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Angela Merkel - Auf den Wahlsieg folgen unpopuläre Aufgaben

Angela Merkels Union kommt auf 41,5 Prozent. Die Kanzlerschaft ist ihr sicher. Doch Merkel muss in ihrer dritten Amtszeit große Probleme lösen und sich vielleicht auch unbeliebt machen

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Dieses Wahlergebnis ist für Angela Merkel ein historisches. 41,5 Prozent – so viel hat ihre Partei in 20 Jahren nicht erlangt. Es ist auch ein großer Zugewinn für sie selbst: 2005 brachte sie ihre Partei auf 35,2 Prozent, vier Jahre später auf nur 33,8 Prozent. Die Kanzlerin, die den Wahlkampf, ja die ganze Christdemokratie auf ihre Person ausgerichtet hat, ist auf dem Zenit ihrer Macht.

Zugleich aber ist ihre schwarz-gelbe Wunschkoalition dahin. Ihr Koalitionspartner FDP kommt nach vorläufigem amtlichem Ergebnis auf 4,8 Prozent. Ein Donnerschlag. Die eurokritische Alternative für Deutschland stand am Wahlabend vor einem Nervenkrieg: Ob sie es doch noch ins Parlament schaffen würde, war lange unklar. Jetzt ist sicher: Sie kann den Einzug in den Bundestag nicht feiern. Sie holte 4,7 Prozent der Stimmen.

„Der Ball liegt jetzt bei Angela Merkel“, hat SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gesagt. Tatsächlich wird sich die Kanzlerin auf lange, zähe Koalitionsverhandlungen einstellen müssen – und wohl auf eine Große Koalition.

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Jetzt werden die großen Projekte angepackt

Dabei wollte sie ihren präsidialen Führungsstil möglichst konfliktfrei in die dritte Amtsperiode retten. Späte Kanzlerschaften sollen ihre Inhaber eigentlich in die Geschichtsbücher führen. Es sind meist die großen Projekte, die die Kanzler jetzt in ihrer späten Herrschaft anpacken. Projekte, bei denen sie es sich mit ihren Parteien verscherzen, häufig mit dramatischem Ende.

Helmut Schmidt (SPD) vollzog in seiner zweiten und letzten Amtszeit eine außenpolitische Kehrtwende, die seine Partei von den Brandt-Reformern entfernte. Auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik hatte Schmidt Ideen, die bei seinem kleinen Koalitionspartner FDP auf Widerstand stießen. Union und Liberale stürzten den Kanzler 1982 vorzeitig mit einem konstruktiven Misstrauensvotum. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Schmidt schon weit von seiner eigenen Partei distanziert: Die SPD trug den von ihrem Chef gewünschten NATO-Doppelbeschluss überwiegend nicht mit.

Auch Gerhard Schröder dachte weniger an die sozialen Grundsätze seiner Partei als an sein Bildnis in der Nachwelt. Die 2003 verkündeten Hartz-Reformen waren ein historischer Einschnitt in der bundesrepublikanischen Geschichte. Die Partei nahm es ihm übel, auch ihre Anhänger: 2005 blieben viele frühere SPD-Wähler der Bundestagswahl fern. Heute, zehn Jahre nach der Agenda 2010, zweifelt niemand mehr an Schröders Leistung.

Ob sich Angela Merkel angesichts der großen Probleme, vor denen das Land steht, in den Beliebtheitswerten wird halten können, ist angesichts dieser historischen Vorbilder fraglich.

Was aber könnte Angela Merkels Reformprojekt werden? Im Wesentlichen warten auf sie fünf Baustellen.

1. Die Eurokrise

Das Gezerre um die Gemeinschaftswährung, das bereits das Kabinett Merkel II in Atem hielt, wird die Kanzlerin auch in ihrer dritten Runde beschäftigen. Schon jetzt ist absehbar, dass der strenge Sparkurs nicht zu halten sein wird. Deutschland wird für Griechenland haften, möglicherweise auch zahlen müssen. Einem dritten Rettungspaket wird vielleicht noch ein viertes folgen, außerdem braucht Südeuropa stärkere Wirtschaftsimpulse durch Milliarden-Investitionen. Der deutsche Steuerzahler wird dafür aufkommen müssen – das den Bürgern zu vermitteln, wird für Merkel noch eine Herkulesaufgabe.

In einer großen Koalition, aber auch in einer jetzt denkbaren, wenn auch weniger wahrscheinlichen schwarz-grünen Konstellation, wird die Kanzlerin die Lockerung des Fiskalpaktes leichter durchsetzen können als es je mit der FDP möglich war.

2. Die CDU vor dem Zerreißen bewahren

Das christdemokratische Schreckensszenario ist zweifelsohne die Schröder-Partei: Über die Agenda 2010 spaltete sich einst die SPD. Der Parteilinke Oskar Lafontaine erklärte den Austritt und gründete die WASG, um sich später mit der PDS zur Linken zu vereinen. Bis heute ist diese Wunde bei den Sozialdemokraten nicht verheilt.

