Hamburger Hafen - „Im Umgang mit China waren wir sehr naiv“

Der chinesische Staatskonzern Cosco will beim Hamburger Hafenterminal Tollerort einsteigen. Seither treibt viele Beobachter die Angst um Deutschlands kritische Infrastruktur um. Auch der Militär- und Konfliktexperte Oberst a.D. Ralph Thiele gehört zu den Mahnern. Im Cicero-Interview erklärt Thiele, wo die Gefahren des Deals liegen und warum Politik wie Wirtschaft in einem Dilemma stecken.

Der Hamburger Hafen und die Elbe / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

So erreichen Sie Clemens Traub:

Anzeige

Ralph Thiele ist ehemaliger Oberst der Bundeswehr und Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft in Berlin. Er diente unter anderem im Planungsstab des Verteidi­gungsministers, im Private Office des Nato-Oberbefehlshabers sowie als Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr. Thiele ist Herausgeber des Buches „Hybrid Warfare“ (2021).

Herr Thiele, der Einstieg des chinesischen Staatsunternehmens Cosco beim Hamburger Hafen löst in diesen Tagen große Meinungsverschiedenheiten in der Ampel-Koalition aus. Was ist der aktuelle Stand des Streites?

Im Rahmen des Investitionsprüfverfahrens begutachten die zuständigen Ministerien gerade, inwieweit unzulässige Abhängigkeiten entstehen, die ein Erpressungspotenzial darstellen könnten. Informell haben sich die Fachministerien bereits aufgrund erheblicher Sicherheitsbedenken gegen die Übernahme großer Teile des Hamburgers Hafens durch das chinesische Staatsunternehmen Cosco ausgesprochen. Bundeskanzler Olaf Scholz und die Hansestadt hingegen pochen auf einen Deal mit den Chinesen. Sollte es zu keiner gemeinsamen Haltung gegen den Einstieg der chinesischen Rederei kommen, würde das Geschäft automatisch über die Bühne gehen. In den nächsten Wochen wird es daher spannend sein zu beobachten, wie die Streitfrage im Bundeskabinett behandelt wird.

Was denken Sie, wie der Zwist innerhalb des Bundeskabinetts ausgehen wird?

Bundeskanzler Olaf Scholz wird sich wohl gegen seine Widersacher durchsetzen. Wir werden ebenfalls beobachten können, ob er seine Richtlinienkompetenz abermals nur mit einem Brief zum Ausdruck bringt oder es zu einer gemeinsamen Lösung im Bundeskabinett kommt.

Warum setzt sich Olaf Scholz trotz der massiven Kritik aus der eigenen Koalition für den Deal mit dem chinesischen Staatsunternehmen Cosco ein?

Als ehemaliger Erster Bürgermeister Hamburgs schwingt gewiss auch der Verdacht mit, dass Scholz für seine Heimatstadt Lobbyismus betreibt. Aber natürlich geht es dem Bundeskanzler auch um die wirtschaftliche Großwetterlage des Landes. Deutschlands Wirtschaft steht durch die tiefe Energiekrise vor massiven Problemen. Die internationalen Handelskriege gefährden zudem unser über Jahrzehnte erfolgreiches Modell der exportorientierten Industriewirtschaft. Scholz ist sich natürlich auch der wirtschaftlichen Abhängigkeit zu China bewusst und versucht vor seiner bevorstehenden China-Reise daher einen Affront mit der chinesischen Staatsführung unter allen Umständen zu vermeiden.

Welche Bedeutung hat der Hamburger Hafen für die deutsche Wirtschaft?

Der Hamburger Hafen ist für die exportorientierte Wirtschaft des Landes ein entscheidendes Tor zur Welt. Zwar mag der Hamburger Hafen im internationalen Welthandel längst nicht mehr in der Champions League mitspielen, doch ist er für die Metropolregion weiterhin von großer Bedeutung. Die nördlichen Bundesländer sind in den vergangenen Jahrzehnten wirtschaftlich deutlich eingebrochen und geschrumpft. Die Hafenindustrie ist ein wichtiger Arbeitgeber, der eine wirtschaftliche Strahlkraft auf den gesamten Norden entfalten kann. Der Hamburger Hafen bindet hochqualifizierte Fachkräfte, was für die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts unermesslich bedeutend ist.

Welche Interessen verfolgt das chinesische Staatsunternehmen mit einem Einstieg in den Hamburger Hafen?

Das ist nur die logische Fortsetzung eines langen Trends. Bereits seit den 1990er Jahren ergreift China wirtschaftlich zunehmend mehr Besitz von Hamburgs Hafen und den damit zusammenhängenden Geschäftstätigkeiten. Damals wurden Kräne und andere Hardware seitens chinesischer Konzerne gestellt und der Hafen füllte sich mit Exportprodukten aus dem Reich der Mitte. Später kamen Software und Finanzgeschäfte dazu. Der Kauf der Anteile durch das Staatsunternehmen Cosco ist schlichtweg eine Fortsetzung dieser klar erkennbaren Strategie, die eine Unterwanderung des wichtigen Handelsumschlagplatz zum Ziel hat. Denn für China ist der Hamburger Hafen ein Eintrittstor nach Deutschland und Europa. Für mich ist Hamburg ohnehin schon eine Art chinesische Stadt, die alleine kaum mehr überlebensfähig wäre.

Wie könnte der chinesische Staat an einer Beteiligung am Hamburger Hafen konkret Einfluss auf Deutschland ausüben?

