Energiekrise - Gazprom drosselt Gas-Lieferungen nach Deutschland

Während Kanzler Olaf Scholz in der Ukraine ist, dreht Putin am Gashahn: Der russische Staatskonzern Gazprom hat die Erdgaslieferungen nach Deutschland gedrosselt. Wirtschaftsminister Habeck sagt, die Lage sei ernst und ruft zum Energiesparen auf. Wird es bei unverbindlichen Appellen bleiben?

Durch die deutsch-russische Erdgas-Pipeline Nord Stream fließen nur noch 40 Prozent der Kapazität / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Pünktlich zum Ukraine-Besuch des deutschen Bundeskanzlers, dessen italienischem Amtskollegen und des französischen Staatspräsidenten lässt Wladimir Putin die Muskeln spielen: Der russische Staatskonzern Gazprom drosselt die Erdgaslieferungen nach Deutschland. Durch die Pipeline Nord Stream 1, die von Russlands Ostseeküste direkt nach Greifswald führt, fließen seit Donnerstagfrüh nur noch etwa 40 Prozent der technisch möglichen Menge. Offiziell begründet wird die Reduzierung der Liefermenge mit Wartungsarbeiten. Doch die deutsche Regierung hält dies für vorgeschoben.  

Wirtschaftsminister Robert Habeck veröffentlichte am Mittwochabend ein Twitter-Video, in dem er die Lage als „ernst“ bezeichnet und Bürger sowie Unternehmen erneut zum Energiesparen aufruft: „Es ist jetzt der Zeitpunkt, das zu tun. Jede Kilowattstunde hilft in dieser Situation.“ Zugleich betonte er aber, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland aktuell nicht gefährdet sei. „Es kommt Gas nach Europa. Wir haben kein Versorgungsproblem, aber die Gasmengen müssen neu auf dem Markt besorgt werden und es wird teurer werden“, sagte Habeck.

Kürzer duschen und kalt Hände waschen

Eine akute Knappheit ist derzeit wohl nicht zu befürchten. Die deutschen Gasspeicher sind laut Bundesnetzagentur zu 55 Prozent gefüllt, das ist deutlich mehr als vor Russlands Einmarsch in die Ukraine. Und da in der warmen Jahreshälfte kaum geheizt wird, ist der Bedarf derzeit niedriger als im Winter. Doch das Problem ist: Der nächste Winter kommt garantiert. Daher Habecks Spar-Appelle. Je weniger Gas im Sommer verbraucht wird, umso mehr kann jetzt gespeichert werden, um in der Heizperiode gegen russische Erpressungsversuche gewappnet zu sein.

Vor einer Woche starte der grüne Wirtschaftsminister deshalb eine Energiespar-Kampagne. Auf der Internetseite www.energiewechsel.de gibt sein Ministerium Hinweise, wie Privatleute und Firmen Gas, Heizöl und Strom sparen können: kürzer duschen („höchstens fünf Minuten“), kalt Hände waschen („Seife entfernt Schmutz auch ohne Warmwasser“) und beim Kochen den Herd früher ausschalten („Restwärme nutzen“).

Heizungstemperatur per Gesetz senken

Bei unverbindlichen Haushaltstipps wird es womöglich nicht bleiben. Klaus Müller, neuer Präsident der Habecks Ministerium unterstellten Bundesnetzagentur, hat in einem aktuellen Zeitungsinterview deutlich ausgesprochen, wohin die Reise geht: Die Heiztemperatur in Wohnungen soll per Gesetz gesenkt werden.

„Im Mietrecht gibt es Vorgaben, wonach der Vermieter die Heizungsanlage während der Heizperiode so einstellen muss, dass eine Mindesttemperatur zwischen 20 und 22 Grad Celsius erreicht wird“, sagte Müller der Rheinischen Post. „Der Staat könnte die Heiz-Vorgaben für Vermieter zeitweise senken. Darüber diskutieren wir mit der Politik.“ Es sei wichtig, so viel Gas zu sparen wie möglich, um über den nächsten Winter zu kommen.

Zwangsabschaltung von Industriebetrieben? 

In der Industrie, die mehr als ein Drittel des in Deutschland benötigten Erdgases verbraucht, will Müller es zunächst mit Anreizen statt mit Zwangsmaßnahmen versuchen. „Wir möchten Mechanismen etablieren, um Unternehmen, die freiwillig Gaskontingente abtreten, mit einer Prämie zu belohnen. Es ist immer besser, wenn Anpassungen über Preise geschehen als über dirigistische Vorgaben“, sagte der Chef der Bundesnetzagentur.

Gleichwohl bereitet sich seine Behörde bereits darauf vor, Unternehmen notfalls den Gashahn abzudrehen. Im Mai mussten alle deutschen Firmen mit höherem Erdgasverbrauch an einer Datenabfrage der Netzagentur teilnehmen. Sie sollten melden, wie hoch ihr Mindestbedarf ist, ob sie auf andere Energieträger umstellen können und was sie überhaupt produzieren. Unter der Rubrik „Bedeutungsgrad/Gesellschaftliche Relevanz“ mussten die Unternehmen ihr Produkt einer Relevanzstufe zuordnen: von „1 Luxusgut“, „2 Gebrauchsgut“ über „4 Verbrauchsgut des alltäglichen Bedarfs“ bis zu „10 Gut zur Notfallversorgung geschützter Kunden“.

Im Ernstfall, so lässt es zumindest dieser Fragebogen vermuten, soll also zuerst die Goldscheideanstalt auf Gas verzichten, bevor der Medikamentenhersteller die Produktion einstellen muss. Was droht, ist eine Art Kriegswirtschaft, bei der knappe Güter statt auf dem Markt gehandelt vom Staat rationiert und zugeteilt werden.

Atomkraftwerke sollen trotzdem abgeschaltet werden

Dass die Bundesregierung trotz dieser düsteren Aussichten keine Anstalten macht, den Atomausstieg aufzuschieben, wird immer schwerer nachvollziehbar. Aus Angst vor seiner eigenen Partei traut sich Robert Habeck offenbar nicht, eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke in Erwägung zu ziehen. Sie sollen, so sieht es das 2011 beschlossene Ausstiegsgesetz vor, Ende des Jahres vom Netz gehen – mitten im Winter.

Drei weitere Kernkraftwerke, die bereits Ende vergangenen Jahres zwangsabgeschaltet wurden, obwohl sie voll funktionstüchtig sind, könnten gerettet werden. Dann hätte Deutschland sechs Großkraftwerke in Betrieb, die rund um die Uhr zuverlässig klimafreundlichen Strom liefern. Dementsprechend könnten dann Gaskraftwerke ihren Betrieb reduzieren, um Erdgas zu sparen.

Die Betreiber der deutschen Atomkraftwerke haben klargemacht, dass sie für einen längeren Betrieb bereitstünden, wenn diesen Sommer ein klares Signal aus der Politik kommt. Darauf warten sie bislang vergeblich. FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner hat zwar einen vorsichtigen Versuch gewagt. Doch Kanzler Scholz und Minister Habeck haben ihn abblitzen lassen.

So lässt die selbsternannte Klimakoalition lieber die Kohlekraftwerke länger laufen und schlittert immer tiefer in eine Energiekrise hinein, deren Ursache nicht nur Putins Gazprom-Macht ist, sondern auch eine verfehlte Energiepolitik.  

Hören Sie zum Thema Energieversorgung auch den Cicero-Podcast mit Anna Veronika Wendland: „Bei der Energiestrategie ist Stimmungspolitik Gift“ 

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