Ordnungsrahmen, den die Nationalökonomie einst besaß und der im Zuge der beschleunigten Globalisierung gesprengt wurde. Eine große, für alle verpflichtende Haftpflichtversicherung müsste dazu gehören, in der die Branche sich selbst versichert. Höhere Eigenkapitalquoten und ein Einlagensicherungsfonds würden den Risikoappetit zumindest dämpfen.

Zweitens: Die Staaten müssten aufhören, das Spielgeld für das Finanzcasino zu verteilen. Ihre Politik der wundersamen Geldvermehrung hat die Exzesse zumindest begünstigt. Ein Zinssatz nahe Null, wie in den USA und in Japan, der Aufkauf von Staatsanleihen durch die Notenbank, wie in Europa und den USA, aber auch die durch keinen Wertzuwachs gedeckte Schuldenpolitik aller westlichen Regierungen sind die Mitverursacher der heutigen Instabilität in der Bankenwelt. Das Wort „genug“ sollte wieder in den Sprachschatz der Politik aufgenommen werden.

Jean Ziegler, Vizepräsident des Beratenden Ausschusses des UNO-Menschenrechtsrates

Banken verstaatlichen

1. Die Wildwütenden Finanzmärkte gefährden unmittelbar die demokratischen Strukturen unserer Westlichen Gesellschaften.

2. Was ist zu tun? Die entschädigungslose Verstaatlichung der Großbanken ist der erste Schritt. Die zweite provisorische Regierung de Gaulles (Januar 1945) hat diese Maßnahme getroffen. Charles de Gaulle war ein katholisch-konservativer Berufsmilitär - und kein Kommunist. Die Maßnahme war ein voller Erfolg. Dann sollten sich die westlichen Regierungen auch von Franklin Roosevelt inspirieren lassen. Ein neuer Glass-Steagall-Act ist überfällig: das Zerlegen der Großbanken, das Verbot, das Depot- und das Investmentgeschäft zusammenzulegen; die massive Erhöhung der Eigenkapitaldeckung der Banken (Roosevelt: 7%); das Verbot der Boni, die Obergrenzenbeschränkung für Spitzengehälter; etc. 

Dagmar Reim, Intendantin des rbb

Besser informieren

Wir haben weder eine Weltregierung noch sollten wir eine anstreben. Nicht einmal auf unserem Kontinent herrschen identische Interessen. Es gibt keinen Konsens, die Macht der Banken einzuschränken, was ein Minimum an Gegenwehr wäre. Um nicht tiefpessimistisch zu antworten: Journalisten sollten, anstatt Politiker mit Forderungen zu überziehen, tun, was sie können: recherchieren, analysieren, Zusammenhänge aufdecken und beschreiben. Damit immer mehr Menschen Informationen statt Vermutungen über „die Märkte“ gewinnen und in Wahlentscheidungen ummünzen können.

Ines Pohl, Chefredakteurin der taz

Konsistente Konzepte

Die demokratischen Staatsgebilde stehen von zwei Seiten unter massivem Druck. Zum einen sind es natürlich die weiterhin unregulierten Finanzmärkte, die es den Verantwortlichen nahezu unmöglich machen, wirklich zukunftssichere Strukturen zu entwickeln. Wenn hier keine mutigen und klaren Schnitte gemacht werden, kann kein Rettungsschirm groß genug sein, um die kollabierenden Systeme langfristig zu retten.

Das ist aber nur die eine Seite, die allerdings seit der Pleite von Lehman-Brothers den Diskurs bestimmt.

Viel zu kurz kommt die Frage nach der Wertschätzung und Glaubwürdigkeit der politischen Akteure, die wiederum eine Grundvoraussetzung für funktionierende Demokratien sind. Dass PolitikerInnen ihre Glaubwürdigkeit zunehmend abhandenkommt, ist dabei nicht unverschuldet.

Genau weil es eine solche global verwobene Krise noch nie gab, sollten sie sich hüten, mit allzu großen Wahl-Versprechungen und vermeintlichen Klarheiten punkten zu wollen. Glaubwürdigkeit wird man kaum durch schnelle Angebote von  Komplettlösungen erreichen. Sehr wohl aber durch konsistente Konzepte, die auf einem transparenten und verbindlichen Wertesystem basieren. Und die Frage cui bono, wer also profitiert eigentlich von welcher Agenda, die lässt sich immer stellen. Und bleibt grundlegend für die Berechenbarkeit, die Verlässlichkeit eines Politikers egal, ob er auf einer kleinen lokalen Bühne unterwegs ist oder sich in globalen Verstrickungen behaupten muss.

Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende Die Linke

Banken verstaatlichen

Insiderhandel und undurchsichtige oder unkontrollierte Bankgeschäfte haben zu einer globalen Machtverlagerung aus der Politik in die internationale Finanzwelt geführt. Wie soll die Politik auf diese Entwicklung reagieren? Mit strafrechtlichen Maßnahmen? Mit einem dauerhaften globalen Verbot von Leerverkäufen? Mit einer unabhängigen Rating-Agentur, die nicht in Besitz von Anteilseignern ist? Mit einer Finanztransaktionssteuer?

Die Entmachtung der Finanzmärkte ist notwendig, um eine demokratische Gesellschaft wiederherzustellen. Durch Instrumente wie Leerverkäufe oder ungedeckte Kreditausfallversicherungen hat eine winzige Minderheit in der Finanzbranche profitiert. Die Bevölkerung wird dagegen für die zerstörerischen Nebenwirkungen in Haftung genommen. Es ist unverantwortlich, dass die Bundesregierung seit dem Ausbruch der Finanzkrise und der Pleite von Lehman Brothers keine Maßnahmen zur Abschaffung „Finanzieller Massenvernichtungswaffen“ unternommen hat. Die Folgen dieses Versäumnisses sind fatal. In der Euro-Krise werden die Forderungen der Banken wieder durch Steuergelder gerettet. Die Banken wären ohne die staatlichen Hilfen der letzten Jahre schon längst so pleite wie Griechenland. Neben einer strengen Regulierung der Geschäfte müssen sie deshalb jetzt auch formal in öffentliche Hand überführt werden. Nur so kann die Dauerkrise beendet werden.

Britta Steilmann, Designerin

Globales Verbot

Mit einem globalen Verbot von Leerverkäufen.

 

 

 

 

 

 

 

Fotos: picture alliance, Jung von Matt

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