Im Kern geht es China darum, dass es die Kontrolle über die gesamte Lieferkette, digital wie maritim, in Europa an sich zieht und die damit gewonnenen wirtschaftliche Macht zur politischen Erpressung Deutschlands und Europas nutzen kann. Hamburg ist ein idealer Einstiegspunkt, da China hier bereits exzellent platziert ist, z.B. auch als wichtigster Kunde und Akteur des Hafens. Jeder zusätzliche Wettbewerbsvorteil lädt geradezu zum „Missbrauch wirtschaftlicher Macht" ein. 

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Selbst der Bundesnachrichtendienst warnt vor einem Geschäft mit den Chinesen. Welche Gründe führt der deutsche Auslandsgeheimdienst an?

Der Bundesnachrichtendienst befürchtet einen zunehmenden Einfluss Chinas auf unsere Kritische Infrastruktur, der mit der Möglichkeit zur politischen Erpressung verbunden wäre. Die geopolitische Strategie Chinas ist es nämlich, ihre internationale Machtposition durch einen ständig wachsenden Einfluss zu vergrößern. Dabei nehmen sie immer neue Länder ins Visier und versuchen mittels Investitionen politische Abhängigkeiten herzustellen. In gewisser Weise gleicht dieses Vorgehen einer Spinne, die ihr Netz stetig ausdehnt und für ihre Kontrahenten dadurch immer gefährlicher wird. Als wirtschaftsstärkstes Land Europas hat China auch ein herausragendes Interesse an Deutschland. Die geplante Seidenstraße wird nicht zufällig bis nach Duisburg reichen und auch der Einstieg in den Hamburger Hafen steht ganz im Zeichen des chinesischen Machtanspruchs.

Waren deutsche Politiker und Unternehmer in den letzten Jahren zu naiv gegenüber China?

Ja, deutsche Politiker und Unternehmer waren sehr naiv im Umgang mit China. Das war gefährlich und riskant. Wir haben in Deutschland lange Zeit nur auf die Quartalszahlen geschielt. Die Politik blendete die Bedrohung des chinesischen Einflusses so lange aus, wie die stolzen Gewinne der Wirtschaft in die Staatskassen sprudelten. Vielen deutschen Weltkonzernen fehlte in dieser Zeit außerdem das langfristige, strategische Denken. Das müssen sich auch Unternehmen wie Siemens oder Rheinmetall ankreiden lassen. Allerdings erleben wir durch den russischen Überfall auf die Ukraine zurzeit einen Mentalitätswandel.

Wie kann sich Deutschland zukünftig besser vor der Einflussnahme ausländischer Mächte auf die Kritische Infrastruktur schützen?

Zurzeit liegt die Technologieführerschaft eindeutig in den Händen Chinas, der USA und Israels. Deutschland hat hochtalentierte Köpfe und ist in der Grundlagenforschung weltweit renommiert. Doch wir bekommen das Know-how aus den Universitäten nicht auf die Straße. Viel zu oft bedienen sich Streitkräfte oder Sicherheitsunternehmen aus dem Ausland an unseren wissenschaftlichen Errungenschaften, während wir leer ausbleiben. Das können wir uns in der der angespannten Sicherheitslage nicht länger erlauben. Außerdem muss die Kooperation zwischen privaten Unternehmen und dem Staat bezüglich der Verteidigung unserer Kritischen Infrastruktur professioneller gestaltet werden. Es braucht effektive Frühwarnsysteme, die uns vor Gefährdungen zukünftig besser schützen können. Wir müssen aufwachen, um für die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts gewappnet zu sein.

Gibt es einen Weg, wie sich Deutschland vor dem Einfluss Chinas lösen kann, ohne einen Einbruch der Wirtschaft befürchten zu müssen?

Ja, die Bundesregierung steht tatsächlich vor einem schwierigen Widerspruch. Dieser lässt sich für Deutschland nur mittels des Vorgehens „first things first“ auflösen. Das bedeutet angesichts der multiplen Krisensituation, dass Deutschland zunächst den Krieg in der Ukraine befriedet und neue wirtschaftliche Allianzen schmiedet, um dadurch die eigene Prosperität sicherstellen zu können. Erst im Anschluss können wir uns schließlich mit vollen Kräften der Neubewertung des deutsch-chinesischen Verhältnisses und damit auch der Verteidigung der Kritischen Infrastruktur zuwenden. Ein verfrühter Bruch mit den Wirtschaftsbeziehungen zu China hätte katastrophale Folgen für die deutsche Volkswirtschaft. Die strategische Ausrichtung des Zeitgewinns scheint mir daher ein pragmatischer Weg zu sein, der den Interessen Deutschlands in diesen stürmischen Zeiten am ehesten gerecht wird.

Würden Sie der Bundesregierung von einem Geschäft mit dem chinesischen Staatskonzern im Hamburger Hafen also nicht abraten?

Ja, das würde ich. Die Sicherheitsbedenken gegenüber China sind komplett richtig und angebracht. Es ist ein gutes Zeichen, dass der deutschen Politik die Augen geöffnet wurden. Allerdings muss der Bundeskanzler Olaf Scholz stets die übergeordneten Interessen Deutschlands im Blick haben. Denn angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Krise und der drohenden Talfahrt der deutschen Industrie käme ein Zerwürfnis mit China zum exakt falschen Zeitpunkt. Wir befinden uns gerade in einer Situation der großen Schwäche und müssen daher Zeit gewinnen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.
 

Anzeige