Könnte der CDU so etwas auch am rechten Rand drohen? Gerade erst hat der enttäuschte Katholik Martin Lohmann seinen Austritt aus der CDU erklärt, weil ihm das „C“ in seiner Partei zu wenig betont wurde. Und mit der AfD möglicherweise im Bundestag erhält Merkel einen neuen, gefährlichen Gegner. Die Eurokritiker werden mächtig Stimmung gegen die Europolitik einer wie auch immer gearteten Merkel-Regierung machen. Die zahlreichen Abweichler in der Union, die schon beim ESM und den letzten Rettungspaketen nicht mitmachten, könnten bei der rechten Protestpartei eine neue Heimat finden. Merkel muss alles versuchen, um die Partei zusammenzuhalten. In einer Großen Koalition könnte ihr das deutlich schwerer fallen als in einem schwarz-gelben Bündnis.

3. Sozialreformen

Ein Mindestlohn, die Eingrenzung atypischer Beschäftigungsverhältnisse, die Bekämpfung der Leiharbeit, die Angleichung der Löhne in Ost und West, die Rentenfrage: Die Deutschen erwarten Sozialreformen. Nach der Agenda 2010, heißt es in Expertenkreisen, muss jetzt eine Agenda 2020 kommen. Das Thema soziale Gerechtigkeit wird Angela Merkel auch deshalb nicht ignorieren können, weil sich die Spaltung, mit der sich die linken Oppositionsparteien noch in den vergangenen Jahren gegenseitig blockiert haben, nicht mehr lange halten wird. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel arbeitet schon seit Langem auf ein rot-rot-grünes Bündnis hin. Bis 2017 werden sich SPD, Linke und Grüne programmatisch sicherlich so weit angenähert haben, dass Merkel ihnen nur dann den Boden unter den Füßen wegziehen kann, wenn sie deren linke Sozialpolitik selbst frühzeitig umsetzt. Gute Themen bei der Opposition kopieren – das war schließlich auch bis jetzt Merkels Erfolgsrezept.

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4. Energiewende

Mittlerweile ist die Energiewende Angela Merkels Herzensprojekt geworden. Die Nuklearkatastrophe in Fukushima überzeugte sie endgültig vom Atomausstieg. Wie wichtig ihr das Thema ist, zeigte nicht zuletzt der gnadenlose Rauswurf ihres Ex-Umweltministers Norbert Röttgen, der Merkel zudem noch illoyal geworden war – ein äußerst seltener Moment harter Merkel’scher Machtpolitik. Doch die Energiewende stockt auch unter Peter Altmaier: das Kompetenzgewirr zwischen Ministerien, Ländern, Bürgerinitiativen, Energieunternehmen, die steigenden Strompreise, die ungelöste Endlagerfrage. Die Welt schaut auf Deutschland und fragt sich, ob ein Hochindustrieland mit 80,2 Millionen Einwohnern ohne Kernenergie in die Zukunft kommt. Merkel muss die Antwort finden. Da könnte die Große Koalition helfen: Es ist den Sozialdemokraten zuzutrauen, die Energiewende sozialverträglich zu gestalten und die Kosten nicht nur auf die Ärmsten abzuwälzen.

5. Eine Außenpolitik entwickeln

Die Welt schaut aber nicht nur wegen der Energie- und Europolitik auf Deutschland. Es geht auch um die Frage, wie sich die nächste Bundesregierung außenpolitisch darstellen wird. Unter Merkel und Westerwelle gab es eine kohärente Diplomatie de facto nicht. Die Enthaltung im Libyenkrieg hat UN- und Nato-Partner verwirrt, das Syrien-Hick-Hack enttäuscht. Zwischen den Großmächten wird Deutschland diplomatisch gar nicht mehr wahrgenommen; Merkel glaubte bislang, dass ihr Land so etwas wie die Schweiz sein wolle: reich, aber neutral. Diesen Kurs wird die Kanzlerin aber nicht mehr länger fortführen können. Die neue unübersichtliche Lage in der arabischen Welt, der anhaltende Nahostkonflikt, aber auch die Frage, ob der syrische Präsident Baschar al-Assad sich an seine Verpflichtung hält, das Chemiewaffenarsenal abzubauen, werden ein friedliches, vermittelndes, aber auch ein starkes Deutschland brauchen.

Unter FDP-Außenminister Guido Westerwelle hat sich Deutschland vor einer außenpolitischen Festlegung bislang gedrückt. Offen ist, ob sie das in einer Großen Koalition besser gelingt. Angela Merkel wird auch mit den Grünen in Koalitionsgespräche gehen. Schwarz-Grün ist rechnerisch möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Die nächsten Tage werden spannend.

Die Zahlen wurden am 23.09.2013 aktualisiert.

 

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